Boeing:Was der Testpilot wusste

FILE PHOTO: Boeing 737 Max aircraft are parked in a parking lot at Boeing Field in this aerial photo over Seattle

20 Monate lang war die „737 Max“ mit Flugverboten belegt. Zuvor waren zwei Maschinen des Typs abgestürzt, 346 Menschen starben.

(Foto: Lindsey Wasson/Reuters)

Waren die Abstürze der "737 Max" vermeidbar? US-Ermittler glauben ja und erheben Anklage.

Nach wie vor ermitteln US-Behörden, warum zwei Boeing-Jets vom Typ 737 Max abstürzen konnten, nun rückt ein wichtiger früherer Mitarbeiter des Konzerns in den Fokus: Der ehemalige Chef-Testpilot der Maschine, Mark Forkner, wird angeklagt, US-Behörden falsche und unvollständige Angaben zu dem Assistenzsystem gemacht zu haben, das eine zentrale Rolle bei zwei Abstürzen des Typs spielte. Deshalb seien Airlines und deren Piloten nicht über die Funktionsweise der Software unterrichtet worden, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Anklage.

Eigentlich sollte das System mit dem Namen MCAS den Piloten der 737 Max helfen, das Flugzeug in der richtigen Position zu halten. Das wurde notwendig, weil die Maschine eine modifizierte Version der 737 aus den 1960er-Jahren ist. Die Max bekam größere Triebwerke, dadurch konnte in manchen Fällen die Nase des Flugzeugs nach oben gehen, die Software sollte dann gegensteuern. Doch wie sich herausstellte, konnte MCAS auch in anderen Situationen eingreifen und die Maschine nach unten lenken. Bei den zwei Abstürzen in Indonesien 2018 und in Äthiopien 2019 waren die Piloten nicht darauf vorbereitet. Bei den Unglücken kamen 346 Menschen ums Leben.

Die 737 Max war während der Untersuchungen für 20 Monate mit Flugverboten belegt worden, in Europa darf sie seit Januar wieder in die Luft. Die Krise kostete Boeing Milliarden. Ermittlungen gegen den Konzern selbst waren am Ende der Amtszeit von Präsident Donald Trump mit einem 2,5 Milliarden Dollar schweren Vergleich beigelegt worden.

Boeing hatte der US-Luftverkehrsbehörde FAA ursprünglich mitgeteilt, dass MCAS nur in einer seltenen Situation eingreifen solle: in scharfen Kurven bei hoher Geschwindigkeit. Doch im November 2016 stellte Testpilot Forkner im Flugsimulator fest, dass das System auch bei deutlich niedrigerem Tempo aktiv wurde. "Also habe ich die Regulierer belogen (unwissentlich)", schrieb er danach einem Kollegen im firmeninternen Chat. Dieser Austausch ist seit 2019 bekannt, seitdem stand Forkner im Visier der Ermittler. In der Anklage wird ihm jetzt vorgeworfen, er habe nach der Überraschung im Simulator bei einem Kollegen verifiziert, dass das System bei niedrigeren Geschwindigkeiten greife, und das den Regulierern verschwiegen. Deshalb sei MCAS nicht in den Unterlagen zur Schulung der Piloten für die Max-Version erwähnt worden, so die Ankläger. Die FAA sei erst nach den Abstürzen auf das System aufmerksam geworden.

Vom Ex-Testpiloten oder seinen Anwälten liegt bisher keine Reaktion auf die Anklage vor. Zu früherer Kritik nach Veröffentlichung der Chats durch Boeing hatten sie betont, dass Forkner nie wissentlich Passagiere und Besatzungsmitglieder in Gefahr gebracht habe.

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