Süddeutsche Zeitung

Limonade:Kann Bionade noch Kult?

  • Seit etwas mehr als einem Jahr gehört die Bionade zur hessischen Hassia-Gruppe. Damit kann sie natürlich schlechter als kultiges Öko-Familienunternehmen werben.
  • Als Familienunternehmen war die Bionade auch erfolgreicher: Gemessen am Rekordjahr 2008 mit 200 Millionen verkauften Flaschen liegt der aktuelle Absatz bei einem Bruchteil davon.
  • Für 2019 ist dennoch ein Wachstum von neun Prozent geplant, befeuert durch eine Werbekampagne, die im Frühjahr starten soll.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Der Messestand findet sich mitten in Halle 7, an einer Ecke, an der sich die Fußwege der Besucher kreuzen, zwischen einer Mineralwasserfirma und einem Hersteller von Kindernahrung. Er fällt dort nicht groß auf. Vor ein paar Jahren inszenierte sich die Firma Bionade noch mit opulenten, farben- und lichtgetränkten Auftritten auf der Öko-Messe Biofach in Nürnberg. Mit einem riesigen, komplett in das Firmen-Tiefblau getauchten Stand samt trendiger Bar, lässiger Musik und allerhand Hostessen. Inzwischen ist alles viel bescheidener.

"Wir haben den Stand noch einmal neu gestaltet", sagt Marketingchefin Svenja Lonicer, "mit nachhaltigen Materialien". Mit viel Holz vor allem, einem Zitronenbäumchen in der einen und einer Orangen-Staude in der anderen Ecke. Dezente Hinweise auf die beiden neuen Geschmacksrichtungen. Zehn Bionade-Sorten gibt es inzwischen, weitere sollen von 2020 an folgen. Noch immer wird die Öko-Brause nicht zusammengerührt und gesüßt, wie herkömmliche Limonaden, sondern ähnlich wie Bier gebraut. Geändert haben sich die Eigentümer. Auf die Gründerfamilie Kowalsky-Leipold und ihre Partner folgte die Radeberger-Gruppe, seit gut einem Jahr gehören Unternehmen und Marke zur hessischen Hassia-Gruppe.

"Wir haben mit der Bionade einen Diamanten, der nur poliert werden muss", sagt Lonicer. Also haben die neuen Eigentümer 2018 vor allem analysiert, was sie sich da eingekauft haben. Sie haben den Markt erforschen lassen, Kunden befragt, welche Geschmacksrichtungen sie bevorzugen, und Pläne entworfen, wo etwa am Bionade-Standort im fränkischen Ostheim vor der Rhön investiert werden muss. Gerade wird dort eine neue Logistikhalle gebaut, anschließend sollen die Abfüllanlagen modernisiert werden.

Eine kleine Brauerei stand vor der Pleite, dann erfand der Braumeister ein neues Getränk

Knapp 100 Menschen arbeiten für das Unternehmen. Hassia mit Sitz in Bad Vilbel betreibt seine Getränkegeschäfte bislang regional begrenzt; Bionade und die ebenfalls von Radeberger gekaufte Teemarke Ti sind die ersten nationalen Marken. Die Kernfragen in Zusammenhang mit Bionade allerdings sind noch unbeantwortet. Die nämlich, ob die Marke jemals wieder auch nur annähernd an frühere, kultige und erfolgreiche Zeiten anknüpfen kann. Und ob die neue Bionade wieder eine annähernd so sympathische Geschichte erzählen wird wie die alte?

Bionade, das war einmal eine Familie, deren Dorfbrauerei nach 170 Jahren vor der Pleite stand, dann erfand der alte Braumeister die Bionade. Ein alkoholfreies Getränk aus biologischen Zutaten, mit speziellen Bakterien aus dem Kombucha-Pilz versetzt und schließlich fermentiert. Ein Getränk, das zunächst keiner haben wollte, ehe es dann durch allerhand Zufälle über Szenekneipen in Hamburg und andere Großstädte einen Siegeszug antrat. 200 Millionen Flaschen Bionade wurden im Rekordjahr 2007 verkauft.

Wie viele es im vergangenen Jahr waren, dem ersten als Teil der Hassia-Gruppe, mag Svenja Lonicer nicht beziffern. Auch zum Umsatz, zu Gewinnen oder Verlusten sagt sie nichts Konkretes. Nur so viel: Unter Radeberger seien die Absatzzahlen einigermaßen konstant gewesen, Hassia habe 2018 sogar ein wenig mehr Bionade verkauft. Für 2019 ist ein Wachstum von neun Prozent geplant, befeuert unter anderem durch eine Kampagne mit TV-Spots und Plakaten, die im Frühjahr starten soll. "Wir wollen Bionade auf humorvolle und selbstironische Art wieder in den Mittelpunkt rücken", sagt die Marketing-Chefin.

Früher, als die Ostheimer Gründerfamilie noch das Sagen hatte, inszenierte sie Bionade als "Volksgetränk", ja, sogar als "Getränk für eine bessere Welt". Größer geht es kaum. Wie keine andere Marke stand Bionade dafür, dass die Ökos ihre Körner-Nische verlassen hatten und sich aufmachten "in die Mitte der Gesellschaft", wie es häufig heißt. Bio wurde hip, schick, trendig, Lifestyle - und die Bionade verkörperte all dies. Bis heute ist über das Getränk hinaus von "Bionade-Boheme" oder "Bionade-Biedermeier" die Rede, etwa, wenn es um grüne, großstädtische Besserverdiener geht. Der abschätzig gemeinte Begriff "Bionade-Bourgeoisie" hielt als Beschimpfung sogar Einzug in die politische Debatte.

Neue Gebinde, Glasflaschen, Schraubverschlüsse - so könnte die Marke wieder zulegen

Irgendwann aber hat bei der realen Bionade irgendjemand den sprichwörtlichen Bogen weit überspannt. Mit einer Preiserhöhung 2008 auf einen Schlag um ein Drittel, mit immer größeren Expansionsplänen in immer kürzeren Zeiträumen. Ganz Europa und sogar die USA wollten die Ostheimer erobern, kaum, dass sie in Deutschland flächendeckend in Getränkemärkten und Supermärkten vertreten waren. Die einen meinen, der Gründerfamilie sei der schnelle Erfolg in den Kopf gestiegen. Andere sagen, ihren Partnern sei der Flug nicht steil und schnell genug gewesen. Der Verkauf der letzten Familienanteile an Radeberger und damit den Oetker-Konzern 2012 wurde nicht nur in der Bioszene, sondern auch in Teilen der bioaffinen Kundschaft als Verrat empfunden - und abgestraft. Gemessen am Rekordjahr 2008 mit 200 Millionen verkauften Flaschen liegt der Absatz bei einem Bruchteil davon.

Bei Hassia bemüht man sich, den Ball flach zu halten und trotzdem Optimismus für den Relaunch zu verbreiten. "Bionade hat einen hohen Bekanntheitsgrad und steht für die Trends der Rückbesinnung auf Nachhaltigkeit und Regionalität, sowie Gesundheit", sagt Svenja Lonicer. Auf all das wolle man aufbauen, Schritt für Schritt. Mit neuen Gebinden, mit größeren Glas- und nur in wenigen Ausnahmefällen Plastik-Flaschen, mit Schraubverschlüssen statt Kronkorken, vor allem mit langfristig stabilen Preisen. Große Wachstumsziele beziffert die Marketingchefin nicht.

Neues Konzept mit unoriginellen Sorten

Die Bionade ist zu einem Experiment geworden, ob die Reanimation einer von Ökoexperten für tot erklärten Marke auch in der besonders kritischen und anspruchsvollen Biobranche gelingen kann. Vorsorglich machen die neuen Eigentümer (noch) einen Bogen um die Discounter, wo sich bereits immer mehr Biowaren in den Regalen finden.

Dass die beiden ersten, neuen Sorten unter Hassia-Führung Zitrone und Orange sind, irritiert allerdings. 80 Prozent der hierzulande verkauften Limonaden haben diese Geschmacksrichtungen. Läuft Bionade jetzt dem Massengeschmack hinterher? Für Svenja Lonicer ist das keine Frage: "Wir haben unsere Kunden befragt, welche Geschmacksrichtungen sie möchten, und das ist dabei herausgekommen."

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Quelle:
SZ vom 14.02.2019/lüü/vwu
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