Vor fast einem Jahr ist Kelly Ortberg Chef des amerikanischen Luftfahrtkonzerns Boeing geworden und seither hat er sich in der Öffentlichkeit äußerst rar gemacht. Sehr wenige Auftritte außerhalb des Unternehmens, fast gar keine Interviews, selbst die Wall Street bekommt derzeit keine Prognosen in Sachen Finanzen oder Produktion. Die Absicht ist klar: Ortberg will zeigen, dass ihn nichts ablenken soll bei dem Versuch, die große Krise des Flugzeugbauers zu bewältigen.
So gesehen war sein Auftritt an diesem Mittwoch bei einem Hearing des amerikanischen Senates schon eine Besonderheit. Einerseits konnte er Fortschritte bei seinem Versuch vermelden, die Produktionsqualität der Zivilflugzeuge zu verbessern. Zudem hatte Boeing wenige Tage zuvor den Zuschlag für die Entwicklung des Kampfflugzeuges X-47 bekommen, ein Multi-Milliarden-Projekt, das praktisch sicherstellte, dass Boeing über die nächsten Jahrzehnte ein wichtiger Lieferant des US-Militärs bleiben wird. Andererseits hatte US-Präsident Donald Trump noch nicht seine neuesten Ideen in Sachen Zölle präsentiert, wodurch Ortberg dieses für Boeing äußerst heikle Thema gewissermaßen elegant umfliegen konnte.
Boeings schon lange schwelende Krise war Anfang 2024 kulminiert, als sich bei einer 737-9 der Alaska Airlines ein Rumpfteil im Flug verabschiedete und nur mit viel Glück niemand ernsthaft zu Schaden kam. Der Vorfall offenbarte aber das ganze Ausmaß der Mängel in der Produktion, die nun eine Dimension erreicht hatten, die die Sicherheit der Passagiere gefährdete. Mitarbeiter hatten vergessen, das Bauteil nach einer Reparatur wieder ordentlich zu befestigen. Ortbergs einfallsloser Vorgänger David Calhoun musste gehen und Ortberg selbst machte sich an die Rundumerneuerung. Denn wie er gegenüber dem Ausschuss für Handel, Wissenschaft und Verkehr zugab, seien die Fehler „ernst“ und „inakzeptabel“ gewesen.
Der Umbau der Produktion zeigt nun offenbar erste positive Wirkung. So hat Boeing etwa die Regel eingeführt, dass ein Flugzeug erst von einer Station zur nächsten wechseln darf, wenn nicht zu viele Mängel aufgetreten sind oder Teile fehlen. Zuvor waren die Maschinen durch die Hallen geschleust worden und wurden am Ende unfertig abgestellt, bis alle Nacharbeiten erledigt waren. Bei 800 geplanten Wechseln seien 200 gestoppt worden, berichtete Ortberg, weil das Risiko, das System wieder durcheinanderzubringen, zu groß gewesen sei. Die Zahl der Arbeitsschritte, die nicht an der eigentlich vorgesehenen Stelle stattfinden, sei um die Hälfte gesunken. „Wir verbessern diese Zahlen weiter“, sagt Ortberg.
Die Aufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) hatte noch unter dem ehemaligen Präsidenten Joe Biden durchgegriffen und Boeing verboten, mehr als 38 Maschinen der 737-Serie pro Monat zu bauen, bis ein Audit belegte, dass bei höheren Raten die Qualität immer noch gesichert ist. Boeing ist derzeit noch deutlich von einem solchen Volumen entfernt, aber Ortberg hofft nach eigenen Worten, dass der Konzern im Laufe des Jahres 2025 wieder mehr als die vorgegebenen 38 Maschinen produzieren wird. Es scheint wahrscheinlich, dass die FAA dies erlauben wird. Abgesehen von den Zoll-Entscheidungen entpuppte sich die Trump-Regierung bislang als relativ Boeing-freundlich – nicht einmal die Verspätungen bei der neuen Air Force One haben für den erwarteten Ärger gesorgt.
Die Zölle allerdings könnten das Momentum stoppen, denn sie werden sehr wahrscheinlich die sowieso schon äußerst fragilen Lieferketten in der Luftfahrt und bei Boeing weiter durcheinanderbringen. Gerade amerikanische Luftfahrtunternehmen, Boeing und Lieferanten, hatten in den letzten Jahren einen Teil der Produktion von Komponenten nach Mexiko verlegt, weil dort die Lohnkosten geringer und die Qualität vergleichbar ist. Dies rückgängig zu machen, dürfte lange dauern und die Kosten in die Höhe treiben. Und Boeing drohen die indirekten Folgen, wenn andere Länder Importe aus den USA mit Zöllen belegen. Flugzeuge wären ein sehr symbolträchtiges Ziel.