Börse:Die Anleger haben sich verspekuliert

Börse: Im Sommer schienen die Aussichten an den Börsen gut zu sein. Dabei wären Probleme bereits erkennbar gewesen.

Im Sommer schienen die Aussichten an den Börsen gut zu sein. Dabei wären Probleme bereits erkennbar gewesen.

(Foto: Brendan McDermid/Reuters)

In den vergangenen Wochen stieg der Dax um mehr als 1000 Punkte. Doch die Kursrally war weltfremd.

Kommentar von Victor Gojdka, Frankfurt

Vielleicht zeigt schon das Wort der Kursrally, dass die Sache eine gefährliche Angelegenheit ist. Wer wie bei der Motorsportrallye mit völlig überhöhter Geschwindigkeit nach vorne schießt, kann eben auch schnell aus der Kurve fliegen. Nicht weniger haben die Aktionärinnen und Aktionäre am Anfang dieser Woche an den Börsen erlebt, als ihnen die Lage schlicht entglitt.

Trotz Gaskrise, Inflation und Wirtschaftssorgen sind die großen Leitindizes spätestens seit Mitte Juli gestiegen, in Zählern betrachtet wirkte die 1000-Punkte-Rally im deutschen Leitindex Dax gar überzeugend. Doch wer genau hinschaute, konnte schon wochenlang Probleme wahrnehmen: Die Anleger im deutschen Leitindex haben sich von vermeintlich guten Unternehmenszahlen einlullen lassen, die Beharrlichkeit der Notenbanken unterschätzt und alle Gas-Sorgen schlicht verdrängt. Oder um im Motorsport zu bleiben: Die Anleger haben an der Börse einfach Gas gegeben, allerdings ohne Helm und Tachometer.

Den nötigen Treibstoff für die vierwöchige Sommerrally lieferten vielen Anlegern ausgerechnet die Unternehmensgewinne des zweiten Quartals. In der Tat bewiesen Statistiken, dass im weltweit tonangebenden US-Leitindex S&P 500 immerhin 78 Prozent der Unternehmen die Erwartungen der Bankanalysten übertreffen konnten. Am Ende reichte den Anlegern jedoch diese eine Zahl, um sich wie vernagelt darauf zu stürzen und sie zum Fundament der Kursrally zu machen.

Die Zeichen missachtet

Viele Investoren ignorierten dabei sträflich, dass viele Unternehmen in Wirklichkeit längst weniger verkauften und lediglich durch den Trick üppiger Preiserhöhungen ihre Gewinne oben halten konnten. Dass knapp jedes vierte Unternehmen im Dax eine Warnung vor sinkenden Gewinnen aussprach, ließen die Börsenprofis meist gleich ganz unter den Tisch fallen.

Allerlei andere Warnsignale ignorierten die Händler ebenso: An vielen Gewinntagen im Dax wechselten auffällig wenige Aktien die Hände, sodass trotz grüner Kurse von großer Kaufüberzeugung nicht die Rede sein konnte. Mehr als ein Drittel der Kursgewinne im S&P 500 lieferten mit Apple, Amazon, Tesla und Microsoft sogar nur vier Unternehmen. Viele Kursgewinne gab es außerdem nur, weil Hedgefondsmanager ausgerechnet ihre Wetten auf fallende Kurse aus Kostengründen irgendwann aufgaben - und dafür Aktien in Milliardenhöhe zukaufen müssen.

Wie irrig die Sommerrally am Parkett war, zeigte sich spätestens Anfang dieser Woche. Als die Berichtssaison erledigt und die wochenlangen Hedgefonds-Käufe abgeebbt waren, blieben den Anlegern nur noch zwei völlig ungedeckte Hoffnungen übrig. Erstens, so hofften die Börsianer, könnte die US-Notenbank die Zinsen im Kampf gegen die Inflation vielleicht doch nicht so stark anheben wie gedacht und Aktien damit weniger Konkurrenz machen. Und zweitens könne auch die Inflation auf wundersame Art und Weise im September kollabieren, sodass der Handlungsbedarf für die Geldhüter schlicht wegfalle.

Bei beiden Argumenten dürfte der Wunsch Vater des Gedankens gewesen sein. Viele US-Notenbanker hatten schließlich bereits signalisiert, auch künftig harsch gegen die Inflation vorgehen zu wollen. Selbst beim wichtigen Notenbankertreffen in Jackson Hole dieser Tage dürften die Geldhüter wohl kaum Nachgiebigkeit signalisieren.

Auch die Inflation dürfte keineswegs so schnell abebben, wie viele Börsianer es im Wünsch-dir-was-Modus herbeisehnen. Während die Inflationsrate in den USA im Juli vor allem wegen gesunkener Benzinpreise leicht abebbte, stiegen jedoch die Mieten im Land, die, einmal vereinbart, auf Jahre an der Kaufkraft der Menschen zehren.

Am Ende stehen die Anleger an den Börsen kurzfristig nun ohne Perspektive da: Die Euphorie über die vermeintlich guten Unternehmenszahlen des zweiten Quartals ist verflogen, die großen Hedgefonds-Käufe am Markt werden weniger. In Sachen Notenbanken haben die Anleger schlicht die Fakten verdrängt, zugleich haben viele Händler die stark erhöhten Strompreise dieser Tage noch gar nicht auf der Rechnung. Im besten Fall erreichen die Börsen nun die stabile Seitenlage.

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