Süddeutsche Zeitung

Boeing:Der Jumbo-Jet steht vor dem Aus

  • Erst mit der Boeing 747 wurde Fliegen wirklich bezahlbar und dadurch zum Massenphänomen.
  • Doch nun erwägt Boeing, die Produktion einzustellen. Und auch hinter der Zukunft des Airbus A380 steht ein großes Fragezeichen.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Der entscheidende Satz steht auf Seite 17 der sogenannten Form 10-Q. Unternehmen in den USA müssen diese an die Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) schicken, wenn sie ihre Quartalszahlen veröffentlichen. Der Flugzeughersteller Boeing schrieb dieses Mal aber ziemlich verschwurbelt Folgendes: Es sei "ziemlich denkbar, dass wir entscheiden könnten, die Produktion der 747 zu beenden".

Erstmals hat Boeing damit selbst das Ende des legendären Jumbo-Jets in Aussicht gestellt. Schon länger hat der Konzern große Mühe, Kunden für sein mit Abstand größtes Flugzeug zu finden. Das Aus, sollte es dazu kommen, wäre nicht nur das Ende irgendeines Flugzeugprogramms. Wie kaum ein anderer Jet hat der Jumbo die Luftfahrt revolutioniert, erst mit der 747 wurde Fliegen zum Massenphänomen und gleichzeitig spektakulär, angesichts der schieren Größe des Flugzeuges, der markanten Form der Nase und des Oberdecks, in dem sich in den Anfangszeiten die Bar der First Class befand. Auf gewisse Weise wird der Jumbo nun Opfer seines eigenen Erfolges. Denn erst auf der Basis, die er geschaffen hat, konnten sich Boeing und Airbus erlauben, die neuen Generationen von Langstreckenmaschinen zu entwickeln, die ihn nun obsolet zu machen drohen.

Die Entwicklung trieb Boeing an die Grenze des finanziellen Ruins

Dass es die Boeing 747 überhaupt gibt, ist in erster Linie dem damaligen Chef der amerikanischen Fluggesellschaft Pan Am, Juan Trippe, zu verdanken. Trippe wollte unbedingt ein riesiges neues Langstreckenflugzeug, mehr als doppelt so groß wie die bislang üblichen Jets, etwa die 707 oder die Douglas DC-8. Boeing ließ sich überzeugen, schließlich hatte das Unternehmen an Konzepten für einen Militärfrachter gearbeitet, die dem Projekt helfen würden.

Trippe unterschrieb am 13. April 1966, also vor ziemlich genau 50 Jahren, den Erstauftrag über 25 Boeing 747. In den kommenden Jahren herrschte bei den Boeing-Ingenieuren angesichts der riesigen technischen Probleme, die die Entwicklung der 747 bedeutete, ständiger Ausnahmezustand. "Manchmal bin ich auch mit dem Hubschrauber zu irgendwelchen Not-Besprechungen geflogen, damit es schneller geht", erinnert sich der heute 96-jährige Chefingenieur Joe Sutter. "Es war eine wilde Zeit." Und eine Zeit, die Boeing an den Rande des finanziellen Ruins trieb.

Am 9. Februar 1969 flog die 747 zum ersten Mal, Pan Am setze die erste Maschine am 21. Januar 1970 ein - wegen eines Triebwerksproblems musste die Clipper Victor für die eigentlich vorgesehene Clipper Young America einspringen für den Erstflug von New York nach London. Auch die Lufthansa war für das Programm wichtig: Im April 1966 bestellte sie die ersten drei Maschinen, im April 1970 setzte sie die 747 erstmals ein (nach New York). Und sie drängte Boeing stets, die 747 immer weiter zu modernisieren - zuletzt war sie 2006 Erstkunde (und bis heute einer der wenigen Besteller) der neuesten, letztlich aber erfolglosen Version 747-8.

Auch hinter der Zukunft der "A380" steht ein großes Fragezeichen

1970 markiert auch in einer weiteren Hinsicht einen Höhepunkt in der Geschichte der 747: Boeing lieferte damals 92 Maschinen aus, so viele wurden es danach niemals mehr in einem Jahr. Tatsächlich hat die Produktion oft stark geschwankt: 1980 waren es einmal 73 Maschinen, 1990 immerhin 70. Aber es gab zwischendurch immer wieder Krisen: 1984 nur 16 Flugzeuge, 2003 nur 19. Generell ist der Trend bei der 747 seit gut zehn Jahren negativ.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Boeing, aber auch Airbus, haben vor allem dank neuer Triebwerkstechnologie immer bessere, kleinere Langstreckenjets gebaut, die Ziele anfliegen konnten, die für die 747 kein ausreichendes Passagieraufkommen haben. Die jüngste Flugzeuggeneration wie die 787, der Airbus A350 und bald die 777X sind auch bei den Stückkosten unschlagbar. Und je mehr von den kleinen Jets unterwegs sind, desto mehr untergraben sie die Märkte, aus denen die Umsteiger kommen, die an den Drehkreuzen die Jumbos füllen. Genau die gleichen Ursachen stehen auch hinter der Krise des Airbus A380, dessen Produktion bis 2018 von 27 auf zwölf Flugzeuge zurückgefahren werden soll.

Auch hinter der Zukunft der A380 steht ein großes Fragezeichen. Noch ist das Ende der 747 nicht beschlossene Sache, aber der langjährige Trend müsste sich drehen - und zwar schnell. Darauf deutet indes nichts hin. Aktuell hat Boeing nun angesichts von nur noch 21 Maschinen im Auftragsbestand entschieden, die Produktion im Jahr 2019 nicht mehr wie vorgesehen von sechs Maschinen auf zwölf zu erhöhen. Wegen der zu erwartenden Verluste hat der Konzern eine Sonderabschreibung von 1,2 Milliarden Dollar verbucht. Ursprünglich hatte Boeing gehofft, gegen Ende des Jahrzehnts wieder mehr Jumbos bauen zu können, wenn vor allem die Nachfrage nach Frachtern wieder anziehen würde. Selbst bei der reduzierten Rate muss Boeing bis 2019 32 Maschinen verkaufen, aber schon jetzt stehen mehrere fertige sogenannte "White Tails", also Jets ohne Kunden, in der Fabrik in Everett.

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SZ vom 29.07.2016/jps
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