Finanzmärkte 2018:Ende der goldenen Ära

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Börse in Frankfurt: Die Kursverläufe waren 2018 häufig turbulent. (Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Der Börsenboom, der seit März 2009 anhielt, droht zu Ende zu gehen.
  • Die Aktienmärkte sind zum Jahresende tief im Minus, für Investoren sieht es auch 2019 trüb aus.
  • Für den Kapitalmarkt haben sich über die Jahre einfach zu viele Risiken angestaut, vor allem politische.

Von Harald Freiberger, Thomas Öchsner und Jan Willmroth, Frankfurt

Bernd Meyer gebührt der zweifelhafte Ruhm, 2018 als Erster von einer "Jahresendrally" gesprochen zu haben. Es war am 28. September, als der Chefstratege der Bankhauses Berenberg sagte: "Die Jahresendrally im Dax wird holprig, aber sie kommt." Kurz darauf fielen die Aktienkurse rasant, doch vier Wochen später bekräftigte Berenberg-Kollege Henning Gebhardt noch einmal: "Wir glauben an eine Jahresendrally. Die unerwartet starken Turbulenzen seit Oktober müssten in den kommenden Wochen ein Ende finden."

Sehr viel weiter daneben kann eine Prognose kaum liegen. Denn auch im November fielen die Kurse an den Börsen deutlich, im Dezember ging es weiter nach unten, bis hin zum traurigen Tiefpunkt um Weihnachten herum, als die New Yorker Börse binnen drei Tagen fast zehn Prozent verlor. Im Vergleich zum Rekordstand im Oktober hat der US-Aktienindex S&P 500 nun 15 Prozent verloren, beim Deutschen Aktienindex liegt das Minus gegenüber dem Rekord Ende Januar sogar bei 21 Prozent, seit Jahresanfang sind es 18 Prozent.

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Aus der Jahresendrally ist Jahresendjammer geworden, zumal auch der Ausblick vieler Experten auf 2019 wenig optimistisch ausfällt. Zu groß sind die Sorgen um eine abflauende Weltkonjunktur und um politische Risiken.

Damit droht ein Börsenboom zu Ende zu gehen, der fast zehn Jahre lang anhielt. Seit März 2009 waren die Aktienkurse fast ununterbrochen gestiegen, der Wert der US-Börse hatte sich in dieser Zeit verfünffacht, der der deutschen mehr als verdreifacht. In dieser Zeit waren Aktien für Investoren stets so etwas wie eine letzte Zuflucht. Wegen der Niedrigzinspolitik der Notenbanken brachten Sparprodukte und Staatsanleihen kaum Rendite. Wenigstens an den Aktienmärkten aber war etwas zu holen. Wenn die nun auch noch ausfallen, sieht es für Investoren trüb aus. Geldanlage?

Selten war sie so schwer wie heute.

Ulrich Kater ist lange genug im Geschäft, um sich von den Kapitalmärkten nicht mehr überraschen zu lassen. So etwas wie 2018 aber, sagt er, habe es "noch nie gegeben". Seit 14 Jahren leitet Kater die volkswirtschaftliche Abteilung der Deka Bank, wo er und seine Experten ökonomische Analysen, Prognosen und Markteinschätzungen erstellen. Und wo immer sie hinschauten in diesem Jahr, sahen sie mit der Zeit rote Zahlen: Die Aktienmärkte sind zum Jahresende tief im Minus, mit Anleihen von Staaten und Unternehmen ließ sich größtenteils kein Geld verdienen, auch Rohstoffe wie Gold und Öl brachten keine Rendite.

Gäbe es einen chinesischen Kapitalmarktkalender, sagt Kater, müsste 2018 das Jahr des Wurms sein: "Es war nämlich überall der Wurm drin."

Lange hatte es so ausgesehen, als würde es an den Börsen nur noch nach oben gehen. Als stünden den wichtigsten Aktienindizes in den USA immer weiter neue Rekorde bevor, als gäbe es im neunten Jahr des globalen Börsenaufschwungs stets neue Gründe für weitere Kursgewinne: Der weltweit synchrone Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre trieb die Unternehmensgewinne, steigende Gewinne bedeuteten steigende Aktienkurse, die lockere Geldpolitik der großen Notenbanken machte Aktien zur Anlageklasse fast ohne Alternative. Aber schon zu Beginn dieses Jahres wuchsen dies- und jenseits des Atlantiks die Zweifel an diesem Gesamtbild, die Anleger wurden nervöser, die Kurse schwankten wieder stärker, die Wachstumsaussichten trübten sich ein, die US-Notenbank Fed hob mehrmals die Zinsen an - und gegen Ende des Jahres machte sich Ernüchterung breit. Sind die fetten Jahre an der Börse nun vorerst vorbei?

"Die Märkte sind anfällig für Bedenken, dass ein Abschwung nahe bevorsteht", schreiben die Kapitalmarktexperten der weltweit größten Fondsgesellschaft Blackrock in ihrem Jahresausblick. Zwar sehen sie diesen nicht unmittelbar voraus, aber wenn die Zeit der satten Gewinne am Aktienmarkt nun endet, sollte das aus ihrer Sicht niemanden überraschen. Zu viele Risiken haben sich angestaut in den vergangenen Jahren. Da wären zunächst die politischen Verwerfungen: Es bleibt fraglich, wie der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ablaufen soll, welche Folgen er hat für die Wirtschaft des Staatenbundes. Spätestens mit dem Haushaltsstreit zwischen der EU-Kommission und der Regierung in Italien wurde offenbar, wie fragil die konjunkturelle Lage in der Euro-Zone im zehnten Jahr nach Beginn der Finanzkrise immer noch ist. US-Präsident Donald Trump hat mit seiner Steuerreform die Unternehmensgewinne zu einer Zeit aufgepumpt, in der die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ohnehin schon zu überhitzen drohte. Und der Handelsstreit mit China geht spätestens im kommenden Jahr in eine neue Runde.

Derweil können die Marktteilnehmer nun nicht mehr auf die lockere Geldpolitik vertrauen, die Verschuldung günstig, Anleiherenditen niedrig und Aktien teuer gemacht hat. "Von der Geldpolitik ist 2019 bestenfalls nur eine geringe Unterstützung zu erwarten", heißt es in einer aktuellen Analyse der unabhängigen Münchner Vermögensverwaltung Fiduka. Man muss sogar mit dem Gegenteil rechnen. Als die Fed in der Woche vor Weihnachten zum vierten Mal in diesem Jahr ihren wichtigsten Leitzins anhob - auf 2,5 Prozent -, fielen die Kurse an den Weltbörsen daraufhin deutlich.

Anleihen sind gleichzeitig für Anleger noch unattraktiver geworden. Viele Investoren ziehen wegen der zunehmenden Sorgen ihr Geld aus Aktien ab, wohl oder übel müssen sie es in den riesigen Markt für sichere Staatsanleihen stecken, der schon davor kaum Rendite abwarf. Das führte dazu, dass die Kurse steigen und die Renditen automatisch weiter absacken. Die Rendite von US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit fiel seit November von 3,2 auf 2,75 Prozent, jene von Bundesanleihen von 0,36 auf 0,23 Prozent.

Und es droht weiteres Ungemach: im Markt für Unternehmensanleihen. Viele internationale Konzerne nutzten die Zeit der niedrigen Zinsen, um sich günstig zu verschulden. Während Zentralbanken wie die EZB die Renditen von Unternehmensanleihen weiter drückten, indem sie in großem Stil Anleihen am Markt aufkauften, boten die vergangenen Jahre eine gute Gelegenheit, sich mit Fremdkapital einzudecken. Beständig wuchs die Zahl der Firmen, deren Bonität sich in den Augen der Ratingagenturen nur noch knapp über Ramschniveau hält. Zum Problem wird das, weil viele institutionelle Investoren nur in Unternehmensanleihen mit guter Bonität investieren dürfen. Machen die Konzerne schlechtere Geschäfte, sinkt ihre Bonität - und Turbulenzen am Anleihemarkt sind programmiert. "Wir müssen mit einigen Verwerfungen rechnen", sagt Thomas Samson, Portfoliomanager bei der auf Unternehmensanleihen spezialisierten Investmentgesellschaft Muzinich. Ein "großes Erdbeben" werde das zwar nicht. "Aber es wird für viele Investoren schmerzhaft."

Berücksichtigt man die Teuerung, verlieren vorsichtige Sparer sogar Geld

Auch für private Anleger ist die Lage an den Finanzmärkten mit Blick auf das kommende Jahr also sehr schwierig. Man müsse kein Prophet sein, um das festzustellen, sagt Benjardin Gärtner, Leiter des Aktienfondsmanagements bei Union Investment. Allerdings sieht er wie auch mancher seiner Kollegen durchaus noch Chancen, gerade am Aktienmarkt. "Der Großteil der Unternehmen verdient immer noch gut", schreibt Gärtner in einer aktuellen Marktanalyse. Auch die Gewinnmargen seien hoch. Die Bewertungen der Aktien sind es allerdings auch, gerade in den USA. Vorsichtige Anleger sollten deshalb verhältnismäßig viel Geld auf Spar- oder Festgeldkonten halten. Wer risikofreudiger ist, kann den jüngsten Kursrutsch auch wieder zum Einstieg nutzen - muss dann aber zwingend bereit sein, zwischenzeitlich weitere Verluste auszuhalten und sollte idealerweise zehn Jahre oder länger warten können, bis er verkauft.

Sparer können im neuen Jahr auch nicht mit deutlich steigenden Zinsen rechnen. Maßgeblich ist dafür der Leitzins der Europäischen Zentralbank, der aktuell immer noch bei null Prozent liegt. Viele Ökonomen rechnen damit, dass er 2019 auf diesem Rekordtief verharren wird. Die Wahrscheinlichkeit sei gesunken, dass EZB-Chef Mario Draghi eine Zinserhöhung liefere, bevor seine achtjährige Amtszeit Ende Oktober 2019 auslaufe, sagt der Chefvolkswirt der ING in Deutschland, Carsten Brzeski. Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), befürchtet, "dass die EZB die Zinsen nicht nach dem Sommer nächsten Jahres wird erhöhen können, sondern dies hinauszögern muss".

Für Sparer verheißt dies nichts Gutes: In diesem Jahr brachte Tagesgeld nach Angaben des Vergleichsportals biallo.de im Durchschnitt um die 0,16 Prozent. Für Festgeld gab es kaum mehr. Wer sein Geld ein Jahr lang bei einer Bank anlegte, konnte mit Zinsen von um die 0,30 Prozent rechnen. Bei einzelnen Geldinstituten gibt es zum Teil mehr als das Doppelte, aber oft nur für Neukunden und für befristete Zeit. Bleibt es bei dem niedrigen Zinsniveau, dürften Sparer auch im nächsten Jahr wenig Freude an sicheren Zinsanlagen haben. Denn die Inflationsrate in Deutschland wird voraussichtlich weiter deutlich über den Mini-Zinsen liegen.

Im Jahresdurchschnitt lag die Teuerung in Deutschland bei 1,9 Prozent. Das teilte das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung mit. Einen stärkeren Zuwachs hatte es zuletzt 2012 mit durchschnittlich 2,0 Prozent gegeben. Vor allem die Preise für Heizöl und Sprit haben im Vergleich zum Vorjahr deutlich angezogen. Berücksichtigt man die Teuerung, verlieren Sparer also Geld, wenn sie sich mit festverzinslichen Anlagen begnügen. Der reale Ertrag auf Spareinlagen lag schon im dritten Quartal dieses Jahres auf einem historischen Tiefstand von minus 1,92 Prozent, rechnete die Bank Comdirect aus. Im vierten Quartal und im gesamten Jahr 2019 dürfte es kaum besser werden.

Gibt es bei all den trüben Nachrichten zum Jahreswechsel keinen Lichtblick für Anleger? Doch, einen kleinen: Der Goldpreis hat deutlich angezogen, seit Oktober ist er von 1190 Dollar pro Feinunze auf 1270 Dollar gestiegen. Das allerdings ist für sich genommen schon wieder ein Alarmsignal: Immer, wenn es turbulent wird auf der Welt und bei anderen Anlageklassen nichts mehr geht, flüchten Investoren in die Krisenwährung Gold.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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