Boeing:Was der Ausfall der "737" bedeutet

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Boeing muss seine "737"-Maschinen parken, wie hier in Kalifornien, weil sie nicht mehr fliegen dürfen. (Foto: AFP)

Der Produktionsstopp der "737 Max" hat für den amerikanischen Flugzeughersteller Boeing enorme Folgen für Umsatz und Gewinn - auch deutsche Zulieferer bekommen ein Problem.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Boeing hat die Produktion der Flugzeuge 737 Max eingestellt. Der Hersteller reagiert damit auf eine unklare Lage: Seit März 2019 darf die Boeing 737 Max nach zwei Abstürzen nicht mehr fliegen. 346 Menschen kamen bei den Unfällen ums Leben. Obwohl der Hersteller die Flugsteuerung überarbeitet hat - die Hauptursache beider Katastrophen - verzögert sich die Zulassung und mit ihr die Rückkehr der 737 immer mehr.

Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum hat sich Boeing so entschieden?

Boeing hat schon vor Monaten klargemacht, dass ein Produktionsstopp irgendwann unausweichlich sein wird. Bis zuletzt hatte das Unternehmen gehofft, dass die US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) die 737 Max bis Jahresende wieder zulassen würde. Der Prozess dauerte nun aber länger als vorgesehen. Weder die FAA noch die europäische Flugsicherheitsagentur oder die chinesische Luftfahrtbehörde haben sich auf einen Zeitplan festgelegt. Boeing musste also reagieren.

Um wie viele Flugzeuge geht es?

Als im März nach den beiden Abstürzen der Lion Air und Ethiopian Airlines das weltweite Flugverbot für die Max in Kraft trat, hatte Boeing bereits knapp 400 Maschinen an Kunden ausgeliefert. Seither hat der Konzern unter der Annahme, die Flotte würde nur wenige Monate am Boden stehen, etwa 400 weitere Max gebaut, die nun an mehreren Flughäfen in den USA geparkt und eingemottet sind. Unter anderem hat Boeing einen großen Parkplatz für die Mitarbeiter am Werk Renton in Abstellflächen für die 737 umgewandelt. Dort alleine stehen etwa 40 Maschinen. Die neu produzierten, aber nicht ausgelieferten Jets, dürften einen Wert von 20 Milliarden Dollar haben. Auch ein Unternehmen der Größe Boeings kann es sich nicht auf Dauer leisten, weiter Kapital in dieser Höhe zu binden. Hinzu kommt, dass der Neustart, wenn die Max wieder fliegen darf, äußerst komplex sein wird. Flugzeuge, die lange am Boden stehen, müssen ein ausführliches Wartungsprogramm durchlaufen, bevor sie wieder starten können. Zudem muss die neue Version der Software Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) aufgespielt werden. Diese Software war der Hauptgrund für die Abstürze und musste daher stark verändert werden. Auch die Fluggesellschaften können die Maschinen nicht sofort wieder einsetzen, unter anderem müssen ihre Piloten geschult werden - wie aufwendig dies sein wird, darüber sind sich die Zulassungsbehörden noch nicht einig.

Hat Boeing die Lage unterschätzt?

Ganz eindeutig. Dem Flugzeughersteller war offenbar nicht klar, welche fatalen Konsequenzen der Einsatz der Software haben würde. Auch nach den Abstürzen unterschätzte das Unternehmen, wie lange es dauern würde, bis die Flugzeuge wieder fliegen würden. Eine zentrale Rolle bei den aktuellen Entwicklungen spielt der neue Chef der US-Luftfahrtbehörde, Steve Dickson. Der ehemalige Flugbetriebsleiter von Delta Air Lines hat sich innerhalb von Monaten den Ruf erarbeitet, sehr auf die Unabhängigkeit seiner Behörde zu achten und sich von Boeing auf keinen Fall unter Druck setzen zu lassen. Das Verhältnis zwischen ihm und Boeing-Chef Dennis Muilenburg ist sehr angespannt - und das ist noch freundlich umschrieben. Erst vor wenigen Tagen ließ Dickson Boeing öffentlich empfehlen, die Behörde nicht länger mit öffentlich kommunizierten Zeitplänen indirekt unter Druck zu setzen. Das viel kritisierte Delegieren von Zulassungsarbeiten, in der Branche allgemein üblich, hat er bei der Max nun komplett außer Kraft gesetzt. Für jede einzelne Maschine werden daher Behördenmitarbeiter die Dokumentation für die Lufttüchtigkeit durchführen, bei routinemäßigen Auslieferungen übernimmt dies der Hersteller selbst.

Wie lange ist die Produktion ausgesetzt?

Boeing hat dafür keinen Zeitplan genannt, nur so viel: Die Produktion soll erst dann wieder anlaufen, wenn die Max wieder fliegen darf. Würde Boeing davon ausgehen, dass es sich nur noch um wenige Wochen mehr handelt, die zu überbrücken sind, wäre die Entscheidung sicher anders ausgefallen. Der Stopp ist ein sicherer Hinweis, dass Boeing zu der Erkenntnis gekommen ist, dass es sich eher um Monate handeln wird. Wann die Max wieder zugelassen wird, weiß niemand. Viele Insider gehen davon aus, dass es bis zum Ende des ersten Quartals dauern könnte, bis die US-Behörde die Max wieder freigibt. Danach wird es voraussichtlich noch mehrere Wochen oder Monate dauern, bis andere Behörden nachziehen.

Was bedeutet der Produktionsstopp wirtschaftlich für Boeing?

Der Ausfall der 737 Max wird also enorme Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn haben, und zwar nicht nur in der Zeit des Produktionsstopps, sondern lange darüber hinaus. Die 737 ist Boeings volumenstärkstes Programm mit der besten Gewinnmarge. Bis auf Weiteres besteht der Zivilflugzeugbau nur noch aus den Langstreckenjets 747, 777 und 787 , die aber in viel geringeren Stückzahlen gebaut werden. Die 787 zum Beispiel kommt derzeit auf 14 Maschinen pro Monat, die anderen beiden liegen deutlich darunter. Der Marktanteil von Airbus lag schon vor dem Grounding der 737 Max im Kurz- und Mittelstreckengeschäft bei etwa 60 Prozent und wird 2019 sowohl bei neuen Aufträgen und erst recht bei den Auslieferungen drastisch ansteigen. Auch 2020 dürfte Airbus den Markt dominieren.

Wie schlimm ist die Entscheidung für die Fluggesellschaften und Lieferanten?

Die finanziellen Folgen sind auch für die Fluggesellschaften enorm. Allein Tui beziffert den Schaden bislang auf mehr als 300 Millionen Euro. Weil sich die Rückkehr der Max weiter verzögert, dürfte die Summe noch deutlich anwachsen. Generell versuchen die Airlines, Maschinen, die eigentlich durch die 737 Max hätten ersetzt werden sollen, länger zu fliegen und große Wartungsarbeiten zu verschieben. Dies geht aber nicht immer. Viele Airlines haben daher geplantes Wachstum verschieben oder reduzieren müssen. Sie alle fordern von Boeing Schadenersatz. Den Airlines hilft, dass die Nachfrage nicht mehr so stark wie in den vergangenen Jahren steigt. Damit wird der Druck, zusätzliche Kapazität zu finden, geringer. Besonders stark trifft der Produktionsstopp Lieferanten. Bislang haben sie weiterhin Komponenten an Boeing geliefert, auch wenn die Maschinen am Boden geblieben sind. Sie müssen nun große Umsatzeinbrüche befürchten. Am stärksten betroffen sind Spirit Aerosystems aus Wichita, Hersteller des Rumpfes, und das Triebwerkskonsortium CFM International, bestehend aus General Electric und Safran. Aber auch viele kleinere Unternehmen, wie etwa der deutsche Sitzhersteller Recaro Aircraft Seating, müssen ihre Produktionspläne überarbeiten.

© SZ vom 18.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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