Süddeutsche Zeitung

Blockchain:Im Fieber

Die Technologie hinter der virtuellen Währung Bitcoin könnte das gesamte Finanzsystem von Grund auf verändern. Doch es gibt viele Sicherheitsfragen, und die Risiken sind groß.

Von Katharina Wetzel

Niemals gehört. Was ist das? So lauten die Kommentare zum Thema Blockchain. Viele haben von der Technologie, die hinter der digitalen Währung Bitcoin steht, noch nichts mitgekriegt. In speziellen Technologie- und Finanzzirkeln aber herrscht das entgegengesetzte Bild. Hier grassiert längst das Blockchain-Fieber. Die Technologie habe das Zeug, die Finanzbranche auf den Kopf zu stellen, glauben Experten. Manche ziehen gar Parallelen zur Einführung des Internets oder der Erfindung des Automobils. Kein Vergleich scheint zu groß zu sein.

Auf Satoshi Nakamoto geht das Konzept der virtuellen Währung Bitcoin zurück. Bis heute ist unklar, wer sich hinter diesem mysteriösen Nakamoto tatsächlich verbirgt. Er hat 2009 das computergestützte Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Bitcoins erzeugt werden können. Die digitale Währung erlaubt Transaktionen von Computer zu Computer, ohne dass es eine zentrale Stelle braucht, die diese legitimieren muss. Die Cyber-Währung ist zwar in Verruf geraten, weil sich auch Drogenhändler und Spekulanten in der anonymen Bitcoin-Welt tummelten. Doch die Finanzbranche kümmert das wenig.

Nicht nur Start-ups, auch Großbanken und Börsen sind gleichermaßen fasziniert von der Technik hinter der digitalen Krypto-Währung. "Viele Firmen über die gesamte Industrie hinweg haben Arbeitsgruppen und Innovationsteams gegründet. Da ist eine gewaltige Kreativität im Gang", sagt Angus Scott von Euroclear. Insgesamt 42 Banken - darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank und die UBS - haben sich mit dem Start-up-Unternehmen R3 CEV zusammengetan, um Standards zu entwickeln. Viele Banken wie die UBS und die Deutsche Bank haben darüber hinaus noch eigene Projekte und Testlabors am Laufen. Sie alle vereint die Hoffnung, dass sich künftig mittels der Technik nicht nur Geldeinheiten, sondern auch alle möglichen Finanzprodukte schnell und kostengünstig transferieren lassen - ganz ohne einen Vermittler.

Edward Budd, der bei der Deutschen Bank das Thema Blockchain betreut, meint: "Der Service wird effizienter. Davon sollten auch die Kunden profitieren." Der Manager hat in London bereits in einem internen Pilotprojekt eine Unternehmensanleihe begeben und sieht Chancen für den Einsatz von Blockchain im Wertpapierbereich. Die Deutsche Bank will bei dem Zukunftsthema vorne mitspielen. Der Druck ist groß. Einerseits könnte die Technologie Kosten sparen, wenn Vermittler beim internationalen Geldtransfer wegfallen. Andererseits könnten Banken im Zuge der Entwicklung den Anschluss verpassen oder am Ende ganz überflüssig werden.

Die Blockchain, zu deutsch Blockkette, ist vereinfacht gesagt ein dezentral geführtes Kontobuch (distributed ledger), das alle Transaktionen zwischen Nutzern aufzeichnet, in der Form von Datenblocks speichert und diese zu einer Kette aufbaut. Alle Nutzer könnten quasi nahezu in Echtzeit gleichermaßen Zugriff auf dieselben Daten in diesem Kontobuch haben, wie aus einer Studie von Euroclear und Oliver Wyman hervorgeht: "Die Blockchain-Technologie macht den Datenaustausch einfacher und transparenter", sagt Scott. Aufseher könnten sich im Zuge der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung über einen Generalschlüssel einen privilegierten Zugang, etwa auch mit Offenlegung der jeweiligen Nutzer, sichern. "Alle Regulierer sind an Blockchain interessiert", betont Scott.

Bislang sind viele Bank- und Finanzgeschäfte aufwendig und teuer. IT- und Backoffice-Ausgaben kosten Banken im Jahr 100 bis 150 Milliarden Euro. Mit der neuen Technik könnte sich dies ändern. "Mit Blockchain ist die Hoffnung verbunden, Kosten zu senken", sagt Christian Edelmann, Partner bei Oliver Wyman. So könnten in Zukunft bei "smarten" Verträgen Transaktionen automatisch abgewickelt werden, meint Edelmann: "Die Auszahlungen von festverzinslichen Produkten müssen dann zum Beispiel nicht mehr manuell eingegeben werden." Erfolgen Zahlungen unverzüglich und nicht erst nach Tagen, müssen Banken auch kein Kapital vorhalten, um sich gegen Handelsrisiken abzusichern. Ob Banken die niedrigeren Kosten an die Kunden weitergeben, ist zwar nicht ausgemacht. Derzeit wird jedoch viel experimentiert, um die Technik zu verfeinern.

"Es gibt noch fundamentale Fragen: Kann das System geknackt werden? Kann irgendjemand die Daten ändern? Viele Menschen arbeiten noch an der Daten- und Cyber-Sicherheit", sagt Scott. Die Bankenaufsicht Bafin hat in ihrem Februar-Journal das Thema behandelt und mitgeteilt, dass sie die Neuerungen in dem Bereich sehr genau beobachte und sich mit anderen Aufsichtsbehörden austausche. Der Datenschutz müsse bei den Transaktionen gewährleistet und Systeme gegen Cyberangriffe geschützt sein. Auch die Einhaltung von Regeln, wie etwa zur Geldwäscheprävention oder zu der (ethisch) guten Unternehmensführung, müsse sichergestellt sein. Hier könne es nach Ansicht der Bafin aufgrund des Fehlens einer zentralen Instanz Probleme geben. Neben regulatorischen und rechtlichen Fragen sind auch noch ganz praktische Dinge zu klären.

"Probier es aus, beteilige Dich und sehe Dich nach Chancen um." Viele folgen dem Rat

"Wir können nicht einfach die Technologie von Bitcoin kopieren. Die Technologie muss erst noch auf die jeweiligen Anforderungen an Finanzprodukte und Finanzmärkte abgestimmt werden", erklärt Deutsche-Bank-Manager Budd. So ist derzeit etwa auch noch nicht gesagt, dass auch große Volumina über die Blockchain abgewickelt werden können. Bislang wurde dies nur für kleinere Volumina getestet. Die Technik hat auch ihre ganz eigenen system-immanenten Tücken. "Bei Blockchain ist es grundsätzlich nicht möglich eine Fehltransaktion direkt rückgängig zu machen. Dies braucht die Zustimmung aller Beteiligten", sagt Edelmann.

Aus all den Gründen sind auch Prognosen über den Einsatz und die Auswirkungen der Technik mit Vorsicht zu genießen. "Blockchain wird die Geschäftsmodelle von Banken nicht zerstören, aber grundlegend verändern", ist Budd überzeugt. Er schätzt, dass die ersten Anwendungen bereits Ende 2017 auf den Markt kommen. Den Untergang von Banken will auch Experte Scott nicht beschwören. "Banken sind gute Überlebenskünstler", meint er und rät: "Probier es aus, beteilige dich und sehe dich nach Chancen um." Dem Motto folgen derzeit viele. "Das Thema ist zu wichtig, um es zu ignorieren", erklärt Berater Edelmann. Und wer mit der Blockkette künftig Geschäfte machen will, braucht natürlich auch eine gewisse Euphorie.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2016
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