Geldanlage in Corona-Zeiten:Wer nun zum Börseneinstieg aufruft, treibt ein riskantes Spiel

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Die Corona-Krise hat die Aktienmärkte kräftig durchgeschüttelt - erste Börsenexperten raten nun schon wieder zum Einstieg. (Foto: Arne Dedert/dpa-tmn)

Kaum steigt der Dax, scheinen einige Aktienstrategen den tiefen Fall schon wieder vergessen zu haben. Doch die aktuelle Kursjagd ist leichtfertig - und töricht.

Kommentar von Victor Gojdka

Wenn die Aktienbörsen dieser Tage wieder in Richtung alter Rekorde jagen, dann kleiden das viele Börsianer in ihre bildhafte Sprache und sprechen: von einer Rally. Mehr als 25 Prozent ist der deutsche Leitindex Dax seit seinem Tiefpunkt Ende März nach oben geschossen, Runde um Runde hält sich der Index hochtourig über der Marke von 10 000 Punkten. Manche Anleger, so scheint es, haben angesichts dieser rasanten Kursjagd schon wieder die Formel 1 im Kopf. Und vergessen, dass es dort gerade wegen der hohen Geschwindigkeit immer wieder zu hässlichen Unfällen kommt.

Wie töricht die aktuelle Kursjagd ist, zeigt bereits der Blick auf einige Zahlen: Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einem weltweiten Wirtschaftseinbruch, der sich allenfalls mit der Großen Depression vor rund 90 Jahren in eine Reihe stellen lasse. In den USA wiederum sind allein in den vergangenen vier Wochen mehr Stellen gestrichen worden als im gesamten elfjährigen Aufschwung zuvor geschaffen wurden. Elf Jahre Jobwunder wurden binnen vier Wochen zunichtegemacht, während die Börsenindizes fröhlich stiegen.

Manche Aktienstrategen rufen bereits wieder zum Einstieg: Schließlich pumpten Regierungen und Notenbanken Billionensummen in Unternehmen und Finanzmärkte, genug Benzin für die Formel-1-Fahrt sei also da. Außerdem sei längst bekannt, dass das Coronavirus Autobauern, Fliegern und Reisekonzernen schade. Die Auswirkungen von Corona? Alles bloß kalter Kaffee.

Das Argument ist so eingängig wie falsch. Denn Analysen zeigen, dass viele Analysten in den Computerprogrammen der Aktienprofis viele Gewinnerwartungen bislang nur vorsichtig nach unten korrigiert haben - und teilweise noch gar nicht. Selbst wenn Anleger also die aktuelle Situation beurteilen wollen, verlassen sie sich immer noch auf Zahlen, die bei näherem Hinsehen kaum noch zu rechtfertigen sind. Spätestens, wenn die Unternehmen in der Berichtssaison der kommenden Wochen ihre Zahlen auf den Tisch legen müssen, wird die rote Tinte in den Berichten ein Warnsignal sein.

An der Börse, entgegnen Aktienexperten dann oft, werde aber nicht die Vergangenheit gehandelt, sondern die Zukunft. Mit anderen Worten: Die Kurse spiegelten bloß wieder, was Anleger für die kommenden Quartale, für das kommende Jahr erwarten. Ihre Vision: Die Menschen lüften ihre Mundschutze wieder - und die Wirtschaft kann buchstäblich aufatmen.

Den Aktienmärkten droht die Unterzuckerung

Selbst aber wer nur in die Zukunft schaut, darf nicht leichtfertig vom Besten ausgehen. Drei Argumente sprechen dagegen. Erstens: Viele Staaten werden sich das Geld für ihre Hilfsmaßnahmen auch über höhere Steuern von den Unternehmen zurückholen. Hatte Donald Trump 2017 mit Steuersenkungen noch einen globalen Zuckerrausch an den Börsen entfacht, droht den Aktienmärkten bald die Unterzuckerung.

Zweitens scheinen viele Aktienauguren immer noch an ein Konsumwunder nach Corona zu glauben. Wenn es nach den Bankexperten geht, sollen die Unternehmensgewinne im Dax bereits kommendes Jahr wieder um rund 30 Prozent steigen. Frei nach dem Motto: Wenn Corona an der Menschheit vorübergezogen ist, dann wird gegessen, gereist und gekauft - wie einst nach großen Kriegen. Aktuell jedoch zeigt sich in China, dass Shoppingmalls zwar längst wieder offen sind, die Menschen jedoch fernbleiben. Denn Verbraucher wissen nur zu gut, dass das Coronavirus anders als Kriegsparteien keinen endgültigen Friedensvertrag schließt - und halten ihr Geld aus Sorge vor einer zweiten Welle zusammen.

Doch die meiste Angst dürfte Anlegern drittens machen, dass die Börsen in den kommenden Monaten ihre eigentliche Funktion wieder erfüllen, so kurios es klingt. Denn Unternehmen dürften sich am Parkett wieder Geld besorgen, anstatt wie in den vergangenen Jahren vor allem Unsummen an die Anleger zu verteilen. Weil viele Unternehmen in der vergangenen Dekade im Geld nur so schwammen, haben sie Massen ihrer eigenen Aktien zurückgekauft und mit diesen Käufen die Kurse gestützt. Jetzt allerdings könnten sie weniger eigene Aktien aufkaufen - sondern umgekehrt vor allem neue Aktien feilbieten, um Geld hereinzuwirtschaften. Das allerdings lässt die Titel optisch unattraktiver wirken, weil sich der gesamte Unternehmensgewinn dann schlicht auf mehr Aktien verteilt. Mit anderen Worten: Die Börsen könnten von der Geldmaschine zum Geldstaubsauger werden. Doch mit Staubsaugern gewinnt man bekanntlich keine Formel-1-Rennen.

© SZ vom 28.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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