Süddeutsche Zeitung

Coinbase:Reich sind die anderen

Der Börsengang der Handelsplattform Coinbase etabliert Kryptowährungen endgültig in der tradierten Finanzindustrie. Dabei geht es viel um Ideologie, Spekulation und schnellen Reichtum - und um die Frage, was Geld eigentlich sein soll.

Kommentar von Jan Willmroth

Was für eine Karriere. Da machen sich im Lauf der Finanzkrise ein paar libertäre Computernerds daran, anhand eines neuartigen Software-Protokolls eine dezentral organisierte Währung zu entwerfen. Nennen sie Bitcoin, haben Großes vor: Sie wollen die Zentralbanken entmachten. Und nicht einmal zwölf Jahre später geht mit Coinbase in New York eine Handelsplattform für Kryptowährungen an die Börse - mit großem Getöse und einem Unternehmenswert von rund 90 Milliarden Dollar, in etwa so viel wie die Telekom. Dabei kann man auf der Plattform nicht mehr tun als mit einigen Dutzend Kryptowerten zu spekulieren, die im Fahrwasser des Bitcoin erfunden wurden.

Dieser Börsengang ändert im Grunde nicht viel, aber er ist ein Signal. Er steht für die Schnittmenge aus dem ideologisch aufgeladenen Traum von der Anarcho-Finanzrevolution und der zum Feindbild gehörenden Wall Street, dem Inbegriff des Finanzplatzes im klassischen Sinn. Er zeigt: Der Bitcoin ist erwachsen. Coinbase und vergleichbare Handelsplätze machen Kryptowerte für jeden zugänglich, indem sie die technische Komplexität in den Hintergrund rücken. Niemand muss mehr im Detail verstehen, wie eine Blockchain funktioniert. Im Vordergrund steht die Spekulation mit neuartigen Vermögenswerten. Zocken statt Revolution.

Es lässt sich lange darüber streiten, was der Bitcoin eigentlich ist. Er wurde hochgejubelt, kleingeredet, totgesagt, verkannt, auf eine Spekulationsblase im Jahr 2017 folgte ein Preissturz, dann eine Renaissance bis zu den heutigen Rekordkursen jenseits der 50 000 Euro pro Bitcoin. Wobei der Begriff Währung in die Irre führt: Gesetzliches Zahlungsmittel ist der Bitcoin sowieso nicht. Er ist auch keine verlässliche Recheneinheit; man kann nur in Ausnahmefällen damit bezahlen, sein Wert schwankt zu schnell und zu stark. Zur Wertaufbewahrung taugt er deshalb auch nicht.

Damit sind die drei wichtigsten in der Theorie festgelegten Funktionen von Geld nicht erfüllt. Sogar Goldmünzen sind noch eher Währung als der Bitcoin. Der Bitcoin ist: ein spekulativer Vermögenswert, der eigenwilligen Regeln folgt, und dessen Preis extrem schwankt. Man kann nun Aufsätze darüber schreiben, warum der Bitcoin eigentlich nichts wert sein sollte, oder zumindest nicht 60 000 Dollar das Stück. Es gibt schließlich nicht einmal ein Metall, aus dem man wie im Fall von Gold Bauteile von Elektrogeräten oder Schmuck herstellen kann. Ein Vermögenswert ohne Nutzen also, oder, wie es der Ökonom Nouriel Roubini sagt: "die Mutter allen Betrugs".

Genauso gut kann man in Buchlänge argumentieren, warum der Bitcoin niemals wertlos verfallen wird. Warum die Idee eines dezentral organisierten Digitalgeldsystems eben doch etwas Revolutionäres hat. Wie der Bitcoin den Nährboden bereitet hat für jede Menge Innovationen - und sogar für die von Zentralbanken verfolgten Pläne, digitales Bargeld einzuführen. In solchen Büchern (und die gibt es zuhauf) steht dann auch, warum ein Bitcoin vielleicht irgendwann Millionen wert sein wird.

Sein Geld in Kryptowerte zu stecken, birgt extreme Risiken

Die Wahrheit ist: Keiner weiß das. Das ist ja gerade der Geist der Spekulation. Der Bitcoin hat einen Wert, weil sich Millionen, vielleicht bald Milliarden Menschen darauf geeinigt haben. Natürlich ist das alles bloß in stromfressenden Rechenzentren gespeichert und total abstrakt. Aber das Prinzip ist dasselbe wie beim Gold: Eine knappe, ideologisch aufgeladene Ressource weckt Begehrlichkeiten und wird dadurch teuer. Viele halten das von Natur aus rare Gold für die einzig wahre Währung. So ist das auch beim Bitcoin, dessen Gesamtmenge niemals 21 Millionen Stück überschreiten wird.

Nun hat der Krypto-Boom in den vergangenen Jahren einige Menschen unvorstellbar reich gemacht. Noch vor einem Jahrzehnt musste man weniger als einen Euro für einen Bitcoin bezahlen. Wer früh investierte, wer mit dem heimischen Computer neue Bitcoins errechnete (im Kryptosprech "schürfte"), und seien es nur ein paar Hundert Stück, fährt heute Lamborghini und lacht sich schlapp.

Tja, und nun: Muss man da noch mitmachen? Vorsicht. Wer bislang nicht mit dem Bitcoin vermögend geworden ist, der wird es zumindest in diesem Ausmaß auch eher nicht mehr. Chance verpasst. Sein Geld in Kryptowerte zu stecken, kostet Nerven, ist viel Arbeit, birgt extreme Risiken. Es ist bestimmt nicht verkehrt, einen kleinen Teil seiner Ersparnisse in Kryptowährungen anzulegen, angefangen beim Bitcoin. Einfach, um welche zu haben. Aber bitte nur mit jenen Euro, die man weder heute noch für die Altersvorsorge braucht und die man im Zweifel ohne Schmerzen verlieren kann. Seinen Einsatz verfünfzigtausendfachen wird man dabei so schnell nicht mehr.

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