Die Druckerpresse, die Dampfmaschine, die Elektrizität, der PC, das Internet. Und jetzt eben künstliche Intelligenz.
Björn Ommer stellt die selbstlernende Software, die auch Bilder und Texte erzeugen kann, in eine Reihe mit den anderen ganz großen Erfindungen, den Basistechnologien. Sie sind nicht um ihrer selbst willen interessant, sondern weil sie ungezählte andere Techniken und Produkte ermöglichen. Der führende KI-Forscher Ommer steht am Montagabend bei den Munich Economic Debates von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung auf der Bühne. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München leitet der Informatik-Professor die Computer Vision and Learning Group.
Ommer neigt nicht zu bombastischen Slogans wie andere in der KI-Szene. Er will KI erklären und nicht verkaufen. In ruhigem Ton will er aber auch wachrütteln: „Wir sollten diese Revolution nicht verschlafen, wie wir’s bei der Digitalisierung getan haben.“
Ommers Spezialgebiet ist es, Maschinen das Sehen beizubringen. Wie weit er dabei gekommen ist, weiß die Welt seit 2022. Noch bevor das US-Unternehmen Open AI mit Chat-GPT Aufregung verursachte, – dem Chatbot, der dank sogenannter generativer KI in Sekundenbruchteilen menschlich wirkende Sprache erzeugen kann – stellte Ommers Team Stable Diffusion ins Netz. Die KI spuckt auf Kommando Bilder aus, wie von Menschenhand gemalt.
Stable Diffusion kann jeder kopieren und umsonst nutzen. KI nicht als Geldmaschine, sondern als Dienst an der Menschheit, so sieht es Ommer, der wohl Milliardär sein könnte. Denn Unternehmen wie Stability AI verwendeten seine freie Technologie und sammelten zu hohen Bewertungen viel Kapital ein. Aber Ommer blieb weiter Forscher, ihm geht es darum, KI ethisch einzusetzen: Nicht als Werkzeug, um neue Digitalmonopole à la Google zu schaffen. Sondern so, dass Deutschland und Europa ihre Souveränität retten. Verhindert werden müssten Abhängigkeiten von KI aus den USA oder China, deren genaue Funktionsweisen hierzulande niemand nachvollziehen könne. „Wenn wir den Kopf in den Boden stecken, dann ist KI überall, wenn wir den Kopf wieder aus dem Boden ziehen. Dann aber von ausländischen Firmen dominiert und zu deren Bedingungen.“
Aber wozu braucht man das Ganze? Praktisch ermögliche generative KI ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, sagt Ommer.
Bislang hätten nur Informatikexperten, die Programmiersprachen beherrschen, Computer gestalten können: „Let‘s face it: Das einzig Persönliche an Ihrem PC war bisher, dass Sie persönlich dafür bezahlt haben.“ Heute könne KI natürliche Sprache verstehen. „Endlich können Sie den Computer in Ihrer Sprache anweisen, vielleicht sogar in bayerischem Dialekt.“ Zudem reiche etwa die Skizze einer Webseite aus, um die KI loszuschicken, den Computercode für ebenjene Webseite zu schreiben. Ein bisschen wie von Geisterhand.
Auch der Mittelstand könne von der KI profitieren
Früher habe Software Persönlichkeiten und Interessen ihrer Entwickler widergespiegelt. Neue KI-Modelle ließen sich dagegen vom Nutzer auf sich selbst zuschneiden, sagt Ommer. Die KI hört zu und lernt. Das helfe auch kleinen deutschen Firmen und dem Mittelstand. Ihr „tiefes Wissen“, also ihren Schatz an Spezialdaten, könnten sie mit angepassten KI-Applikationen heben.
Abermilliarden Dollar fließen in KI-Entwicklung und Marketing. Ommer kühlt den Hype herunter. Am Ende gehe es ja nicht um Science-Fiction-Fantasien, sondern um ein Werkzeug: „Technologien sollten uns immer helfen, unsere eigenen Beschränkungen zu überwinden. Wir sind nicht die stärksten oder schnellsten Tiere, also haben wir Dinge erfunden, die uns stärker und schneller machen.“
Für Europa ist Ommer realistisch: Bei der Grundlage, auf der KI-Software läuft, nämlich spezialisierten KI-Chips, sieht er den Kontinent schon zu weit abgeschlagen. Statt von null anzufangen, auch Kapazitäten wie Nvidia oder Intel aufzubauen, solle der Fokus auf Software liegen. Diese Aufholjagd könnten Europa und Deutschland noch hinlegen.
Dafür müsse man aber hier auf dem Kontinent hellwach sein: „In einer Revolution merkt man erst einmal nichts, bis man auf einmal ’Huch!’ sagt und sieht, was sich alles verändert hat.“