Süddeutsche Zeitung

BGH-Urteil:4000 Euro Heizkosten? Keine Panik!

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Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ist das, was man eine böse Überraschung nennt. Der Mieter einer Dreizimmerwohnung in Heppenheim sollte laut Jahresabrechnung stattliche 5000 Euro an Heizkosten für zwei Jahre nachzahlen. Damit wären rund 45 Prozent der Heizkosten im gesamten Mietshaus auf ihn entfallen - die Wohnungsfläche hingegen machte nur 12 Prozent aus. Und ein Rentnerpaar aus Oldenburg traf es noch härter: 9000 Euro Nachzahlung für den Stromverbrauch eines einzigen Jahres forderte der Energieversorger, zehn Mal so viel wie im Vorjahr.

In beiden Fällen - kaum zu glauben - hatten die Gerichte der ersten (und im Heizkostenfall auch der zweiten) Instanz gegen die Verbraucher entschieden. Nun jedoch hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass die Verbraucher bei derart eklatanten Kostensprüngen nicht wehrlos dastehen. Er hat ihnen in beiden Fällen recht gegeben.

Im Heizkostenfall war die Sache eigentlich sonnenklar, nur war beim Landgericht Darmstadt "so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen kann", sagte die BGH-Senatsvorsitzende Karin Milger. Die Regel lautet: Wenn der Vermieter die Nachzahlung von Betriebskosten verlangt, dann ist er dafür beweispflichtig. Wenn der Mieter also Zweifel hat, darf er Einsicht in die Abrechnungsunterlagen nehmen. Dazu gehört auch der Blick in die Belege der anderen Mieter - etwa, um nachzuschauen, wo der überraschende Heizkostenanstieg sonst noch herrühren kann. "Wie sonst soll er die Abrechnung kontrollieren?", fragte Milger. Er muss auch keine "besonderen Anhaltspunkte" für seine Zweifel vorbringen. Stellt sich, wie hier, der Vermieter stur, dann ist die Nachzahlung nicht fällig. Der Mieter kann sie verweigern, bis der Vermieter nachgibt und ihm die Belege zeigt.

Etwas schwächer ist die Position des Verbrauchers im zweiten Fall. Der Stromversorger, das ist per Verordnung geregelt, kann im Normalfall darauf bestehen, dass seine Rechnungen umgehend bezahlt werden. Sinn dieser Regelung ist, dass es den Energieunternehmen nicht zumutbar ist, bei jeder Jahresabrechnung in erst einmal Tausende von Forderungen gegen all die Kunden einklagen zu müssen, die glauben, dieses Mal aber doch viel sparsamer gewesen zu sein. Wehren können sich die Kunden trotzdem, nur in umgekehrter Schlachtordnung: Wer die Jahresabrechnung für überhöht hält, muss zwar zahlen, kann aber seinerseits auf Regress klagen.

Die Vorjahresrechnung mal zehn - das ist schon ein "Paradefall"

Anders liegt die Sache jedoch, wenn die Jahresrechnung ohne ersichtlichen Grund eklatant nach oben geschnellt ist. Liegt der Anstieg bei mehr als dem Doppelten, dann kann der Kunde die Überprüfung des Stromzählers verlangen - und muss erst zahlen, sobald dessen Funktionsfähigkeit festgestellt ist. Daneben hat er aber noch einen zweiten Trumpf: Wenn "die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" besteht, dann muss er die Rechnung erst einmal nicht bezahlen - bis ihm der Versorger nachgewiesen hat, dass der Verbrauch zutreffend festgestellt ist.

Was "offensichtlich" und was "ernsthaft" ist, darüber mag man im Einzelfall streiten. Aber die Vorjahresrechnung mal zehn, das sei doch ein "Paradefall", merkte Milger an. Und weil der Rechnungsfehler damit gleichsam auf der Hand lag, war der normalerweise zugunsten des Versorgers geltende Zahlungsautomatismus unterbrochen: Das Energieunternehmen hätte, wie in jedem Zahlungsprozess, seinen Anspruch beweisen müssen. Weil es das versäumt hat, ist die 9000-Euro-Rechnung obsolet. Der Kunde muss vorerst gar nichts zahlen.

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SZ vom 08.02.2018
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