Bewertungsportal:Wenn die Kasse nicht zahlt

Der "Igel-Monitor" bewertet ärztliche Leistungen, für die der Patient aufkommen muss. Medizinern missfällt das Portal.

Von Mauritius Kloft, Berlin

Der Mann trägt einen Cowboyhut. Sein Blick ist finster. Die Hand liegt am Gürtel, den Colt griffbereit. Aus der Mundharmonika erklingt "Das Lied vom Tod".

So eine Szene aus einem Kino-Western kommt Peter Pick offenbar in den Sinn, wenn er an Deutschlands Augenärzte denkt. Es herrsche "Wildwest in Augenarztpraxen", urteilt Pick. Er ist Geschäftsführer beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, kurz MDS. Grund für die massive Kritik sind die sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (Igel); die bieten Ärzte an, die gesetzlichen Kassen bezahlen sie aber nicht.

Pick und sein MDS betreuen das Internetportal "Igel-Monitor", das seit 2012 über das Verhalten von Ärzten aufklären will. Den Anstoß geben häufig Patientenbeschwerden. Aus dem Portal zieht Pick seinen negativen Schluss über Augenärzte.

Den "Igel-Monitor" wiederum kritisieren die Facharztverbände. Insbesondere die Auswahl der bewerteten Leistungen ist seit Jahren Ziel von Vorwürfen. So sei die Auswahl "rein politisch motiviert", rügte der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery. Zuletzt wurde die Optische Kohärenztomographie (OCT) zur Früherkennung von Glaukomen, dem Grünen Star, bewertet. Diese habe sich nicht bewährt und spiele in der Praxis keine Rolle, heißt es vom Berufsverband der Augenärzte Deutschlands. Der "Igel-Monitor" aber besteht auf seiner Einschätzung und hält dagegen: Die OCT werde bei einer "relevanten Zahl" von Augenärzten angeboten. Das lasse sich aus den Anschriften an das Portal ersehen.

Das Problem dabei: Auch wenn die Kritik der Patienten an der Glaukom-Erkennung berechtigt sein mag, kann Picks Portal dessen Schwäche nur schwer belegen. Die Echtheit der Beschwerden wird nämlich nicht überprüft, sagt Christian Weymayr, Projektleiter des Igel-Monitors. So entsteht Raum für Missbrauch. Patienten, die Ärzten schaden wollen, könnten Unwahrheiten an den Monitor schicken. Der "Igel-Monitor" sieht hier allerdings keine größeren Schwierigkeiten. Man antworte schließlich auf die Zuschriften.

So unabhängig, wie sich das Portal gerne gibt, ist es nicht

Bei der Relevanz würden sich die Wissenschaftler auch nicht allein auf die Anfragen ans Portal verlassen. Um sicher zu gehen, haben sie selbst recherchiert - via Google. So haben 35 der ersten 100 auf der Suchmaschine angezeigten Augenarztpraxen die Glaukom-Leistung auf ihrer Homepage stehen. Diese Recherche lässt jedoch Zweifel zurück. Denn das Vorgehen des Portals ist nicht repräsentativ. Die Wissenschaftler des "Igel-Monitors" hatten bei ihrer Suche den Standort nicht ausgeschaltet, wie sie freizügig zugaben. Also wurden überwiegend Augenärzte aus dem Ruhrgebiet angezeigt - der MDS sitzt in Essen. 100 gefundene Augenarztpraxen sind ohnehin eine eher geringe Zahl. So gibt es in Deutschland laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung fast 6100 Augenärzte in Praxen. Die Forscher weisen die Bedenken zurück - die Relevanz sei trotzdem ausreichend.

Doch auch die eigentliche Bewertung erntet Kritik. So schneiden die beurteilten Ige-Leistungen insgesamt schlecht ab. Von den über 50 bewerteten Behandlungen bekommen die meisten die Wertung "tendenziell negativ", da reiht sich auch die OCT zur Glaukom-Früherkennung ein.

Für die Bewertung suchen die Wissenschaftler nach Studien, die Nutzen oder Schaden belegen. Bei der OCT gehen sie von "indirekten Schäden" aus. Diese Wertung übertragen die Wissenschaftler aus einer anderen Studie, die aber nichts mit dem Glaukom zu tun hat. Gleichzeitig ziehen sie den Schluss, dass die Glaukom-Erkennung keinen Nutzen habe. Grund: Sie haben keine Studien gefunden, die passen. "Dass der Nicht-Nutzen nachgewiesen ist, heißt das aber nicht", sagt Jürgen Wasem, Professor für Medizinmangement an der Universität Duisburg-Essen. "Man braucht hier noch einen Gegenbeweis". Dieser fehlt jedoch.

MDS-Chef Pick verteidigt den "Igel-Monitor": Es werde methodisch sauber gearbeitet. Wasem findet die Formulierungen auf der Homepage "aber oft parteiisch". Kein Wunder, so unabhängig, wie sich das Portal gerne gibt, ist es nicht. Der "Igel-Monitor" wird vom MDS mit 300 000 Euro jährlich finanziert. Dessen Geldgeber wiederum ist der Spitzenverband der Krankenkassen. Pick gibt zu: "Jeder weiß, wo wir systematisch angesiedelt sind". Den Vorwurf der Parteilichkeit weist er aber zurück. Doch die Kassen dürfte es kaum stören, wenn Leistungen, die sie nicht bezahlen, negativ bewertet werden. Dabei können Igel-Behandlungen tatsächlich ein Problem für Patienten sein. "Jeder Arzt kann sich im Grunde eigene Igel ausdenken und anbieten", heißt es von der Verbraucherzentrale NRW. In der Praxis gebe es über 300 Angebote. Für Behandlungen, die von den Kassen übernommen werden, bekommt der Arzt weit weniger, als er für eine Ige-Leistung erhält, diese seien für ihn oft sehr profitabel. Mit dem Portal "igel-ärger" bieten die Verbraucherzentralen auch eine eigene Plattform an, die über die Leistungen informiert - und die unabhängig ist.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: