Süddeutsche Zeitung

Big Data:Sie wissen viel

Versicherer haben Massen an Informationen über ihre Kunden. Dass sie diese Daten noch viel zu wenig nutzen, liegt aber nicht nur an strengen Schutzregeln.

Von Anna Gentrup, Köln

Eberhard Sautter ist spürbar sauer. "Für jeden kleinsten Datensatz, für jede einzelne Eingabe müssen wir vom Kunden die Zustimmung zur Datennutzung einholen", sagt der 52-jährige Chef des Hamburger Versicherers Hanse Merkur. Schuld sei der überbordende Datenschutz auf den Ebenen EU, Bund und Land. "Das macht uns international weniger wettbewerbsfähig", moniert Sautter bei der SZ-Fachkonferenz Data Analytics und Big Data.

Die Versicherer sind nervös. Sie sitzen auf riesigen Datenbeständen über ihre Kunden: Antragsdaten, Autotypen, Krankendaten, Gebäudebesitz, frühere Schäden. Dazu kommen öffentlich verfügbare Informationen aus sozialen Netzen, von Auskunfteien oder Wetterdiensten. Und mit Fitness-Trackern, Fahrdaten aus Autos oder Häusern mit vielen Sensoren kommen künftig jeden Tag Millionen frische Datensätze bei den Versicherern an.

Aber manche Manager haben wie Sautter den Eindruck, dass sie diese Informationen - selbst wenn sie anonymisiert sind - kaum verwenden dürfen, weil der Datenschutz im Wege steht. Die Sorge: Wenn Internet-Konzerne wie Google in ihren Markt drängen, können sie auf Grund ihrer Datenschätze vielen Kunden günstigere Angebote machen und so den etablierten Anbietern das Geschäft abnehmen.

Thomas Kranig, oberster Datenschützer in Bayern, hält dagegen. Blockiert der Datenschutz die Versicherer? "Genauso wie Steuern, Betriebsräte, Arbeitsrecht und Sicherheitsrecht lähmt Datenschutz möglicherweise Innovationen", sagt Kranig. "Wir verpflichten diejenigen, die mit personenbezogenen Daten umgehen, den Datenschutz einzuhalten." Das seien die Leitplanken auf der Autobahn, auf der sich die Unternehmen bewegten. Doch sollten die Versicherer damit eigentlich wenig Probleme haben, sagt Kranig - wenn sie ihren Kunden gegenüber offen sind. "Sie können den Kunden einen neuen Tarif anbieten, wenn sie sagen, Transparenz ist das höchste Gebot." Die zentrale Frage ist für ihn: "Weiß der Kunde wirklich, welche Daten genutzt werden und zu welchem Zweck?" Guter Datenschutz könne für einen Versicherer sogar zum Wettbewerbsvorteil werden.

Wenn ein Versicherer damit argumentiert, dass er eine bestimmte Neuerung nicht einführt, weil es Datenschutzbedenken gibt, sollte er sich mit den Behörden auseinandersetzen, empfiehlt Kranig. "Kommt auf uns zu und fragt uns, dann finden wir auch eine Lösung", appelliert er an die Versicherer. Das habe sowohl für den Telematik-Autoversicherungstarif der Allianz als auch für das Vitality-Angebot der Generali gegolten.

Der Datenschützer erwartet, dass sich gesellschaftliche Veränderungen im Recht niederschlagen werden. "Der Datenschutz in Deutschland verändert sich", sagt er. "Das liegt an den Leuten und daran, wie sie mit ihren personenbezogenen Daten umgehen." Einige Änderungen bringe schon die neue EU-Datenschutzrichtlinie, die im Jahr 2018 wirksam wird. "Wenn mir ein Versicherer sagt, das machen wir nicht, da haben wir zu große Bedenken, sage ich, selbst schuld", sagt Kranig.

Volker Sieg vom Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young lässt das Argument Datenschutz für die mangelnde Big-Data-Nutzung ohnehin nicht gelten. Die Branche hat zum Teil selbst schuld, denn Versicherungsvorstände drängten nicht ausreichend auf den Ausbau der Datenanalyse, argumentiert er. "Wir haben keine Kapazität, oder wir kommen nicht an die Daten ran", höre er am meisten in Unternehmen, sagt Sieg. Tatsächlich könne man aber mit einfachen Mitteln vorhandene Daten interpretieren "Die Herausforderung bleibt vor allem die Gewinnung von entsprechenden Mitarbeitern." Das Problem zu verdrängen, könne aber katastrophale Folgen für die Anbieter haben. "Wer das nicht macht, verliert im Konkurrenzkampf, weil er zum Beispiel mehr für Schäden zahlt", sagt Sieg. Denn gerade große Anbieter analysieren ihre Daten schon.

Die Daten liegen weitgehend unstrukturiert und ungeordnet vor

"Wir verfügen heute über Daten in einem Ausmaß, das wir vor fünf ist zehn Jahren nicht hatten", sagt Dirk Wittkopp aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von IBM. "Und wenn wir sie hatten, hatten wir nicht die nötigen Systeme und Rechenwege, um die Daten im Kontext zu analysieren und sie zu Entscheidungen beitragen zu lassen." Das sei heute ganz anders. Das Hauptproblem nach seiner Ansicht: Die Daten liegen weitgehend unstrukturiert und ungeordnet vor. "Wir brauchen ein System, das Texte strukturiert, für uns liest, aufbereitet und die Informationen zur richtigen Zeit in der richtigen Form zur Verfügung stellt." Dafür gebe es aber inzwischen Lösungen.

Ein praktisches Beispiel nennt Wolfgang Hauner, Chef der Datenanalyse beim Rückversicherer Munich Re. "Es ist sehr schwer, bereits an Diabetes erkrankte Personen zu versichern", sagt er. Aber wenn man bestimmte Gesundheitswerte genau analysiere und sie mit großen Mengen solcher Daten von anderen Diabetikern vergleiche, sei die Lage anders. Dann könne ein Versicherer manchen Diabetiker zu kaum schlechteren Konditionen als einen Gesunden versichern.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2016
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