Süddeutsche Zeitung

Billigairline:Seltsames Firmengeflecht um Ryanair

  • Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung gegen 101 Beschuldigte, die meisten davon sind Flugkapitäne
  • Es geht um ein komplexes Konstrukt, durch das wohl Steuerzahlungen vermieden werden.
  • Dienstleistungs-Verträge zwischen Piloten und Personalfirmen sind das zentrale Element dieser Beschäftigungs-Verhältnisse. Ryanair kann wohl nicht belangt werden.

Von Klaus Ott und Georg Wellmann, Köln/München

Der Dienstherr sitzt in Irland, der Arbeitgeber in Großbritannien, und dann sind auch noch Buchhaltungsfirmen, Beratergesellschaften und Steuerbüros in mehreren Staaten im Spiel. Eine höchst ungewöhnliche Konstruktion für ein und denselben Job. Eine so seltsame Konstruktion, und in so vielen Fällen, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen mehrerer mutmaßlicher Delikte gegen insgesamt 101 Beschuldigte ermittelt.

Es geht um den Verdacht der Steuerhinterziehung und des Sozialversicherungsbetrugs, beziehungsweise Beihilfe hierzu. Die meisten Beschuldigten sind Piloten, die für Europas größte Billigfluglinie Ryanair aus dem irischen Dublin arbeiten. Die dort aber nicht angestellt sind.

Die Ermittler sind nach Informationen von SZ, WDR und NDR auf ein System gestoßen, mit dessen Hilfe Ryanair möglicherweise viel Geld eingespart hat. Ein System, das der mit Tickets zu Schleuderpreisen auf 100 Millionen Passagiere im Jahr gewachsenen Fluggesellschaft offenbar viele Vorteile gebracht hat, zulasten der Konkurrenz. Ein System, für das die Staatsanwaltschaft Koblenz nach eigener Einschätzung bei der irischen Airline aber niemanden strafrechtlich belangen kann. Gegen Verantwortliche von Ryanair wird nicht ermittelt. Sondern gegen Manager von britischen Personalfirmen. Sowie vor allem, wegen angeblicher Beihilfe zu den im Raume stehenden Delikten, gegen zahlreiche Piloten. An sechs Ryanair-Standorten in Deutschland suchten die Ermittler nach Belegen für ihren Verdacht. Die Razzia galt vor allem Flugkapitänen, die von Deutschland aus arbeiten, aber hier wenig Steuern und Sozialabgaben zahlen.

Eine billige Lösung für Ryanair

Auf dem Papier sind viele Piloten von Ryanair selbständige Einzel-Unternehmen, die sich als "Ich-AGs" an britische Personalfirmen verkaufen. Die wiederum stellen die Flugkapitäne dann der Billiglinie zur Verfügung. Eine billige Lösung für Ryanair. Eine illegale Lösung, glaubt die Justiz. Das Amtsgericht Koblenz erließ vor wenigen Wochen auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Durchsuchungsbeschlüsse für die sechs Ryanair-Standorte in Deutschland. In einem der Beschlüsse werden die komplizierten Verträge, denen zufolge viele Piloten der Billiglinie selbständig und keine Angestellten seien, als "Fiktion" bezeichnet. Fiktion, das bedeutet: Erfindung, Märchen, Trugbild. Ein schwerer Vorwurf, der sich nicht gegen die Fluglinie selbst richtet. Bei der bestehe kein Tatverdacht, teilt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mit. Mehr sagen die Ermittler nicht, was die Sache ziemlich rätselhaft macht.

3500 Piloten und Copiloten fliegen für Ryanair. Mehr als die Hälfte sind bei der Airline angestellt. Aber viele sind es eben nicht; mehr als bei anderen Fluglinien. Nach Angaben der Piloten-Vereinigung Cockpit arbeiten 16 Prozent aller Flugkapitäne in "prekären Beschäftigungsverhältnissen". Tendenz steigend, so Cockpit, weil Ryanair als "Vorreiter" mit solchen zwielichtigen Praktiken die Branche unter Druck setze. Das irische Unternehmen, dessen Chef Michael O'Leary "Flugzeuge ohne Piloten" eines Tages für möglich hält, weist solche Vorwürfe zurück. Man stelle immer mehr Flugkapitäne fest an. Nicht wegen der öffentlichen Kritik am Modell mit den sogenannten "Vertrags-Piloten", die den Status von Ich-AGs haben. Sondern wegen des Wachstums der Airline.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat für ihren Vorwurf der "Fiktion" viele Anhaltspunkte gesammelt. Das gilt vor allem für die Verträge zwischen den Piloten und den britischen Personalfirmen. Diese Verträge werden über Dienstleister abgewickelt, über Steuerbüros und andere Gesellschaften, die sich für die Ich-AGs um den Papierkram und das Geld kümmern. Um die Buchhaltung, um die Überweisungen und so fort. Pro angefangener Arbeitsstunde gibt es ein genau festgelegtes Honorar.

Für andere Fluggesellschaften können die Piloten wohl nicht arbeiten

Dienstleistungs-Verträge zwischen den Piloten und den britischen Personalfirmen sind das zentrale Element dieser Beschäftigungs-Verhältnisse. Nach Erkenntnissen der Ermittler wissen viele Piloten aber beim Abschluss der betreffenden Verträge gar nicht, über welchen Dienstleister sie sich letzten Endes an Ryanair verkaufen. Viele Piloten wüssten auch gar nicht, mit wem sie es bei ihren Dienstleistern überhaupt zu tun haben, steht sinngemäß in einem der Durchsuchungsbeschlüsse. Das diene nur dazu, die "Einstufung der Piloten als Arbeitnehmer" der britischen Personalfirmen, also der Partner von Ryanair, zu umgehen. Eine Ich-AG, die gar nicht wie eine Ich-AG funktioniert, das ist nach vorläufiger Ansicht der Justiz die reinste Fiktion.

Für diese Annahme haben die Ermittler noch mehr Indizien zusammengetragen. Die Piloten seien in die Unternehmensstruktur und Dienstpläne von Ryanair eingegliedert und müssten sich an Richtlinien und Weisungen der Fluglinie halten. Ryanair schließe für die Kapitäne eine Berufshaftplicht ab. Ryanair besorge die Zugangs-Erlaubnisse zu den Flughäfen. Die Piloten müssten sich an die Firmengrundsätze von Ryanair halten und die von der Airline vorgegebenen "Simulator- und Flugbefähigungs-Checks" absolvieren. Die Möglichkeit, für andere Fluggesellschaften zu arbeiten, bestehe nicht, heißt es in einem der Durchsuchungsbeschlüsse.

Ryanair, Ryanair, immer wieder Ryanair. Doch die irische Airline mit ihrem Chef O'Leary, die immer nach den billigsten Lösungen sucht, ist fein raus. Keine Ermittlungen gegen Ryanair-Verantwortliche, nichts dergleichen. Die Fluglinie beteuert, man habe die Beschäftigungs-Modelle mit den "Vertrags-Piloten" weder selbst gestaltet noch abgesprochen. Solche Modelle seien auch in anderen Branchen üblich, etwa bei Krankenhäusern und Medien-Unternehmern. Alles in Ordnung, alles legal. Und natürlich, beteuert das irische Unternehmen, lasse man seine Flugkapitäne nicht im Stich. "Einzelne Piloten könnten dazu aufgefordert werden zu belegen, dass sie sich stets entsprechend ihrer steuerlichen Pflichten verhalten. Dabei unterstützen wir diese Piloten."

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Quelle:
SZ vom 19.07.2016/jps
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