Es war zuletzt für beide großen Flugzeughersteller kaum mehr mit anzusehen. Die Flugzeugrümpfe, die Boeing von seinem wichtigsten Lieferanten Spirit Aerosystems aus Wichita im US-Bundesstaat Kansas erhielt, waren gespickt mit Fertigungsfehlern. Und große Komponenten wie Rumpfsektionen und Tragflächen, die Airbus bei Spirit fertigen lässt, kamen zuletzt so verspätet, dass sie den längst überfälligen Hochlauf der Produktion unmöglich machten. Es war klar, so konnte es nicht weitergehen.
Nach äußerst komplizierten Verhandlungen haben Airbus und Boeing nun die Konsequenzen gezogen: In der Nacht auf Montag gaben die beiden Flugzeugbauer bekannt, dass sie Spirit übernehmen und untereinander aufteilen werden. Boeing wird dabei all jene Unternehmensteile kaufen, die mit den eigenen Programmen zu tun haben. Airbus tut auf seiner Seite das Gleiche. Keiner der beiden Konzerne hatte eigentlich Lust, einen so großen Lieferanten erst zu integrieren und dann zu sanieren. Doch hatten sie am Ende offenbar keine Wahl.
Spirit ist vor ziemlich genau 20 Jahren aus dem ehemaligen Boeing-Werk Wichita hervorgegangen. Über Jahrzehnte hatte der US-Hersteller dort den Rumpf des Kurz- und Mittelstreckenflugzeuges 737 bauen lassen. 2004 aber beschloss Boeing, den Standort zu verkaufen und langfristig als Lieferant an sich zu binden. Spirit sollte sich aber als Spezialist für Flugzeugstrukturen auch für andere Hersteller etablieren. Bei Airbus spielt er vor allem beim Kurz- und Mittelstreckenflugzeug A220 eine wichtige Rolle – Spirit baut dafür die Tragflächen und die Rumpfmittelsektion. Beim Langstreckenjet A350 ist Spirit für Teile der Tragflächen und Rumpfkomponenten zuständig. Airbus hatte 2017 die A220 vom kanadischen Hersteller Bombardier übernommen und damit auch automatisch die Spirit-Verträge übernommen.
Noch heute werden die halb fertigen Flugzeuge auf Spezialwaggons verladen und dann quer durch die USA mit der Eisenbahn ans Boeing-Werk nach Renton an der Westküste befördert. Anekdoten dazu gibt es viele: Zuletzt waren Waggons entgleist und mit ihrer wertvollen Fracht in einen Fluss gestürzt. Es sind auch schon Rümpfe mit Einschusslöchern in Renton angekommen – jemand muss sie unterwegs als bewegliches Ziel für Schießübungen benutzt haben.
Spirit hat bereits Tausende Mitarbeiter entlassen
Doch weder Eisenbahnunfälle noch schießwütige Provinzler waren das Kernproblem. Boeing hatte mit Spirit für den Lieferanten so ruinös schlechte Verträge abgeschlossen, dass dessen finanzielle Lage sich über die Jahre immer weiter verschlechterte. Auch bei den Airbus-Programmen machte Spirit hohe Verluste. Die Corona-Pandemie und der fast zweijährige Auslieferungsstopp der 737-Max nach den beiden Unfällen der Jahre 2018 und 2019 schwächten das Unternehmen weiter. Spirit entließ Tausende Mitarbeiter, schlicht um überleben zu können. Doch die erfahrenen Mechaniker fehlten, als beide Hersteller nach der Pandemie die Produktion schnell hochfahren wollten. Spirit kam mit dem Wachstum nicht hinterher, vor allem aber litt die Qualität massiv. Ende 2023 einigten sich Spirit und Boeing auf finanziell günstigere Bedingungen für die 737-Rümpfe, doch da war der Schaden schon zu groß.
Den letzten Anlass für die Übernahme lieferte der Alaska-Airlines-Flug 1282 am 5. Januar dieses Jahres, bei dem kurz nach dem Start ein Rumpfteil wegflog. Die Maschine landete wieder in Portland und niemand kam ernstlich zu Schaden. Spirit war für den Fehler nicht direkt verantwortlich, aber zu der Panne kam es, weil Boeing-Mitarbeiter zuvor in Wichita verursachte Produktionsmängel beheben mussten und dann vergaßen, vier Schrauben wieder einzusetzen.
Das Übernahmeverfahren wird sich noch hinziehen
Seither hat Boeing dauerhaft mehr als 100 Inspektoren nach Wichita geschickt, um die Arbeiten dort genauer zu kontrollieren, angeblich mit Erfolg: Boeing zufolge ist die Zahl der Fehler nun stark rückläufig. Doch ist das Management mittlerweile überzeugt, dass Spirit nur durch Rückkauf dauerhaft stabilisiert werden kann. Bald sollen in Wichita wieder Boeing-Prozesse gelten.
Der US-Konzern übernimmt seinen Teil von Spirit per Aktientausch für 4,7 Milliarden Dollar, zusätzlich Schulden von rund 3,5 Milliarden Dollar.
Für Airbus wäre es nicht akzeptabel gewesen, wenn Teile seiner Flugzeuge von einem Unternehmen gefertigt worden wären, das seinem größten Konkurrenten gehört. Daher verhandelte der europäische Hersteller parallel zu Boeing mit Spirit über den Verkauf der Airbus-Aktivitäten. Das Ergebnis: Airbus übernimmt diese für den nominellen Betrag von einem US-Dollar, bekommt aber als Kompensation für den Einstieg 559 Millionen Dollar.
Der Aufspaltung von Spirit müssen noch die Wettbewerbsbehörden zustimmen, Airbus muss auch noch eine eingehende Unternehmensprüfung bei Spirit vornehmen. Laut Airbus seien alle Parteien daran interessiert, diese in gutem Willen und so schnell wie möglich abzuschließen. Boeing rechnet damit, dass sich das Übernahmeverfahren bis Mitte 2025 hinziehen wird.