Süddeutsche Zeitung

Bitcoin und Co:Regierungen liebäugeln mit Kryptogeld

  • Das große Interesse an Kryptowährungen wie dem Bitcoin hat auch die Zentralbanken erfasst.
  • Mehr als ein Dutzend Länder untersuchen inzwischen die Chancen staatlicher Digitalwährungen.
  • Dass die Zentralbanken das Thema interessant finden, liegt auf der Hand: In einem digitalen Währungssystem könnten sie Geld künftig direkt an die Bürger ausgeben.

Von Victor Gojdka

Es war nur ein dahingeworfener Satz, mit dem der stellvertretende russische Finanzminister seine scheinbare Ahnungslosigkeit offenbarte. "Offen gestanden, ich verstehe nicht, was diese Krypto-Rubel überhaupt sein sollen", sagte Vizeminister Alexej Moisejew. Seit Wochen diskutieren Politiker in Russland über eine Art Staats-Bitcoin, und der Minister hat keine Ahnung? Im Internet machte sich Moisejew zum Gespött der Nutzer.

Moisejews Satz war allerdings nicht Ausdruck einer Wissenslücke, sondern eine Aufforderung: Der Minister wollte schlicht genau definiert wissen, wie staatliches E-Geld aussähe und ob es überhaupt Sinn macht. Denn vor dem Hintergrund des Bitcoin-Hypes sind nicht nur in Russland viele Politiker schnell dabei, eigene, staatliche Digitalwährungen zu fordern. Was Staats-Coins jedoch konkret bedeuten würden, ist vielen unklar. Experten hingegen wissen: Staatliche E-Währungen könnten gravierende Folgen haben, für das Finanzsystem, Banken und Verbraucher.

Bereits mehr als ein Dutzend Länder untersuchen inzwischen die Chancen staatlicher Digitalwährungen. So denken die Russen über ihren Krypto-Rubel nach, estnische Beamte erwägen einen Estcoin, und die Schweden tüfteln, wie eine E-Krone aussehen könnte. Vieles ist noch Zukunftsmusik, doch die ersten internen Testprojekte in Zentralbanken laufen bereits. Auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) konstatierte als "Bank der Zentralbanken" in ihrem Quartalsbericht, früher oder später müssten alle Notenbanken nachdenken, ob sie eigene Kryptowährungen schaffen sollten.

Mit einer staatlichen Digitalwährung für jedermann könnten sich Nutzer Geldbeträge mit dem Rechner oder Smartphone hin- und herschicken und auch in Geschäften bezahlen, alles digital. Was staatliche Digitalwährungen von einem klassischen Online-Konto oder einem Bezahldienst wie Paypal unterscheiden dürfte? Statt Geld wie bisher auf dem eigenen Konto bei einer Geschäftsbank einzulegen, könnten Bürger Konten künftig direkt bei der Zentralbank erhalten.

Sturm auf die Banken? Totale Kontrolle? Es gibt viele Risiken

Das ist zumindest eine der Varianten, die unter anderem die schwedische Zentralbank in einem Papier nahelegt. Und es ist der zentrale Punkt für die Kritik von Experten. "All jene, die den Banken misstrauen, würden ihr Geld dann einfach zur sicheren Zentralbank bringen", sagt Ingo Fiedler, Experte für virtuelle Währungen an der Uni Hamburg. Die staatlichen Digitalwährungen könnten also für einen Schaltersturm bei den Geschäftsbanken sorgen.

Dabei wollen die Schweden ihr Finanzsystem mit diesem Vorschlag eigentlich stabilisieren. Denn die schwedische Reichsbank hat ein Problem: Viele Schweden zahlen kaum noch bar. Während 2010 im Handel 40 Prozent aller Transaktionen in bar stattfanden, waren es Ende 2016 mehr als 15 Prozent, zeigen Zahlen der Notenbank. Viele Läden akzeptieren kein Bargeld mehr, und selbst Bankfilialen bieten Kunden oft keine Bargeld-Dienstleistungen mehr an.

Das könnte Probleme mit sich bringen. Im Falle einer Bankenkrise dürfte es für die Bürger schwierig werden, ihr Geld abzuheben und in Sicherheit zu bringen. Außerdem sei zu erwarten, dass auf dem Markt der digitalen Zahlungsdienstleister langfristig nur wenige Unternehmen überleben. "Auf lange Sicht könnte diese Konzentration den Wettbewerb einschränken und die Gesellschaft verletzbar machen", konstatiert die schwedische Zentralbank. Da käme der Reichsbank ein digitaler Bargeldersatz unter eigener Regie gerade recht.

Andere Notenbanken bezweifeln jedoch, dass eine eigene Kryptowährung Probleme im Finanzsystem löst. So sieht auch die Deutsche Bundesbank das Risiko eines Schaltersturms bei den Banken. "Deshalb ist die Emission digitalen Zentralbankgeldes aus unserer Sicht in einem vorhersehbaren Zeitraum keine realistische Option", sagte Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele vor Kurzem.

Würden die Bürger künftig direkt Konten bei der Zentralbank führen, wäre ein Bankensturm jedoch noch nicht das einzige Risiko. "Die Zentralbanken könnten auch ihre Geldpolitik viel direkter steuern", sagt Kryptoexperte Florian Glaser vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Im Klartext: Sie könnten von den Bürgern zum Beispiel Negativzinsen per Knopfdruck einnehmen. Die Experten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich geben es in ihrem Bericht selbst zu: "Würde eine Zentralbank-Kryptowährung das Bargeld vollständig ersetzen, wäre es Einlegern nicht mehr möglich, negativen Zinssätzen auszuweichen."

Außerdem könnten Bürger mit einer Zentralbank-Kryptowährung an Anonymität verlieren. Herkömmliche Kryptowährungen wie Bitcoin sind zwar bis zu einem gewissen Grad anonym. Die Zentralbanken könnten jedoch entscheiden, ihre E-Währungen so zu programmieren, dass Bürger ihre Identität und Transaktionen offenlegen müssten. "Die Zentralbanken können dann den kompletten Geldfluss kontrollieren", sagt Kryptoexperte Florian Glaser. Insbesondere wenn sie auf lange Sicht das Bargeld abschaffen sollten, wie manche Experten unterstellen.

Manche Zentralbanken rudern wieder zurück

Die estnischen Beamten diskutieren ganz konkret, einen möglichen Estcoin an die eigene E-Residency zu knüpfen, eine Art digitalen Wohnsitz, mit dessen Hilfe sich Nutzer im Netz digital ausweisen können. "Gerade für autoritäre Regime wäre so etwas natürlich interessant", sagt Kryptoexperte Fiedler. "Sie könnten damit den gläsernen Bürger schaffen."Die russische Regierung zum Beispiel könnte delikate Kontoinformationen als kompromittierendes Material verwenden, befürchten die Wissenschaftler Zura Kakushadze und Jim Liew in einem Thesenpapier zum Thema.

Manche Zentralbanken haben angesichts dieser Punkte inzwischen eingelenkt. Vor wenigen Tagen gaben die Briten zu Protokoll, ein E-Pfund solle es mittelbar nicht geben. Und ihre australischen Kollegen ließen wissen, Konten der Bürger direkt bei der Zentralbank seien "nicht im öffentlichen Interesse". Ob Geschäftsbanken am Ende nicht doch in das System integriert werden können? Was kommt auf Verbraucher zu? Eine Zeit lang dürften staatliche Kryptowährungen ihrem Namen Ehre machen. Und kryptisch bleiben.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2018/jps
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