Der krisengeschüttelte US-Flugzeugbauer Boeing sieht sich erneut mit Sicherheitsbedenken konfrontiert. Die US-Luftfahrtbehörde FAA ordnete am Montag Inspektionen von Hunderten Flugzeugen des Typs 787 Dreamliner an. Die FAA warnte, dass eine unbeabsichtigte horizontale Bewegung eines besetzten Pilotensitzes zu einem schnellen Sinkflug des Flugzeugs und zu schweren Verletzungen von Passagieren und Besatzung führen könnte. Die Entscheidung folgt einem Vorfall im März, bei dem ein Flugzeug der Latam Airlines in einen plötzlichen Sturzflug überging und mehr als 50 Passagiere verletzt wurden. Boeing und Latam Airlines reagierten zunächst nicht auf Anfragen von Reuters zur Stellungnahme.
Nach Angaben der FAA war die Ursache für den Sturzflug eine unkontrollierte Bewegung des Kapitänssitzes, die zur Deaktivierung des Autopiloten führte. Die Behörde erklärte, sie habe insgesamt fünf Berichte über ähnliche Probleme mit den Sitzen des Kapitäns und des Ersten Offiziers in 787-Flugzeugen erhalten. Sie verpflichtet die Fluggesellschaften, innerhalb von 30 Tagen die Pilotensitze der Modelle 787-7, 787-9 und 787-10 auf fehlende oder gebrochene Kippschalter oder beschädigte Schalterabdeckungen zu überprüfen.
In einer separaten Mitteilung teilte Boeing am Montag mit, dass die Testflüge mit der noch nicht zertifizierten 777X ausgesetzt wurden. Bei einem Wartungscheck war ein defektes Bauteil zwischen Triebwerk und Flugzeugstruktur entdeckt worden. Die FAA bestätigte, dass Boeing sie nach einem Testflug der 777X in der vergangenen Woche über den Vorfall informiert habe. Boeing hatte im Juli mit den Zertifizierungsflügen begonnen.
Nach einem Testflug über dem Pazifik hatten Mechaniker festgestellt, dass ein Teil der Aufhängung, mit der ein Triebwerk an den Tragflächen befestigt war, gebrochen ist. Eine unmittelbare Gefahr, dass etwa der Motor während des Fluges herunterfallen würde, bestand nicht. Die betroffene Verbindungsstange, die die Lasten und Kräfte, die auf Tragflächen wirken, besser verteilen soll, gibt es aus Sicherheitsgründen bei jedem Motor zweimal. Aber Nachforschungen ergaben, dass die gleichen Stangen auch bei den beiden anderen Flugzeugen Risse entwickelt hatten. Das deutet auf einen grundsätzlichen Mangel bei der Komponente hin.
Die 777X ist eine weiterentwickelte Version der ursprünglichen 777, die 1995 erstmals ausgeliefert wurde, mit neuen Tragflächen, einem neuen Cockpit und neuen GE9X-Motoren von GE Aerospace, den stärksten bisher gebauten Flugmotoren. Ursprünglich sollte die 777X bereits im Jahr 2020 erstmals ausgeliefert werden. Doch Boeing musste das Programm aus unterschiedlichen Gründen mehrfach verschieben. Unter anderem nahm sich die FAA drei Jahre lang Zeit, um die Testflüge zu erlauben – eine Folge der 737 Max-Abstürze, die das Vertrauen der Behörde in den Konzern erschütterten.
Einer der wichtigsten Kunden der 777X ist die Lufthansa, die 27 Maschinen bestellt. Für die Fluggesellschaft haben die Verzögerungen dramatische Folgen: Ältere unwirtschaftliche Modelle wie die viermotorigen Airbus A340 und Boeing 747-400 fliegen weiter, weil Lufthansa sonst wichtige Langstrecken nicht mehr bedienen könnte. Dabei ist deren Einsatz auch unter Nachhaltigkeitsaspekten kaum mehr zu rechtfertigen. Auch ihre neue Ausstattung der Business-Class wollte die Lufthansa eigentlich schon mit der 777X einführen. Das Programm ist nun erst in diesem Jahr auf dem Airbus A350 angelaufen.
Boeing hat Lufthansa vor der jüngsten Panne fest zugesagt, die erste Maschine noch im Laufe des Jahres 2025 auszuliefern. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte zuletzt auf einem internen Forum für die Mitarbeiter, dass Boeing drakonische Strafen zahlen müsse, wenn die Flugzeuge erst 2026 kommen würden.
Weder Motor noch Tragfläche selbst sind direkt betroffen
Wie sehr die defekte Triebwerksaufhängung den Zeitplan durcheinanderbringt, ist schwer einzuschätzen. Die gute Nachricht ist, dass die Probleme weder den Motor noch die Tragfläche selbst betreffen – Änderungen an diesen wären voraussichtlich viel aufwendiger. Dennoch können die Analysen, warum die Lasten auf die Verbindungselemente offenbar so viel größer sind als gedacht oder die Teile weniger aushalten, Monate dauern. Außerdem muss Boeing womöglich verstärkte Teile entwickeln. Das Unternehmen teilte mit, die Komponente werde ausgetauscht. Zwei der drei Test-777X befänden sich ohnehin derzeit in routinemäßiger Wartung und seien daher nicht kurzfristig für Testflüge vorgesehen gewesen.
Designänderungen während der Testprogramme neuer Flugzeuge sind zwar in der Regel sehr lästig, teuer und zeitraubend, aber nicht selten. Konkurrent Airbus hatte zuletzt die Langstreckenversion der A321 neo während der Zulassungsphase noch einmal deutlich verändern müssen, um Auflagen der EASA zum Feuerschutz zu erfüllen. Airbus gelang es allerdings, die damit zusammenhängende Verspätung bei der A321XLR mit weniger als einem Jahr relativ gering zu halten. Das Flugzeug soll in den nächsten Wochen erstmals an Iberia ausgeliefert werden.