Quälende Monate lang hatte sich die Suche nach dem Chef hingezogen, quälende Monate, in denen der US-Flugzeughersteller Boeing einfach nicht aus den Negativschlagzeilen herauskam. Wegen eines Rumpfteils, das mitten im Flug herausbrach, wegen der Pannen in der Produktion, die sich partout nicht abstellen ließen. Wegen der eklatanten Managementfehler, die Boeing – einst die unangefochtene Nummer eins in der Branche – weit hinter Airbus haben zurückfallen lassen.
Nun ist immerhin klar, wer das Unternehmen künftig, also bereits vom 8. August an, führen wird. Kelly Ortberg heißt der Mann. Der 64-Jährige war eigentlich schon im Ruhestand. Bis 2021 bekleidete er diverse Führungspositionen in der Luftfahrtindustrie. Fünf Jahre diente er zum Beispiel als Vorstandschef bei Rockwell Collins, einem wichtigen Zulieferer, zu dessen Kunden auch Boeing zählte. 2018 wickelte er erfolgreich die Fusion seines Unternehmens mit UTC Aerospace ab. Und im fusionierten und nach diversen weiteren Umstrukturierungen in RTX umbenannten Luftfahrt- und Rüstungskonzern fungierte er als Vorstandschef.

„Kelly ist eine erfahrene Führungspersönlichkeit, die in der Luftfahrtindustrie großen Respekt genießt“, heißt es in der Pressemitteilung, die Boeing am Mittwoch verschickte. Ortbergs Vorgänger Dave Calhoun hatte im Frühjahr nach massivem Druck den Rückzug bis zum Jahresende bekanntgegeben. Ortberg selbst ließ nun verlauten, er fühle sich „geehrt“, in ein solch traditionsreiches und in der Branche führendes Unternehmen einzutreten. Er freue sich auf die Aufgabe und betonte: „Es gibt viel zu tun“.
Das stimmt wohl. Die Krise bekommt Boeing seit Jahren nicht in den Griff. Es begann mit zwei verheerenden Flugzeugabstürzen des Typs 737 Max in den Jahren 2018 und 2019, bei denen in Indonesien und Äthiopien zusammengenommen fast 350 Menschen ihr Leben verloren. Die Flugunfall-Untersuchungen ergaben, dass eine von Boeing verantwortete fehlerhafte Flugsteuerungssoftware die Abstürze verursacht hat.
Bei der Aufklärung der beiden Unfälle und durch Aussagen von Whistleblowern wurde deutlich, dass bei Boeing jahrelang eine Kultur herrschte, in der auf Ingenieure ein großer Druck ausgeübt wurde. Intern geäußerte Bedenken sollen abgetan worden sein, selbst dann, wenn es um Sicherheitsaspekte ging. Das Ziel: Um jeden Preis zum europäischen Konkurrenten Airbus aufschließen, der im Segment der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge der US-Konkurrenz weit enteilt war.
Fast zwei Jahre lang durften die 737-Max-Modelle weltweit nicht starten, ein beispielloser Vorgang in der Geschichte der Luftfahrt – und ein riesiger Imageverlust für Boeing. Doch die Probleme mit der 737-Max ziehen sich bis in die jüngste Gegenwart. Im Januar kam es zu einem Beinahe-Unfall mit einer Maschine der Alaska Airlines. Die Schuld lag klar bei Boeing. Mechaniker im Montagewerk in Renton im US-Bundesstaat Washington hatten das Teil nicht mit den dafür vorgesehenen Schrauben fixiert. Der Vorfall stand symbolisch für die jahrelangen Versäumnisse in der Boeing-Produktion, auf die schließlich auch die US-Flugaufsicht FAA reagierte. Sie erlegte Boeing eine Höchstgrenze bei der Produktion auf. Mehr als 38 Exemplare der 737 Max pro Monat darf sie nicht produzieren.
Boeing versichert, man habe aus den Pannen gelernt. Man habe die Produktion umgestellt, sei dabei, die Probleme bei Zulieferern schrittweise abzustellen und mehr in die Schulung der Mechaniker zu investieren. Im Juni ließ der Konzern erstmals seit Jahren wieder Journalisten in sein Werk, um die Fortschritte nach außen zu dokumentieren. Etwa 20 Milliarden US-Dollar soll das Debakel mit der 737-Max bislang gekostet haben.

Und es ist nicht so, dass es bei anderen Flugzeugmustern reibungslos läuft. Auch in der Montagelinie des Großraumjets 787 im Bundesstaat South Carolina läuft die Produktion nur verlangsamt. Dort sind Probleme aufgetaucht, die mit der 737-Krise nichts zu tun haben.
Noch schreibt Boeing jedes Jahr Milliardenverluste. Im vergangenen Quartal wurden nur 92 Maschinen ausgeliefert, der Umsatz ging im Jahresvergleich um 15 Prozent zurück. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Vor einigen Tagen hat die US-Aufsichtsbehörde den Weg für die Tests des neuen Langstreckenflugzeugs 777X freigemacht. Womöglich können 2025 die ersten Maschinen dieses Typs an die Kunden Lufthansa und Emirates ausgeliefert werden – fünf Jahre später als geplant.