Boeing 737 Max:US-Luftfahrtbehörde gerät wegen Boeing-Zulassung in Bedrängnis

  • Die Sorgen, dass Boeing und die US-Luftfahrtbehörde FAA bei der Zulassung des Flugzeuges massiv geschlampt haben, werden immer größer.
  • Einem Bericht zufolge ermittelt mittlerweile neben den zuständigen Behörden sogar die US-Strafjustiz.
  • Die FAA soll demnach das Flugkontrollsystem MCAS genehmigt haben, obwohl große Mängel bestanden.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Mutmaßliche Mängel an einem Flugsteuerungssystem der Boeing 737 Max haben nun auch die amerikanische Justiz alarmiert. Nach einem Bericht des Wall Street Journal hat ein Washingtoner Gericht interne Dokumente, darunter E-Mails und weitere Korrespondenz zwischen dem Flugzeughersteller und der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) angefordert. Sollte sich nach Auswertung der Dokumente der Verdacht auf Schlampereien und Fehler bei der Zulassung des Flugzeuges erhärten, könnten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und Anklagen folgen.

Der Schritt ist im Rahmen von Flugunfalluntersuchungen äußerst ungewöhnlich. Normalerweise wird die Aufklärungsarbeit den speziell dafür zuständigen Behörden überlassen, die Strafjustiz greift selten von sich aus ein - und schon gar nicht in einem so frühen Stadium der Analyse. Dass sie es dennoch tut, macht deutlich, wie groß die Sorge mittlerweile ist, dass Boeing und die FAA bei der Zulassung des Flugzeuges massiv geschlampt haben. Der Konzern und die Behörde betonen hingegen, die Zertifizierung sei wie üblich abgelaufen.

Zwei Maschinen des Typs Boeing 737 Max 8 waren innerhalb der letzten knapp fünf Monate abgestürzt - zuerst ein Flugzeug der indonesischen Lion Air am 29. Oktober 2018, dann ein Jet der Ethiopian Airlines am 10. März. Insgesamt waren dabei 346 Menschen ums Leben gekommen. Seit vergangenem Mittwoch gilt ein weltweites Flugverbot für die Max-Baureihe - die FAA hatten dies als letzte der großen Behörden beschlossen.

Bei der Lion-Air-Katastrophe hat das sogenannte Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) gemäß dem Zwischenbericht der indonesischen Flugsicherheitsbehörde eine entscheidende Rolle gespielt. Das äthiopische Verkehrsministerium sprach am Sonntag davon, dass der Verlauf des zweiten Absturzes Parallelen zum ersten aufweise. Details der Aufnahmen sind noch nicht öffentlich zugänglich. Die französische Flugunfalluntersuchungsstelle BEA hatte den Inhalt des Stimmenrekorders und des Flugdatenschreibers am Wochenende heruntergeladen und an die äthiopischen Kollegen übergeben.

MCAS war bei der neuesten Version der 737 eingeführt worden, um die aerodynamischen Unterschiede zum Vorgängermodell für die Piloten zu minimieren, denn die Triebwerke des Jets sind größer, schwerer und weiter vorne am Flügel angebracht. In bestimmten Fluglagen drückt MCAS die Nase des Flugzeuges nach unten, um einen Strömungsabriss und damit einen Verlust des Auftriebs zu verhindern.

MCAS kann sehr wohl zu einer Gefahr für die Flugsicherheit werden

Einem Bericht der Seattle Times zufolge hat die FAA MCAS wie von Boeing vorgeschlagen genehmigt, obwohl große Mängel bestanden. Gemäß einem Dokument sollte MCAS das für die Fluglage maßgebliche Höhenleitwerk nur um maximal 0,6 Grad verstellen können, tatsächlich aber seien bis zu 2,5 Grad möglich - also mehr als das Vierfache des geplanten Wertes. Dass MCAS nach einem Gegensteuern des Piloten erneut automatisch eingreife, sei in der Dokumentation hingegen nicht aufgeführt. Dies ist aber entscheidend, weil damit sehr schnell der maximale Ausschlag erreicht sein kann.

Der dritte gravierende Vorwurf: MCAS bezieht seine Daten nur von einem Sensor. Boeing hat das offenbar damit begründet, dass es sich bei dem System nicht um einen zentral sicherheitsrelevanten Teil der Steuerung handelt - dann wäre mindestens ein weiterer Sensor zum Datenabgleich vorgeschrieben. Allerdings ignoriert diese Argumentationsweise, dass MCAS sehr wohl zu einer Gefahr für die Flugsicherheit werden kann, wenn, wie beim Lion-Air-Flug 610 oder mutmaßlich bei Ethiopian 302, die Daten nicht stimmen. Allerdings hat zumindest beim Lion-Air-Absturz ein weiterer Faktor eine wichtige Rolle gespielt: Die Piloten wussten schlicht nicht, welches System die Nase nach unten drückt, und dass sie es ganz einfach hätten ausschalten können. Boeing wird auch vorgeworfen, Kunden und Piloten nicht genügend über MCAS informiert zu haben, um den Airlines höhere Kosten für die Ausbildung ihrer Crews zu ersparen und die 737 Max im Wettbewerb mit dem Airbus A320neo attraktiver zu machen.

Die FAA leidet seit Langem unter Personalmangel

Die jetzigen Voruntersuchungen der Justiz beziehen sich zudem auf die Rolle der FAA. Diese habe laut Seattle Times bei der Zertifizierung der 737 Max massiv geschlampt und die Zulassung kritischer Systeme sogar an Boeing delegiert. FAA-Ingenieure, die auf genauere Analysen bestanden hätten, seien von der Führungsebene der Luftfahrtbehörde gedrängt worden, das Verfahren zu beschleunigen.

Die FAA leidet seit Langem unter Personalmangel und knappen Budgets. Gleichzeitig aber werden die Anforderungen immer größer, weil die zuzulassenden Flugzeuge immer komplexer geworden sind. Seit Jahren ist es daher üblich, dass die FAA einen Teil ihrer Arbeit an Boeing-Mitarbeiter delegiert. Besonders sicherheitsrelevante Systeme waren davon aber bislang größtenteils ausgenommen.

Boeing hatte die 737 Max-Baureihe im Jahr 2011 angekündigt, nachdem ein Großauftrag von American Airlines an Konkurrent Airbus verlorenzugehen drohte. Durch den Schritt konnte Boeing wenigstens einen Teil des Milliardendeals retten. Die erste 737 Max wurde im Jahr 2017 ausgeliefert. Mittlerweile sind gut 370 Maschinen im Linieneinsatz.

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