Bilanz von Grün-Rot in Baden-Württemberg:Kretschmann, der grüne Wirtschaftsversteher

Ministerpräsident Kretschmann besucht Uni Hohenheim

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann

(Foto: dpa)

Rotwein-Runden mit den Bossen? Gibt es mit ihm nicht. Als die Grünen im März 2011 antraten, fürchteten manche Unternehmer die grüne Revolution im Industrie- und Autoerfinderland Baden-Württemberg. Doch Ministerpräsident Kretschmann kümmert sich intensiv um die Interessen der Wirtschaft. Manchen ist er aber immer noch nicht ganz geheuer.

Von Roman Deininger und Max Hägler, Stuttgart

Aus Sicht der Bienen steht ganz offensichtlich fest: Mit einem grünen Ministerpräsidenten lässt sich gut wirtschaften. Bald nach dem Regierungswechsel in Baden-Württemberg zogen vier Völker in den Park der Villa Reitzenstein, Winfried Kretschmanns Amtssitz hoch über Stuttgart. 120.000 Bienen sind es mittlerweile, trotz einer verheerenden Spechtattacke, und am Ende dieser Saison werden wohl 80 Kilogramm "Regierungshonig" im Topf sein - doppelt so viel wie im ersten Jahr.

"Um unsere kleinsten Mitarbeiterinnen mache ich mir keine Sorgen", freut sich Chef Kretschmann über diese ein wenig klebrige und doch super-süße Erfolgsgeschichte. Der erste grüne Ministerpräsident der Republik als erfolgreicher Kleinunternehmer und Wirtschaftspolitiker, das scheint zumindest am Amtssitz zu funktionieren, allen Warnrufen der großen Wirtschaft gerade jetzt vor der Bundestagswahl zum Trotz.

Wobei es ein weiter Weg war vom grünen Bürgerschreck zum Nachwuchsimker. Als die Grünen im März 2011 antraten, fürchteten manche in der Wirtschaft die grüne Revolution im Industrie- und Autoerfinderland Baden-Württemberg. Den Unternehmern war auf einmal der treueste Gefährte abhandengekommen: die CDU. Und der neue Partner in der Politik führte sich mit der Bemerkung ein, weniger Autos seien besser als mehr. Kretschmann wurde quasi gleich beim Start aus der Kurve getragen. Dann hat er aber relativ schnell in die Spur gefunden. Die Grünen, verkündete er am Ende seines eigenen Gewöhnungsprozesses, seien ja "schon immer eine Autofahrerpartei" gewesen.

Kretschmann, 65, der übrigens einen schnittigen Mercedes fährt, hat das Schwärmen gelernt: über seine Bienen wie überhaupt über die "technische Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen, um die uns die ganze Welt beneidet".

Mittwochabend, noch wenige Tage bis zur Wahl. Abschlusskundgebung der Grünen am Stuttgarter Schlossplatz. Auf einem bunten Banner steht "Kretschmanns Täuschung: Vom Landesvater zum Herrenknecht". So weit ist es also schon gekommen: Der Grüne wird geschmäht als Handlanger der Großindustrie, die den Hauptbahnhof verbuddeln will. Vor einigen Monaten hat Kretschmann den Tunnelbauer Martin Herrenknecht besucht. Die beiden Herren schienen sich zu verstehen - zum Ärger der radikalgrünen Basis.

"Brandgefährlich"

Kretschmann gibt sich als Wirtschaftsversteher; wie er Wirtschaft genau versteht, wie man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann, das erklärt er am Schlossplatz: "Ökonomie und Ökologie gehen in eine Richtung, und das ist einfach großartig." Und: "Unsere Unternehmen gehen diesen Weg gerne mit."

Dieter Hundt atmet tief durch. Er sitzt in einem Konferenzraum in Uhingen, wo sein Unternehmen Allgaier im großen Maßstab Benzintanks und andere Pressteile herstellt. Er ist Chef der Landes- und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, einer der wichtigsten Funktionäre im Land. "Gemischt" falle das Zwischenfazit aus, sagt er dann. SPD-Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid und vor allem Kretschmann würden inzwischen die Nöte der Wirtschaft kennen: Die Hochschulpolitik laufe ordentlich. Kein Wunder: Weiterhin können Wirtschaftsleute in den Hochschulräten mitreden. Auch die Bemühungen um Fachkräfte seien zufriedenstellend. Ihren Einfluss in Berlin machten Kretschmann und Schmid indes zu wenig geltend, sowohl im Bundesrat als auch in ihren Parteien, deren Programme teils "brandgefährlich" seien für den Standort.

Bei Schmid ist das kein Wunder. Der Kreditbewerter Standard & Poor's hat dem Land jüngst zwar die Bestnote AAA verliehen. Das ist der Lohn für den scharfen Denker. Aber Schmid ist noch jung, 40, und hat noch kein großes Netzwerk. Und er wie auch der Ministerpräsident agieren "vergleichsweise nüchtern", so formuliert es Hundt, der selbst Hinterzimmer gut kennt. Seine Durchsetzungskraft ist legendär, wovon auch die kleine Kanone auf dem Schrank zeugt, die ihm die Azubis einmal gebastelt haben. "Ein freundliches abendliches Hintergrundgespräch bei einem Glas Rotwein gab es mit Kretschmann noch nie", klagt Hundt. Dabei würde das doch mehr Vertrauen schaffen.

Zu reden gäbe es viel. Über die Kinderbetreuung, bei der Baden-Württemberg im Ländervergleich zurückliege. Oder die steigenden Strompreise, die bereits zu einer "schleichenden Deindustrialisierung" führten. Da fehle das Verständnis bei Grün-Rot, aber auch von FDP und Union, sagt der Industrielle. Dagegen werde das Thema prekäre Beschäftigung unverständlicherweise hochgespielt, samt der Werkverträge. Dabei "lebt auch mein Unternehmen - wie alle Autozulieferer - vom Vertragssystem Werkverträge." Keinesfalls dürfe das eingeschränkt werden. Und dann spricht Hundt an, was alle Wirtschaftsleute in diesen Tagen im Südwesten dieser Tage kritisieren: "die für uns inakzeptablen Steuerpläne der Grünen".

Kretschmann hat dazugelernt

Die Steuern - sie verfolgen die Partei. Vor dem Bundesparteitag im April hatte Kretschmann gemahnt: keine unzumutbaren Belastungen im Wahlprogramm! Aber auf dem Parteitag kämpfte er dann nicht. Hinterher freut er sich über einen "Kompromiss" bei den Steuerplänen, doch worin der Kompromiss besteht - das kann er so genau auch nicht sagen. Die Bundes-Grünen wollen Gutverdiener zur Kasse bitten. Kretschmann hat nichts erreicht.

Das ist es, was manchen Unternehmern Sorgen macht: dass es nicht nur Kretschmänner gibt bei den Grünen im Südwesten. Sondern auch die Wachstumsskeptiker, den linken Flügel um Verkehrsminister und S-21-Obergegner Winfried Hermann, der sicher beinahe vom Rad gefallen ist, als er Kretschmanns Spruch von der "Autofahrerpartei" hörte. Bei der CDU erzählen sie gern die Geschichte, wie Hermann einem Unternehmer empfohlen haben soll, sich woanders niederzulassen, wenn es ihm hier nicht gefalle.

Ist es wirklich so schlimm? Dieter Hundt ist nun eher konservativ, ist gut bekannt mit Helmut Kohl und all den anderen großen CDU-Männern der vergangenen Jahrzehnte. Und ist dennoch differenziert, so wie viele andere auch.

"Wir sehen unerwartet viel Kontinuität, uns geht's nicht schlecht", sagt der Finanzdienstleister Wolfgang Grenke, der dem Industrie- und Handelskammerbezirk Karlsruhe vorsteht. Fehlgriffe der alten Regierungen - Stuttgart 21 oder der Kauf der EnBW-Anteile - seien vermieden worden, stattdessen werde "mutig" am ausgeglichenen Haushalt gearbeitet, meint Grenke. Der Unternehmer übt aber - obwohl selbst SPD-Anhänger - durchaus auch Kritik: "Schmid hat sich sehr stark um das Finanzressort gekümmert, jetzt sollte er das Wirtschaftsressort mehr bearbeiten." Zu viele junge Leute scheiterten immer noch in der Schule. Und für Start-ups müsste mehr getan werden. Tatsächlich sind die Förderprogramme etwa in Bayern mit viel mehr Millionen ausgestattet als in Baden-Württemberg.

"Das ist hoch honorig von ihm"

Ein Spitzenmann aus einem Top-Unternehmen fasst es so zusammen: "Kretschmann, der hat am Anfang auf die Sahne gehauen und war überhaupt nicht informiert über die Autos, diese wichtigste Industrie im Land." Seinen Namen will der Mann nicht lesen: Die Börse würde solche Einlassungen nicht schätzen. "Aber", sagt der Manager weiter, Kretschmann habe dazugelernt. "Er sieht, was wir vorantreiben, etwa in der Umwelttechnik. Das ist hoch honorig von ihm."

Tatsächlich ist es so, dass Kretschmann mittlerweile pragmatisch vorgeht und auch Bedenken seiner Ressortleute überstimmt. Als es etwa ein wenig Knatsch gab mit dem Verkehrsminister Hermann über die Straßenanbindung des neuen Betriebsgeländes von Festo, einem weltweit führenden Automatisierungsspezialisten, griff Kretschmann schließlich ein und verkündete nach einem Spitzengespräch: "Der Ausbau ist rechtzeitig fertig!" Auch als Daimler den Wunsch nach dem Bau einer Auto-Teststrecke im badischen Immendingen äußerte, war nach verhältnismäßig kurzer Diskussion klar: Die Landesregierung unterstützt das Projekt. Keine Spur von grüner Verhinderungstaktik.

Allerdings: Noch nicht mit allen sind die Grünen und Roten und deren Spitzenleuten wirklich richtig warm geworden. Als Kretschmann auf der Automesse IAA die Firmen aus dem Land besucht, da lassen sich manche Vorstandschefs mittelständischer Firmen trotz vorheriger Terminvereinbarung noch entschuldigen, so als ob sie Angst hätten, nicht wie gewohnt mit einem CDU-Mann zusammenzustehen.

Die ganz großen Unternehmen dagegen, die haben sich schon souverän an den Imker und Landesvater gewöhnt: Als Kretschmann auf Daimler-Chef Dieter Zetsche trifft, ist die Stimmung gut. Und als er mit Porsche-Vorstandschef Matthias Müller dann vor einem Porsche 918 Spyder steht, da lächelte er sogar selig: 887 PS, 340 Stundenkilometer Spitzengeschwindigkeit. Kein Problem mehr für den grünen Spitzenpolitiker, schließlich sei ja ein verantwortlicher Umgang mit Energie erkennbar: Der Spyder hat einen Hybrid-Antrieb. 79 Gramm CO2. Das macht beinahe so viel Freude wie der Bienenhonig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: