Bewertungen im Internet:Netz der Lügner
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Das neue Superhandy, die Digitalkamera, sind sie wirklich so gut, wie die Werbung verspricht? Foren und Kommentare könnten helfen - doch sie sind unterwandert von Lohnschreibern. Früher konnten Verbraucherschützer die falschen Kommentare noch entlarven, mittlerweile ist das fast unmöglich.
Von Robert Gast
Für Benjamin H.* ist es der perfekte Studentenjob: Um 9 Uhr wacht er auf, öffnet sein Notebook und legt los. Erst wirbt der Wiener Student in einem Handwerkerforum für die Produkte eines Werkzeugherstellers. Dann gibt er sich in einem anderen Forum als Fan einer Glücksspielseite aus. Zwei Stunden, drei Zigaretten und ein paar Dutzend Beiträge später hat Benjamin 90 Euro verdient - der Lohn dafür, dass er das Internet mit Lügen füllt.
"Reputationsmanagement" nennt das die Firma, für die Benjamin bis vor zwei Jahren arbeitete. "Ein Drecksjob", sagt der 25-Jährige heute. Weil der Student damals einen Vertrag mit Verschwiegenheitsklauseln unterschrieben hat, möchte er weder seinen eigenen noch den Namen seines einstigen Arbeitgebers in der Zeitung lesen.
Nur soviel will er öffentlich sagen: Er hat für eine österreichische Kommunikationsagentur mit mehr als 60 Mitarbeitern gearbeitet. Zu den Kunden der Agentur gehörte 2012 auch ein großer deutscher Pharmakonzern, ein amerikanischer Computerhersteller - und ein österreichisches Staatsunternehmen.
Die Meinungsfreiheit hat das Internet groß gemacht: Jeder Nutzer kann sich in Online-Foren an Diskussionen beteiligen und auf Verkaufsportalen Bewertungen für Produkte abgeben. Taugt diese Kamera etwas? Ist der Drucker so gut, wie es die Werbung verspricht? Weil die Beiträge anonym eingestellt werden können, lässt es sich zwar ohne Vorurteile und auf Augenhöhe diskutieren, zumindest theoretisch. In der Praxis wird diese Freiheit aber auch dazu missbraucht, die Meinung anderer Nutzer zu manipulieren.
Bis zu 30 Prozent der Bewertungen könnten falsch sein
Wie viel im Internet ist echt, und wie viel ist Fälschung? Niemand weiß das so genau. "Das Problem ist da, aber es ist sehr schwer, verlässliche Zahlen zu finden", sagt Michaela Zinke vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Sie schätzt, dass zwischen zehn und 20 Prozent aller Bewertungen im Netz Auftragsarbeiten sind. Bei Tourismusportalen könnte die Quote auch etwas höher liegen. Der US-Informatikprofessor Bing Liu glaubt sogar, dass bis zu 30 Prozent der Bewertungen im Internet falsch sein könnten.
Aber nicht nur die Menge der gefälschten Inhalte macht den Experten Sorge. Seit längerem beobachten sie, wie die Lügenmaschinerie immer perfekter läuft. "Früher konnte man noch sehr auf die Sprache achten", sagt Michaela Zinke. Da waren gefälschte Beiträge oft noch von Fachbegriffen und Superlativen durchzogen, oder lobten Produkte eher unspezifisch über jedes Maß.
"Heute sind gefälschte Bewertungen oft überhaupt nicht mehr zu erkennen", sagt Zinke. Daran sollen Kommunikationsagenturen einen großen Anteil haben. Manche haben sich auf die gezielte Meinungsmache spezialisiert, andere bieten sie als inoffiziellen Teil ihres Portfolios an.
In einem Elternforum gab er sich als Mutter aus, in einem Diätforum als 15-Jährige
Das professionelle Geschäft mit den Lügen beschreibt Benjamin so: Seine Agentur beschäftigte Dutzende von freien Mitarbeitern, unter ihnen viele Studenten. Erst mussten die Freelancer sich ein Netz aus Scheinidentitäten aufbauen. Mit jeweils einer neuen E-Mail-Adresse registrierten sie sich in Foren und auf Verkaufsportalen. Benjamin hatte am Ende mehr als 100 verschiedene digitale Identitäten.
In den Online-Communities schrieb er zunächst eine Weile lang unauffällig Beiträge. "Man integriert sich erst einmal, zeigt sich interessiert an dem Thema, um das sich das Forum dreht." Damit die Beiträge stimmig waren, schlüpfte Benjamin auf jeder Plattform in eine jeweils andere Scheinidentität. In einem Elternforum gab er sich als junge Mutter aus, in einem Diätforum als 15-Jährige. In Glücksspielforen war er der technikaffine Mittzwanziger.
Nach einer Weile bekam Benjamin dann Unternehmen zugeteilt, für die er mit den Scheinidentitäten Werbung machen sollte. Das hieß konkret: In den Foren zerstreute er die Kritik von Konsumenten. Wenn lange nichts über einen Auftraggeber geschrieben wurde, brachte er auch schon mal Diskussionen in Gang. Dabei musste er stets darauf achten, dass niemand Verdacht schöpft: "Die Richtlinien gehen dahin, dass die Texte nicht zu positiv sein dürfen", sagt Benjamin. Je drei positiver Aspekte sollte er einen kleinen Kritikpunkt unterbringen.
Zu der Agentur kam er über Bekannte. Am Anfang lud die Firma die Freelancer zur Schulung ins Büro ein, dort mussten sie sogar einen "Ethikkurs" absolvieren. "Es war schon das Credo: Wir machen keine anderen Unternehmen runter", erinnert sich Benjamin. Einige der Produkte, über die er schrieb, bekam der Student tatsächlich zugesandt. Und der charismatische Geschäftsführer habe immer wieder betont, dass die Freelancer nicht lügen sollten.
"Alles Humbug", sagt Benjamin heute. So bekam er zum Beispiel mit, dass andere Leute aus der Branche gezielt falsche Bewertungen auf Verkaufsportalen abgaben, zum Beispiel für die Kameras eines Elektronikherstellers.
Er selbst habe sich zunehmend unwohl gefühlt mit seinem Nebenjob, sagt Benjamin. Aber als er nur noch dezent in Diskussionen eingriff, bekam er Ärger mit der Agentur. Schließlich stand diese selbst unter Druck: "Der Kunde macht die Agentur verantwortlich, wenn etwas nicht so gut läuft."
Gefälschte Erfahrungsberichte und Bewertungen zu Produkten sind Schleichwerbung, sagt Michaela Zinke vom vzbv. "Die ist nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verboten". Man könnte also gegen Firmen, die Bewertungen fälschen, Unterlassungsklagen einreichen. Allerdings sei der Nachweis, dass gefälschte Inhalte in Umlauf gebracht wurden, schwer zu erbringen. Schließlich haben Betreiber von Webseiten oft nur die IP der Freelancer - und die führt oft in eine Studenten-WG.
Online-Shops setzen auf Algorithmen, die verdächtige Beiträge identifizieren sollen
Zumal es die Agenturen verstehen, entsprechend zu reagieren, wenn jemand Verdacht schöpft. Einmal etwa habe sich ein Kollege in einem Familienforum "total beknackt" angestellt und sehr plump Werbung gemacht, erzählt Benjamin. Daraufhin wären andere Nutzer misstrauisch geworden.
"In so einem Fall geht eine Mail rum, dass man sich erst einmal zurückziehen soll aus dem Forum", sagt Benjamin. Oder aber andere Scheinidentitäten der Agentur werden aktiviert und versuchen, das Misstrauen wieder zu zerstreuen.
Gerade bei Verkaufsportalen mussten die Freelancer generell vorsichtig sein. Die Online-Shops setzen mittlerweile auf Mitarbeiter und Algorithmen, um verdächtige Beiträge zu identifizieren - etwa, wenn ein Nutzer viele Bewertungen in kurzer Zeit abgibt, oder auffällige Sprache verwendet. "Die Portalbetreiber investieren in der Regel schon viel Geld, um dem Problem Herr zu werden", sagt Michaela Zinke.
Viele merken nicht, dass sie einem Auftragsschreiber auf den Leim gehen
Dennoch könnten sie den Kunden noch weiter entgegenkommen, findet sie. Bewertungen sollten beispielsweise nach dem Datum sortierbar sein. So können misstrauische Nutzer sehen, wenn von einem Account aus innerhalb kurzer Zeit sehr viele Bewertungen zu unterschiedlichen Produkten abgegeben wurden. Zinke rät auch, verschiedene Portale heranzuziehen. Mitunter fänden sich auf verschiedenen Webseiten fast identische Bewertungen - ein klares Indiz, dass hier ein Auftragsschreiber am Werk war.
"Grundsätzlich überwiegen bei Verbraucherportalen noch die Vorteile", findet sie. Bei den Verbraucherzentralen bekämen sie jedenfalls kaum Beschwerden wegen falscher Bewertungen im Netz. Vermutlich auch, weil die Menschen oft gar nicht merkten, dass sie einem Auftragsschreiber auf den Leim gegangen sind. Schließlich empfinden Kunden Bewertungen ja oft als etwas sehr Subjektives.
Benjamin sieht das kritischer. Er habe zwar gelernt, falsche Inhalte besser zu erkennen, sagt er. Aber ganz sicher könne man sich nie sein. "Für alle, die sich auf das Internet verlassen, ist das schon übel." Nur mit einer drastischen Lösung könnte man die Lügen wieder aus dem Netz bekommen, findet er: "Man müsste das Internet mal löschen."
* Name von der Redaktion geändert