Cargo-Boom:Volle Fracht voraus

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Frachtmaschinen wie die Boeing "777-8F" sind zurzeit sehr gefragt. Die Branche hofft auf einen Boom, der lange anhält. (Foto: Boeing/oh)

Weil so viele Passagiermaschinen am Boden bleiben, sind Frachtflugzeuge plötzlich gefragt wie nie. Für die Hersteller ist das lukrativ - und ein Kraftakt.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Das Setting war dem Anlass mehr als angemessen. Qatar Airways-Chef Akbar Al Baker und Boeing-Vorstandschef David Calhoun trafen sich zur Vertragsunterschrift im Weißen Haus. Schließlich weilt der Emir von Katar zum Staatsbesuch in den USA und bei diesen Anlässen geben die beteiligten Regierungen bekanntlich gerne den bildlichen Rahmen für Vereinbarungen, die Wachstum und Wohlstand versprechen.

Der Anlass: Al Baker bestellte bei Boeing als Erstkunde 34 Maschinen des neuen Frachtmodells 777-8F, den Boeing 2027 erstmals ausliefern und der im Portfolio die alternden 747 ersetzen wird. Dass Qatar Airways das Programm offiziell starten würde, war seit Monaten ein offenes Geheimnis und für Boeing trotzdem eine sehr willkommene gute Nachricht, denn die industrielle Krise des Konzerns ist noch lange nicht überwunden. Für Boeing war die Unterschrift deswegen so erfreulich, weil Qatar Airways sich wegen des erbitterten Streites mit Airbus um Qualitätsmängel beim Langstreckenjet A350, nun offenbar für lange Zeit von dem europäischen Hersteller abwendet. Die Fluggesellschaft kündigte nebenbei auch noch einen Auftrag über 50 Modelle des Typs 737-10 an, der eine von Airbus stornierte Bestellung an A321neo ersetzen soll.

Der Start des neuen Boeing-Modells verdeutlicht, wie groß die Hoffnungen sind, die die Branche insgesamt in die Fracht setzt. Gerade erst hat die International Air Transport Association (IATA) die Verkehrszahlen für 2021 veröffentlicht. Demnach lag die Nachfrage im Passagierverkehr immer noch um 58 Prozent unter dem Niveau von 2019, eine für jede Industrie katastrophale Situation. Ganz anders die Lage in der Fracht: Die Nachfrage lag 2021 6,9 Prozent höher als zwei Jahre zuvor. Die Kapazität allerdings befand sich noch zehn Prozent unter dem Vorkrisen-Niveau. In der Folge waren die Preise im Dezember 2021 um die Hälfte gegenüber 2019 gestiegen.

Die Fracht ist derzeit ein äußerst lukratives Geschäft und viele Beobachter gehen davon aus, dass der Boom noch lange anhält. Viele Lieferketten sind pandemiebedingt weiter durcheinander, daher werden derzeit mehr Komponenten für Schlüsselindustrien per Luftfracht befördert. Auch das Wachstum im E-Commerce hilft enorm. Hinzu kommt, dass der internationale Passagierverkehr immer noch bei gerade mal 25 Prozent des früheren Aufkommens liegt. Normalerweise wird die Hälfte der Luftfracht an Bord von Passagiermaschinen befördert, doch wenn die nur viel seltener eingesetzt werden, müssen reine Fracht-Jets übernehmen.

Für die beiden großen Flugzeughersteller bedeutet die enorme Nachfrage erst einmal Milliarden-Investitionen. Vor allem Airbus hatte das Frachtgeschäft über Jahrzehnte vernachlässigt. Das einzige zuletzt angebotene Modell, die A330F, war ein Flop. Ende 2021 beschloss Airbus, einen Frachter auf der Basis des Langstreckenjets A350 zu entwickeln - die Maschine wollen bislang unter anderem Singapore Airlines, Air France-KLM, Air Lease Corporation und die Reederei CMA kaufen. 2025 sollen die ersten A350-Frachter ausgeliefert werden.

Die Luftfahrtbehörden schauen bei Boing nach dem Absturz der zwei "737-MAX" genauer hin

Boeing musste aber nicht nur deswegen dringend handeln. Die International Civil Aviation Organization (ICAO), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, hatte 2017 neue Emissionsstandards beschlossen. Demnach können alle aktuellen Frachtflugzeuge des in dem Segment führenden Herstellers ab 2027 nicht mehr weitergebaut werden. Beim Jumbojet 747 erledigt sich das Problem von selbst - nach über 40 Jahren wird die Produktion im Oktober 2022 sowieso eingestellt. Bei der deutlich kleineren 767 hofft Boeing noch auf eine Verlängerung, die aber unwahrscheinlich ist. Bei der 777, die in Größe und Ladevolumen an die 747 fast heranreicht, hat Boeing nun die Konsequenzen gezogen.

Rund fünf Jahre Entwicklungszeit bleiben für das Modell, das ist nicht üppig. Fast untergegangen in der Freude über den Qatar Airways-Auftrag ist, dass Boeing deswegen eine der beiden Passagierversionen der 777X um mehrere Jahre auf mindestens 2028 verschiebt. Gleichzeitig sind die Entwicklungsarbeiten für die beiden Modelle nicht zu leisten. Die 777-9 soll offiziell Ende 2023 ausgeliefert werden, unter anderem an den Erstkunden Lufthansa, vier Jahre später dann die Frachtversion, dann die kleinere 777-8. Doch auch der aktuelle Zeitplan für die erste Passagiervariante gilt nach jahrelangen Verzögerungen immer noch nicht als gesichert. Die amerikanische Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) und die European Union Aviation Safety Agency (EASA) schauen sich jedes neue Boeing-Projekt nach dem Desaster rund um die zwei 737-MAX-Abstürze nun bis ins Detail an.

Auch die aktuelle Produktion bereitet weiter Sorgen: Der Hochlauf bei der 737 gelingt nur langsamer als geplant. Mehr als 100 Langstreckenjets vom Typ 787 stehen auf Halde und warten auf Nacharbeiten. Auslieferungen sollen erst im zweiten Quartal wieder aufgenommen werden.

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