Süddeutsche Zeitung

BGH-Urteil zu Miet-Kündigungen:Endlich zählt der konkrete Fall

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Bislang entschieden Gerichte bei Kündigungen wegen Eigenbedarf nach gröbsten Fallkategorien. Damit ist nun Schluss.

Kommentar von Joachim Käppner

"Manche Menschen haben kein Talent zum Hauswirt, andere nicht zum Mieter." So treffend fasste der Schriftsteller Johannes Scherr bereits im 19. Jahrhundert zusammen, was zu unnützem Streit zwischen Mietern und Vermietern führt. Angesichts bis ins Groteske steigender Mieten in vielen Städten ist dieser Streit wieder voll entbrannt.

Die Positionen klingen oft, als lebten die Kontrahenten in völlig anderen Welten: Opfer nimmersatter Renditehaie hier, Opfer sozialistischer Wohnraumbewirtschaftung da. Man sollte dabei nicht vergessen, dass die Mieterseite die deutlich schwächere ist, zumal der Staat sich unter der Flagge der angeblich für alle besseren Privatisierung aus dem sozialen Wohnungsbau viel zu weit zurückgezogen hat. Man muss kein Jungsozialist sein, um einer Entwicklung, die sozial Schwächere und selbst Normalverdiener aus den Städten verdrängt, verhängnisvoll zu finden - auch weil sie die gesellschaftliche Spaltung vertieft.

Viele Immobilieneigner missbrauchen das Instrument Eigenbedarf

Dennoch: Weder Mieter noch Vermieter haben immer recht. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe bringt beide Seiten nun zurück auf den Boden der Tatsachen, zumindest in der heiklen Frage des Eigenbedarfs: Was geschieht, wenn der Vermieter oder seine Familie das Wohneigentum selbst nutzen möchten? Der BGH entschied an zwei Beispielen: Nur der konkrete Fall zählt. Und Eigenbedarf darf kein Freibrief für Entmietung sein.

Viele Besitzer missbrauchen das Instrument nämlich, um Altmieter loszuwerden, die meist weniger zahlen. Eigenbedarf darf aber auch nicht wegen angeblicher Unzumutbarkeit unmöglich werden, nur weil Mieter schon lange in derselben Wohnung leben. Manche Mieter klagen aus Gründen, an die sie selber kaum glauben, auch gegen nachgewiesenen Eigenbedarf.

Und die Gerichte? Sie entschieden bislang nach gröbsten Fallkategorien. Damit ist nun Schluss. Jeder Fall muss künftig mit Sorgfalt und für sich beurteilt werden. Das ist mühsam, keine Frage. Aber eigentlich sollte Gerechtigkeit im Einzelfall für den Rechtsstaat selbstverständlich sein.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2019
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