Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Wie Boeing aus der Krise kommen will

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Das Flugverbot für die "737 Max", die Pandemie, Produktionspannen und schwindende Marktanteile: Der amerikanische Flugzeugbauer hat massive Probleme - der Konkurrent Airbus ist bereits weit enteilt.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Als David Calhoun Anfang 2020 den wegen des 737 Max-Desasters viel geschmähten Dennis Muilenburg als Boeing-Chef ablöste, war das für ihn die Erfüllung eines Lebenstraums, für die Analysten aber nur eine Übergangslösung. Calhoun sollte Boeing durch die schlimmste Krise der Unternehmensgeschichte steuern und dann an einen jüngeren Nachfolger übergeben. Immerhin war er damals schon 62 Jahre alt, Boeing-Vorstände müssen normalerweise mit 65 aufhören - und stand da nicht sowieso mit Finanzchef Greg Smith, 54, ein wunderbar geeigneter Nachfolger bereit?

Es war eine für viele erstaunliche Wendung, dass der Verwaltungsrat die Sache zuletzt anders entschied. Calhoun, mittlerweile 64 Jahre alt, darf bleiben, bis er 70 ist, und Smith sucht sich einen neuen Job anderswo. Boeings Niedergang zu stoppen und das Unternehmen wieder auf die alten Werte und Stärken zu fokussieren, die den Konzern einst zum führenden Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie gemacht haben, ist nun, wenn es am Ende gut läuft, für Calhoun vom Traum zur größten Aufgabe in seinem Berufsleben geworden.

Die Aufgabe könnte nicht schwieriger sein, doch Calhoun will Zeichen der Besserungen erkannt haben. "Ich bin stolz auf den Fortschritt, den wir dabei gemacht haben, unser Unternehmen zu transformieren, unsere Sicherheitsprozesse zu stärken und wichtige Investitionen in unsere Zukunft zu erhalten", sagte Calhoun am Mittwoch. Im ersten Quartal hat Boeing konzernweit den Verlust zwar leicht auf 561 Millionen US-Dollar reduzieren können, aber der Umsatz sank weiter um zehn Prozent auf nur noch 15 Milliarden Dollar, vor allem, weil Boeing nur eine Handvoll Langstreckenflugzeuge ausgeliefert hat. Gleichzeitig drücken Schulden in Höhe von knapp 64 Milliarden Dollar.

Die schlechten Zahlen sind einerseits die Folge des Max-Flugverbotes und der Corona-Pandemie, in der viele Airlines Auslieferungen verschieben und die Nachfrage nach neuen Flugzeugen gering ist, auch wenn sich zumindest in den USA nun die Signale für eine Wende zum Positiven häufen. Andererseits aber illustrieren sie die strukturellen Probleme des Konzerns, an denen auch noch Calhouns Nachfolger zu knabbern haben wird.

Das größte Problem der Amerikaner ist die schlechte Qualität

Es geht dabei nicht nur um das Max-Programm, Boeing hat ganz offensichtlich ein generelles Problem mit der Qualitätssicherung, das sich auch an vielen anderen Stellen zeigt. Trotz der massiv gestiegenen Schuldenlast müssen Calhoun und seine Leute wohl viele Milliarden investieren, um sich im Wettbewerb mit Airbus aus der Defensive zu befreien. Nicht zuletzt ist Boeing auch stark politischen Einflüssen ausgesetzt - wie schnell die Erholung gelingt, hängt auch vom künftigen Verhältnis der USA zu China ab, dem für den Flugzeugbauer wichtigsten Exportmarkt.

Zwar haben viele Luftfahrtbehörden (aber nicht China) das Flugverbot für die Max Ende 2020 aufgehoben, so dass Boeing die Produktion neu anfahren und wieder Flugzeuge ausliefern konnte. Doch das nächste Problem ist schon aufgetaucht. Bei fast 500 Maschinen - 106 davon waren bereits ausgeliefert - ist ein Bauteil im elektrischen System nicht richtig geerdet. Nun müssen die Maschinen repariert und die künftige Produktion verändert werden. Die Fluggesellschaften haben die betroffenen Jets nach einer Empfehlung Boeings aus dem Verkehr gezogen und warten auf die Reparaturanleitung. Zwar ist der Fall nicht vergleichbar mit dem der Flugsteuerungssoftware Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS), die bei den verheerenden Abstürzen die wesentliche Rolle gespielt hat, aber sie wirft neue Fragen nach der Qualitätssicherung auf. Unter anderem die, warum das Problem niemandem während des 18 Monate dauernden Flugverbotes aufgefallen ist.

Ähnliche Mängel plagen auch andere Programme, unter anderem das wichtige Langstreckenflugzeug 787, bei dem Boeing zuletzt die Auslieferungen für einige Monate aussetzen musste, im ersten Quartal übergab der Konzern nur zwei der Maschinen an Kunden, im Vorjahr waren es 20. Bei der 787 wurden Rumpfteile nicht genau genug gefertigt. Boeing muss nun nacharbeiten und die Verfahren ändern. Doch immer noch scheint das Kosten-Argument im Vordergrund zu stehen: Künftig wird die 787 nicht mehr im Stammwerk in Everett/Washington gebaut, sondern nur noch im günstigeren Werk Charleston/South Carolina.

Boeing muss sich häufig den Vorwurf anhören, unter Muilenburg und seinem Vorgänger Jim McNerney viel zu sehr darauf gesetzt zu haben, Gewinn und Aktienkurs zu maximieren, auf Kosten der Qualität und einer langfristigen Strategie. Die Qualitätsprobleme liegen für alle sichtbar auf dem Tisch, sind aber durch die richtigen Korrekturen in der Produktion zu beheben. Viel länger wird es wohl dauern, Marktanteile zurückzuholen.

Denn schon vor der Max-Krise und vor Corona hatte das Unternehmen im wichtigen Segment der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge stark verloren, weil die Airlines lieber die neue Airbus A320neo bestellten. Vor allem die größte Version A321neo erwies sich als Verkaufsschlager, dessen Langstreckenversion 2023 erstmals ausgeliefert werden soll und sich schon jetzt gemessen an den Bestellungen als sehr beliebt erweist. Boeing will die Max-Serie weiterbauen, so lange es geht, und zusätzlich eine größere Maschine mit 220 bis 270 Sitzen entwickeln. Viele glauben, dass dies die falsche Strategie ist und Boeing vielmehr gleich einen Max-Nachfolger präsentieren müsste. Calhoun hat sich noch nicht endgültig festgelegt. Für die richtige Entscheidung hat er aber nicht mehr viel Zeit.

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