Verbrauchern wird in diesen Tagen gern unterstellt, sie würden bei Lebensmitteln vor allem auf eines achten: den Preis. Nach dem Motto, je billiger desto besser. Darum hat sich diese Woche auch der Lebensmittelgipfel im Berliner Kanzleramt gedreht. Doch stimmt dieses Pauschalurteil wirklich? Zahlen aus dem Naturkostfachhandel, die der SZ vorliegen und diesen Freitag veröffentlicht werden, zeichnen ein anderes Bild. Sie zeigen, dass zumindest einem Teil der Konsumenten auch etwas anderes wichtig ist. Sie wollen sich nicht nur gesund ernähren, sondern legen Wert auf Lebensmittel, deren ökologischer Fußabdruck möglichst gering ist. Und dafür sind sie auch bereit, mehr Geld auszugeben.
Bio entwickelt sich von der Nische zum Massenmarkt
Der Gesamtumsatz im deutschen Biofachhandel stieg demnach 2019 fast um neun Prozent auf 3,7 Milliarden Euro. "Heute kauft der Einzelne mehr Bio-Produkte und immer mehr Menschen tun das im Naturkosthandel", sagt Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin beim Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), zu dessen Mitgliedern auch Bioketten wie Alnatura und Basic zählen. "Wir spüren den Zeitgeist", ergänzt sie. Ökologische Produkte und nachhaltiger Konsum stünden bei deutschen Konsumenten heute stärker im Fokus. Jäckel nennt das den Greta-Effekt und meint damit die im vergangenen Jahr erstarkte Fridays-for-Future-Bewegung um die Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Tatsächlich zeichnet sich der Aufwärtstrend für den Biofachhandel aber schon länger ab, nachdem es bis vor einigen Jahren abwärts gegangen war. Was vor allem daran lag, dass große Lebensmittelhändler und Discounter ins Biogeschäft eingestiegen sind. Und das oft zu Preisen, die bis heute unter dem Niveau von Fachgeschäften liegen. Hinzu kam, dass hochwertige Verbandsmarken wie Demeter und Bioland, die anfangs nur in Fachgeschäften vertrieben wurden, nun ebenfalls im normalen Handel zu finden sind. So führt etwa Lidl Bioland-Produkte im Sortiment, Kaufland bietet eine kleine Demeter-Auswahl an, andere Discounter ziehen nach.
Umso erstaunlicher ist, dass der Naturkosthandel trotz des hohen Wettbewerbsdrucks wieder zulegt. Die BNN-Geschäftsführerin erklärt dies damit, dass Einkaufen für immer mehr Menschen eine Vertrauensfrage sei. "Für sie ist Nachhaltigkeit nicht nur ein Trend, sondern Ausdruck einer Haltung." Die Qualitätsrichtlinien im Naturkost-Fachhandel gehen eigenen Angaben zufolge über die gesetzlichen Anforderungen für Bioprodukte hinaus.
Die Zuwächse im Biofachhandel sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ökolebensmittel noch immer ein Nischenprodukt sind. Nach Angaben des Einzelhandelsverband EHI lag der Gesamtumsatz mit Lebensmitteln 2018 bei 162 Milliarden Euro. Davon entfielen gerade einmal fünf Prozent auf Ökoware. Dass inzwischen gut 60 Prozent der Biolebensmittel vom normalen Einzelhandel verkauft werden, ist in der Ökoszene durchaus umstritten. Nicht jedem überzeugten Biokäufer gefällt es, dass Aldi und Co. in dem Geschäft mitmischen und auch Bioerzeuger unter Preisdruck setzen. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, der Dachverband der Bioerzeuger, weist diese Kritik jedoch zurück.
Dessen Vorsitzender, Felix Prinz zu Löwenstein ist überzeugt, dass sich Bio vom Nischen- zum Massenprodukt entwickeln muss. Das gehe nur über den gesamten Handel. Bei manchen Produkten wie Milch, Mehl, Speiseöl und Eiern liege der Bioanteil schon jetzt bei mehr als fünf Prozent. "Da bewegen wir uns schon deutlich aus der Nische heraus", sagt er. Der Handel könne es sich daher nicht mehr leisten, auf Bioprodukte im Sortiment zu verzichten. Und er sagt auch: "Vielen Konsumenten geht es nicht mehr nur um den Preis. Sie wünschen sich, dass Bauern umweltfreundlich und tiergerecht wirtschaften und ein gutes Auskommen haben." Lebensmittelpreise dürften nächste Woche auch bei der Biofach in Nürnberg, der größten Biofachmesse weltweit, ein Thema sein.