Finanzen:Warum Anleger gegen die mächtigste Bank der Welt wetten

Finanzen: Liegt im Clinch mit Anlegern: Jerome Powell, Vorsitzender der amerikanischen Notenbank Federal Reserve.

Liegt im Clinch mit Anlegern: Jerome Powell, Vorsitzender der amerikanischen Notenbank Federal Reserve.

(Foto: Carolyn Kaster/picture alliance)

Seit Monaten liefern sich Börsenanleger und US-Notenbanker ein Duell. Jetzt könnte die Zinssitzung der Geldhüter die Entscheidung bringen.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Der Auftritt von Börsenprofessor Jeremy Siegel dauerte nur fünfeinhalb Minuten, hatte es aber in sich. Was er von US-Notenbankchef Jerome Powell halte, dem derzeit wohl wichtigsten Mann im globalen Finanzsystem? Statt diplomatischen Geschwurbels blafft Siegel in die Kamera: "Mal im Ernst", sagt der 77-Jährige in Richtung des Zentralbankers, "ich weiß wirklich nicht, auf welchem Planeten er lebt."

Siegels öffentlicher Angriff auf den Notenbankchef passt ins aktuelle Bild der Börsen: Seit Monaten duellieren sich die Anleger mit dem amerikanischen Notenbankchef. Während Powell davor warnt, dass sich die Inflation in den USA als überraschend klebrig erweisen könnte, halten die Börsen seit Monaten dagegen. Die verheißungsvolle Dreiklang-Wette der Anleger: Inflation runter, Zinsen runter, Börsenkurse rauf. "Die Börsenrally spiegelt immer deutlicher den Kampf mit der Fed", sagt Marktstratege Ben Laidler vom Onlinebroker Etoro. Nun könnte die Zinssitzung am Mittwoch eine entscheidende Wende bringen.

Die Anleger und die Fed tanzen Tango

Dass am Ende dieses Notenbankertreffens ein Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten stehen dürfte, gilt weitgehend als ausgemacht. Notenbanker haben es bereits angedeutet, auch die Börsen rechnen laut Marktprognosen zu 91 Prozent damit. Uneins sind sich Investoren und Notenbanker aber in der Frage, wie schnell die Inflation abebbt und die Zinsen wieder sinken. Während Anleger auf Erleichterung wetten, könnten sich die US-Notenbanker am Mittwoch weniger sorglos einlassen - mit Gefahren für die Kurse. "Die Politik der Fed belastet aktuell den Ausblick für die Aktienmärkte", sagt Börsenstratege Andreas Hürkamp von der Commerzbank.

Wer den aktuellen Schlagabtausch zwischen Börsen und Zentralbank verstehen will, muss sich nur die Kurse seit dem Frühsommer anschauen. Seit Mitte Juni vollführen Anleger und Notenbankchef Powell eine Art Tangotanz. Bereits dreimal haben die großen US-Leitindizes schließlich hin- und hergewogt. Jedes Mal spielte ebenjener Jerome Powell, Spitzname Jay, dabei die zentrale Rolle.

Als die Börsen von Mitte Juni bis Mitte August fast 20 Prozent zulegten, setzten sie auf eine abebbende Inflation, weniger Zinserhöhungen als Gegengift, weniger Konkurrenz durch Zinsanlagen und bessere Bedingungen für Aktien. Notenbankchef Jerome Powell sah dem Treiben bis zum 26. August für einige Wochen zu, bis er die argumentative Viererkette der Anleger mit nur wenigen Worten zerschnitt.

In seinem Statement vor Geldhütern der regionalen Notenbank von Kansas warnte Powell eindringlich vor der Inflation, die er mit höheren Zinsen "bedingungslos" bekämpfen werde. Im letzten Satz seiner Rede machte Powell seinen Zinspfad gar doppelt deutlich: "Wir werden dabei bleiben, bis wir unsere Arbeit erledigt haben", sagte der Notenbanker. Wir werden dabei bleiben? Schnell fiel Anlageprofis auf, dass auch die Biografie des einstigen Notenbankchefs Paul Volcker jenen Titel trug.

Leg dich nicht mit der Fed an

Volcker bekämpfte Ende der 1970er-Jahre wohlgemerkt mit extremen Zinsen die Inflation - und schockierte die Märkte. Der Chefnotenbanker hatte seinen Punkt gemacht, die Börsen knickten deutlich ein. Nachdem der US-Leitindex in den Wochen zuvor um bis zu 17 Prozent gestiegen war, musste er bis Ende September genau 16 Prozent wieder abgeben. Dabei schien sich eine alte Börsenweisheit zu bewahrheiten: Don't fight the Fed, besser niemals mit der US-Notenbank anlegen.

Die Anleger aber wollten sich nicht geschlagen geben, versuchten die Notenbanker abermals herausfordern. Seit Ende September setzten sie noch einmal auf geringere Inflation, geringere Leitzinsen und bessere Börsenkurse. Als die Inflationsrate in den USA für Oktober vor genau vier Wochen mit 7,7 Prozent überraschend niedrig gemeldet wurde, glaubten viele Anleger an das Unmögliche: dass sie im Duell mit der Notenbank recht behalten haben könnten.

Powells doppeltes Spiel

Wie sehr Notenbankchef Powell seitdem ein doppeltes Spiel spielen muss, wurde bei seiner Rede am 30. November deutlich. "Es ergibt Sinn, beim Tempo unserer Zinsschritte moderater vorzugehen", sagte der Notenbanker. Viele Anleger überhörten angesichts der folgenden Kursgewinne jedoch seine Einschränkung: "Es wird noch ein langer Weg, bis die Preisstabilität wiederhergestellt ist." Während die Anleger laut Markterwartungen mit ersten Zinssenkungen ab Juli oder September rechnen, sehen viele Notenbanker das erst deutlich später. In der Vergangenheit blieben die US-Leitzinsen im Schnitt elf Monate auf ihrem Plateau, bevor die Notenbank umkehrte.

Seit Monaten versuchen die Geldhüter, den enormen Preisdruck in den USA unter Kontrolle zu bringen. "Die Notenbank hat eine beispiellose Zinserhöhungsorgie hingelegt", sagt Martin Lück vom Vermögensverwalter Blackrock. Lag der Leitzins noch Anfang des Jahres an der Nulllinie, beträgt er inzwischen bereits 3,75 bis 4,00 Prozent. Während höhere Zinsen die Bauzinsen nach oben getrieben haben und den Immobilienmarkt trafen, steigen die Löhne in den Vereinigten Staaten weiter - und kürzlich stiegen sogar die Produzentenpreise wieder. Im November betrug die Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahr jedoch nur noch 7,1 Prozent, ist damit zum fünften Mal leicht zurückgegangen.

Die Börsianer hoffen nun, dass Notenbankchef Powell am Mittwoch klein beigibt und für 2023 eine Zinswende nach unten ankündigt. Sollte die Notenbank ihren Kurs drehen, könnten die Börsenkurse zulegen. Genau das brächte die Notenbanker jedoch auch in eine Falle: "Es könnte den Weg der Fed komplizieren, ihr Inflationsziel zu erreichen", sagt Daleep Singh vom Anlagehaus PGIM. Steigen die Börsenkurse, steigt schließlich oft auch die Konsumlaune vieler Amerikaner - was die Preise treiben könnte.

Mancher Anleger zittert also weiter, ob Notenbankchef Jerome Powell am Mittwoch die Kursrally an der Börse befeuert oder beendet. Dem mächtigsten Mann in der Finanzwelt würden dazu jeweils wenige Worte reichen.

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