Süddeutsche Zeitung

Billigflieger:Auf der Lauer

Bislang haben es Lufthansa und Air Berlin geschafft, das Vordringen von Ryanair und Easyjet in Deutschland zu begrenzen. Doch es deutet vieles darauf hin, dass dies nicht so bleiben wird.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Wenn man die Klagen der Lufthansa über die Billigfluggesellschaften hört, dann könnte man meinen, der deutsche Luftverkehrsmarkt sei längst fest in den Händen von Branchengrößen wie Ryanair und Easyjet. Ein Blick auf aktuelle Statistiken lässt diesen Schluss allerdings nicht zu. Noch haben die größten Anbieter in Deutschland eher geringe Marktanteile. Doch das dürfte sich wohl schon bald ändern.

Billigfluggesellschaften haben in Deutschland nach einer Analyse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) von Anfang des Jahres 2016 einen Marktanteil von rund 31 Prozent (Grafik). Das ist vergleichbar mit dem europäischen Durchschnitt. Ihr Kapazitätswachstum ist mit knapp sieben Prozent allerdings sehr groß, zumal wenn man bedenkt, dass Lufthansa und Air Berlin ihre Flotten gerade verkleinern. Doch noch gibt es einen gravierenden Unterschied zu den meisten anderen Ländern in der Europäischen Union: Die deutschen Fluggesellschaften waren bislang bemerkenswert erfolgreich darin, das Billigfluggeschäft selbst zu kontrollieren und nicht an Easyjet, Ryanair oder Wizz Air zu verlieren.

So hält Lufthansa-Tochter Eurowings derzeit einen Marktanteil von 37 Prozent am sogenannten Low-Cost-Geschäft - gemessen an der Zahl der Flüge. Dicht dahinter folgt Air Berlin mit 34 Prozent, dann erst kommen Ryanair mit 12,8 und Easyjet mit 6,8 Prozent. Diese Machtverhältnisse vermitteln den Eindruck, als könne den deutschen Anbietern wenig passieren. Doch die Zahlen sind aus mehreren Gründen mit Vorsicht zu genießen: Den überwiegenden Teil der Eurowings-Flüge bestreitet die Lufthansa-Tochter Germanwings, deren Kosten fast so hoch sind wie die der Muttergesellschaft. Die durchschnittlichen Ticketpreise liegen etwa dreimal so hoch wie die bei Ryanair. Es ist also sehr die Frage, ob Eurowings wirklich als Billiganbieter gelten kann. Bei Air Berlin wiederum ist die Zukunft ungewiss: Die Airline steckt in existenziellen Schwierigkeiten und hat gerade auf Druck des größten Anteilseigners Etihad beschlossen, sich aus dem Billigsegment zurückzuziehen und lieber ein Premiumprodukt inklusive Business Class auf Europastrecken anzubieten. Außerdem sieht sie Chancen für Wachstum und bessere Preise auf dem Nordatlantik - angesichts dramatischer Preisrückgänge und Überkapazitäten auf den Langstrecken hat sie diese Sicht der Dinge derzeit exklusiv.

Die aktuelle Marktaufteilung ist also brüchig und kann sich schnell verändern: Sollte Air Berlin das Flugangebot im kommenden Winter weiter reduzieren und dies angesichts ihrer katastrophalen wirtschaftlichen Lage vielleicht sogar schneller umsetzen als erwartet, wäre es für Ryanair-Chef Michael O'Leary ein Leichtes, 20 oder 30 Maschinen zusätzlich in Deutschland zu stationieren. Im nachfragearmen Winter stellt Ryanair in der Regel ohnedies Dutzende ihrer Boeing 737 ab. Aber auch andere Billigfluggesellschaften drängen in den Markt, wie etwa Vueling oder Transavia, eine Tochter von Air France/KLM.

Ryanair hat angekündigt, den Marktanteil in Deutschland verdoppeln zu wollen. Erste große Schritte in diese Richtung sind fixiert: Im vierten Quartal 2016 wird die Airline zusätzliche Basen in Hamburg und Nürnberg eröffnen. Sie stationiert zudem künftig neun Flugzeuge am Flughafen Berlin-Schönefeld, bislang waren es vier. Insgesamt erhöht Ryanair von September an die Kapazität in Deutschland um 28 Prozent. Und O'Leary behauptet, er könne sich vor Gesprächsangeboten von deutschen Flughäfen nicht mehr retten.

Die Aussage mag zum Teil Verhandlungstaktik sein - schließlich haben sich die deutschen Flughäfen bislang gegenüber Ryanair wegen der geforderten Niedrigstgebühren sehr reserviert gezeigt. Aber es stimmt, dass sich die Lage für sie gerade ändert: Je mehr sich Air Berlin auf Düsseldorf und Berlin konzentriert, umso mehr sind die anderen deutschen Flughäfen darauf angewiesen, sich nach Alternativen umzusehen. Besser Ryanair oder ein anderer Billigflieger als gar keine Passagiere mehr.

Auch Easyjet wäre bis vor Kurzem eine ähnlich große Bedrohung wie Ryanair gewesen. Doch das Brexit-Referendum, das Votum der Briten für einen Ausstieg aus der Europäischen Union, macht es für die britische Fluggesellschaft schwieriger, in Kontinentaleuropa zu expandieren. Sie muss nun erst sicherstellen, dass ihre Verkehrsrechte für Flüge innerhalb der EU auch erhalten bleiben.

Noch ist das Low-Cost-Angebot sehr ungleich auf die einzelnen deutschen Flughäfen verteilt. Düsseldorf und Berlin-Tegel kamen den DLR-Zahlen zufolge 2015 mit jeweils rund 10,5 Millionen auf die meisten Passagiere in dem Segment, gefolgt von Hamburg, Köln und Berlin-Schönefeld (7,6, 7,2 und 6,7 Millionen Passagiere). Ob Düsseldorf wirklich als Low-Cost-Standort zählt, darüber darf man streiten - denn das Angebot dort stellen Air Berlin und Eurowings. Es gibt Flughäfen wie Hahn, Schönefeld, Weeze oder Dortmund, auf denen praktisch ausschließlich echte Billigairlines aktiv sind.

Klar abzulesen ist an den Zahlen auch die dominierende Stellung der Lufthansa an ihren Drehkreuzen in München und Frankfurt: In München waren 2015 nur 12,6 Prozent der Passagiere mit Billigfluggesellschaften unterwegs - und ein guter Teil davon mit der Lufthansa-Tochter Eurowings. In Frankfurt waren es gar nur mickrige 2,3 Prozent. Wer in der Rhein/Main-Region günstig fliegen will, der muss auf die eher kleinen Billigkontingente der Lufthansa hoffen oder lange Autofahrten nach Hahn, Köln oder Nürnberg in Kauf nehmen. In München heißen die Alternativen Memmingen und Nürnberg.

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SZ vom 12.08.2016
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