Bilanz der Bahnreform:Zurück in die Zugunft

A station clock is pictured at a platform of the main train station in Mainz

Das Debakel am Mainzer Hauptbahnhof verärgerte in diesem Jahr viele Fahrgäste.

(Foto: REUTERS)

Ein Riesensprung in die Moderne des Zugverkehrs war versprochen - die Hoffnungen in die Bahnreform vor 20 Jahren waren groß. Sie spaltet die Nation bis heute. Steigende Preise, stagnierender Marktanteil, immerhin ein Passagierrekord: Was bisher geschah, was geschehen müsste.

Ein Kommentar von Daniela Kuhr

Da hatte sich was angestaut: "Frechheit, dieser Konzern!", schreibt ein Reisender auf der Facebook-Seite der Deutschen Bahn. "Erhöhen die Preise und bringen nicht nur mangelhafte, sondern keine Leistung!! Jeder andere Konzern wäre lange Pleite!" Es ist nicht der einzige Kommentar dieser Art im Netz.

Selbst begeisterte Zugfahrer hat die Bahn in diesem Jahr an manchen Tagen vor den Kopf gestoßen, man denke nur an das Debakel am Mainzer Hauptbahnhof. Vor lauter Empörung gerät da schnell was durcheinander. Wahlweise wird dann über die "Bundesbahn" oder die "Privatisierung" geschimpft. Dabei heißt das Unternehmen schon seit 20 Jahren nicht mehr Bundesbahn, sondern Deutsche Bahn AG. Und so richtig privatisiert ist es auch nicht. Als Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent dem Bund gehört, ist die Bahn immer noch ein reiner Staatskonzern - der es immer wieder fertig bringt, einige Kunden bis aufs Blut zu reizen. Und das 20 Jahre nach der Bahnreform.

Diese Reform spaltet die Nation bis heute. Würde man eine Umfrage starten, ob es richtig war, in der Nacht auf den 1. Januar 1994 aus Bundesbahn und Reichsbahn die Deutsche Bahn AG zu formen - man bekäme keine klare Antwort. Die Bahn selbst hält die Reform für einen Erfolg. Andere trauern der guten alten Bundesbahn nach, und wieder andere würden sich noch deutlich mehr Wettbewerb wünschen. Doch lässt sich der Erfolg der Reform überhaupt objektiv messen?

Marktanteil kaum erhöht

Die Ziele zumindest waren klar: mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und den Bundeshaushalt zu entlasten. Das war nötig, denn Bundesbahn und Reichsbahn, beide hochdefizitär, hatten zusammen 34 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Wer heute schimpft, früher habe die Bahn mehr Mitarbeiter gehabt, sei öfter gefahren und habe mehr Bahnhöfe unterhalten, sollte an diesen Schuldenberg denken - und vor allem an die Folgen: Je mehr Geld für Zins und Tilgung draufgeht, umso weniger steht etwa für neue Züge zur Verfügung. An einer Reform führte also kein Weg vorbei. Die Deutsche Bahn AG startete komplett schuldenfrei - aber mit dem Auftrag, ab sofort wirtschaftlich zu arbeiten.

Fragt man die Bahn, ob das der richtige Weg war, lautet die Antwort ganz klar: Ja. Der Bund gebe pro Jahr nur noch 16,7 Milliarden Euro für die Eisenbahn aus - statt 20,5 Milliarden. Macht man sich gleichzeitig aber bewusst, dass die Bahn schon wieder 17 Milliarden Euro neue Schulden angehäuft hat, klingt das ernüchternd. Und auch beim zweiten Ziel fällt die Bilanz bescheiden aus. Die Bahn sagt: Vor der Reform legten die Deutschen pro Jahr 65 Milliarden Kilometer im Zug zurück, jetzt seien es 88 Milliarden.

Das ist ein deutlicher Zuwachs, Kritiker aber schauen auf eine andere Zahl: Obwohl seit 1994 ganze 80 Milliarden Euro ins Netz gesteckt wurden, hat die Bahn im Vergleich zum Auto und Flugzeug ihren Marktanteil kaum erhöht. Im Fern- und Nahverkehr liegt er jeweils grob bei zehn Prozent. Das heißt, die meisten Menschen setzen sich nach wie vor lieber ins Auto oder Flugzeug.

Nicht nur Masochisten unter den Bahn-Ahnhängern

Daumen rauf oder Daumen runter - so einfach ist es bei der Bahnreform nicht. Es kommt immer darauf an, welche Zahl man betrachtet. Sicher ist aber: Der Staat könnte deutlich mehr sparen, würde er die Verwendung des Geldes, das er ins Eisenbahnwesen steckt, genauer kontrollieren. Es ließe sich auch mehr Verkehr auf die Schiene verlagern, würde der Wettbewerb stärker gefördert. Und verlangte der Bund der Bahn nicht eine dreistellige Millionen-Dividende ab, gäbe es einen Grund weniger, jährlich die Preise zu erhöhen. Der neue Verkehrsminister muss all diese Probleme bald angehen.

Zum Glück für die Bahn aber sind es nicht nur aufgebrachte Menschen, die sich im Internet äußern. Als sich ein Kunde über eine Verspätung beschwert, wird er prompt von anderen Bahnfahrern abgewatscht. "Wenn Sie die Bahn so hassen, warum fahren Sie dann damit? Nehmen Sie Ihr Auto, ab auf die Straße und viiel Spaß!!!" Wenn er dann zu spät dran sei, könne er sich ja beim ADAC beschweren.

Die Bahn hat also durchaus Anhänger, und das sind sicher nicht alles Masochisten. Eine Zahl gibt es nämlich doch, die objektiv etwas aussagt und an der nicht zu rütteln ist: zwei Milliarden. So viele Menschen sind im vergangenen Jahr mit der Bahn gefahren - es war ein neuer Rekord. Ganz so schlimm, wie manche Kommentare glauben machen, kann es um das Unternehmen dann doch nicht bestellt sein.

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