Bienensterben durch Chemikalien?:11.500 tote Völker

Das Interesse an der Imkerei nimmt zu

Die letzte Biene? Das Massensterben der Insekten beunruhigt Wissenschaftler schon seit Jahren

(Foto: dpa)

Seit Jahren rätseln Wissenschaftler, was das Massensterben von Bienen auslöst. Jetzt enthüllt ein Bericht der EU alarmierende Ergebnisse: Insektizide von Bayer und Syngenta könnten mit verantwortlich sein, die Firmen versprechen Aufklärung. Der Fall wirft die Frage auf, wie umweltfreundlich die Landwirtschaft eigentlich noch ist.

Von Silvia Liebrich und Helga Einecke

Was Umweltschützer und Imker schon länger auf die Barrikaden treibt, bestätigt nun eine Untersuchung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa). Umstrittene Insektenvernichtungsmittel, die großflächig in der industriellen Landwirtschaft eingesetzt werden, sind vermutlich mitverantwortlich für das Massensterben von Bienen. Im Verdacht haben die Aufseher Insektizide des deutschen Herstellers Bayer und des Schweizer Syngenta-Konzerns. Sie enthalten Wirkstoffe, die zur Gruppe der Neonikotinoide gehören. Die Insekten spielen eine wichtige Rolle bei der Befruchtung vieler Pflanzen. Fallen sie als Bestäuber aus, schadet dies nicht nur der Umwelt, sondern auch der Nahrungsmittelproduktion.

Die von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Untersuchung kommt zu alarmierenden Ergebnissen. Es seien eine ganze Reihe von Risiken festgestellt worden, teilte die Behörde mit. Sie warnt ausdrücklich vor den Gefahren für Bienen durch die drei Insektizide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam.

Ohne Orientierung

Die Forscher gingen der Frage nach, welche kurz- und langfristigen Folgen selbst nicht tödliche Mengen des Gifts für Bienenvölker haben. Das Verhalten der Tiere spielt eine entscheidende Rolle. Experten warnen davor, dass die Chemikalien den Orientierungssinn der Bienen stören können, sodass sie nicht mehr in ihre Bienenstöcke zurückfinden.

Bayer und Syngenta müssen nun eine Stellungnahme abgeben. Die EU-Kommission will das Thema Ende Januar mit den EU-Ländern diskutieren. Wenn es bewiesenermaßen ein Problem mit diesen Produkten gebe, "wird die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten die notwendigen Maßnahmen ergreifen", sagte ein Kommissionssprecher und deutete damit ein Verbot der Mittel an. Aufgrund fehlender Daten seien nicht alle Analysen endgültig abgeschlossen. Die Behörde kommt zu dem Schluss: "Die Wissenschaftler haben etliche Risiken für Bienen durch drei Neonikotinoid-Insektizide ermittelt." Die Forscher forderten, auch das Risiko für andere Bestäuber zu untersuchen.

Biologen versuchen seit Jahren, das Massensterben der Bienen zu ergründen, das nicht nur Europa und Amerika betrifft, sondern auch andere Regionen. Neben Insektiziden setzen auch Milben, Viren und Pilze den Insekten zu. Die Neonikotinoide gehören seit den 1990er-Jahren zu den am häufigsten eingesetzten Insektiziden. Ihr Risikopotenzial ist hoch, weil Mittel dieser Stoffklasse systemisch wirken. Das bedeutet, sie finden sich irgendwann in allen Pflanzenteilen, auch wenn nur das Saatgut behandelt wurde. Außerdem werden sie häufig routinemäßig bei Raps, Mais, Sonnenblumen, Baumwolle und Zuckerrüben eingesetzt.

Bayer will offenen Dialog führen

Seit 2008 gilt es als sicher, dass Clothianidin ein Bienenkiller ist. In Südwestdeutschland starben 11 500 Bienenvölker. Die Maissaat war mit einem Beizmittel gegen den Maiswurzelbohrer behandelt worden, das den gefährlichen Wirkstoff enthielt. Die Körner wurden nicht richtig mit Erde bedeckt. So gelangte das Mittel ins Regenwasser und auf blühende Pflanzen. Die Bienen vergifteten sich an Pollen und am Wasser. Zeitweise verweigerten deutsche Behörden deshalb die Zulassung für alle gebeizten Saatgutmittel für Raps und Mais. Clothianidin wurde jedoch schon nach kurzer Zeit wieder zugelassen. Das Mittel wurde von Bayer und dem japanischen Pharmahersteller Takeda Chemical Industries entwickelt und ist in Deutschland unter dem Produktnamen Poncho zugelassen.

Das Interesse an der Imkerei nimmt zu

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(Foto: dpa)

Der betroffene Hersteller Syngenta kritisierte den Zeitdruck, mit der die Bewertung der Sicherheitsbehörde zustande kam. Bereits vorliegende praktische und wissenschaftliche Erkenntnisse seien überhaupt nicht berücksichtigt. Das Syngenta-Mittel Thiamethoxam werde seit mehr als zehn Jahren in einigen europäischen Ländern eingesetzt. Bei korrekter Anwendung habe diese Technologie keinen negativen Einfluss auf die Bienengesundheit.

Muss die Landwirtschaft umweltfreundlicher werden?

Bayer prüft nach eigenen Angaben die Berichte und zeigt sich bereit, pragmatische Lösungen zu finden. Man arbeite daran, Datenlücken zu schließen und einen offenen Dialog zu pflegen. In Studien der Saatguthersteller werden die unter Verdacht geratenen Beizmittel als unverzichtbar für die Landwirtschaft dargestellt. Sie würden den Bauern viel Zeit sparen und einen geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erlauben. Ein Verbot würde innerhalb der EU Verluste von 17 Milliarden Euro bedeuten, argumentieren die Hersteller. 50 000 Jobs stünden auf dem Spiel.

Der Streit um das Bienensterben hat auch eine politische Dimension. Es geht um die künftige Landwirtschaft in Europa, darum, ob sie ökologischer und umweltfreundlicher sein muss. Imker warnen seit Jahren vor der Ausbreitung von blütenarmen Monokulturen, die mit einem hohen Einsatz von Pestiziden und Dünger verbunden ist. Sie sehen in der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft eine der Hauptursachen für das Bienensterben. Aus Protest gegen diese Entwicklung luden Imker am Mittwoch säckeweise tote Bienen vor dem Kanzleramt ab.

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