Süddeutsche Zeitung

Betriebsrenten:Wie die Betriebsrente Sie vor Altersarmut schützen soll

  • Arbeitsministerin Nahles will die betriebliche Altersvorsorge stärken, um Altersarmut öfter zu verhindern.
  • Dazu sollen Arbeitgeber von der Haftung für die Zusagen befreit werden, solange sie bei Betriebsrenten mit den Gewerkschaften an einem Strang ziehen.
  • Derzeit gibt es aber noch viele Bestimmungen, die das Modell unattraktiver machen können.

Von Jonas Tauber und Herbert Fromme, Berlin/Köln

Die Presse war nicht erwünscht, als Ministerin Andrea Nahles Anfang Juli zum ersten Rentengipfel ins Arbeitsministerium lud. Nichts sollte die Diskussion mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und Experten aus der Wissenschaft stören. Schließlich ging es um Großes: Nahles hat sich die Stärkung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) auf die Fahnen geschrieben. Viel Zeit bleibt nicht, wenn sie bis zur Bundestagswahl 2017 noch etwas erreichen will.

Viele Politiker und Verbandsfunktionäre hielten die Nahles-Rente für tot. Aber offenbar hat die große Koalition das ehrgeizige Projekt noch nicht beerdigt, auch wenn es von Anfang an heftige Kritik hagelte. Gut gemeint, aber letztlich verfehlt - das war der Tenor.

Die Grundidee der Ministerin: Unternehmen sollten von der Arbeitgeberhaftung befreit werden, wenn sie bei Betriebsrenten mit den Gewerkschaften an einem Strang ziehen. Bislang sind sie in letzter Instanz für alle Zusagen der betrieblichen Altersversorgung verantwortlich, auch wenn ein Versicherer oder eine Pensionskasse die Versorgung abwickelt.

Zwei weitere Rentengipfel sollen folgen

Die Befreiung von der Haftung soll mehr Unternehmen dazu animieren, ihren Mitarbeitern bAV-Angebote zu machen. Inzwischen ist klar, dass am Ende ein Gesamtkonzept stehen soll, das weit über diesen Ansatz hinausgeht. In der Diskussion sind staatliche Förderungen für Geringverdiener, darunter die Nicht-Anrechnung von Betriebsrenten auf mögliche Sozialleistungen im Alter. Außerdem plant Nahles eine "Opt-out"-Lösung. Das heißt, alle Arbeitnehmer zahlen automatisch in eine betriebliche Zusatzversorgung ein, wenn sie sich nicht aktiv dagegen entscheiden.

Es soll der große Wurf werden. Und glaubt man Teilnehmern der informellen Veranstaltung im Bundesarbeitsministerium, hat sich die Stimmung der Beteiligten gewandelt. "Wir stimmten überein, dass wir den Prozess sehr positiv sehen", sagt einer. Zwei weitere Rentengipfel sollen folgen, im Herbst will die Regierung dann ein Gesamtkonzept vorlegen.

Die gesetzliche Rente, die private Vorsorge und dazu die betriebliche Altersversorgung - das sind die drei Säulen, auf denen die Regierungsparteien die Rentenpolitik der Zukunft aufbauen wollen. Die gesetzliche Rente ist aus demografischen Gründen unter Druck, es gibt immer mehr Rentner im Verhältnis zu den Beitragszahlern. Die private Vorsorge durch Lebensversicherer hat Probleme wegen der niedrigen Zinsen und der hohen Kosten.

Da soll es die betriebliche Altersversorgung richten. Allerdings bleibt auch sie nicht von den Einschlägen durch die Zinsen verschont. Das System ist vergleichsweise komplex. Und bei manchen Anbietern sind die Kosten sehr hoch.

Dabei geht es heute nur noch selten um Direktzusagen der Unternehmen, die sie auch selbst zahlen. Die waren vor 40, 50 Jahren üblich, um gute Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten. Im Kern handelt es sich dabei um Lohnbestandteile, die aber nicht sofort an den Arbeiter oder Angestellten fließen. Das Unternehmen leiht sich das Geld von den Mitarbeitern und legt es im eigenen Unternehmen oder extern an, um die Summen als Zusatzrente später wieder auszuzahlen. Da sie für die Zusagen heute hohe Rückstellungen bilden müssen, sorgt diese Form der Altersversorgung bei Konzernen für großen Ärger.

In den meisten Fällen geht es um Renten, für die Mitarbeiter selbst die Beiträge zahlen, möglicherweise mit Unterstützung des Arbeitgebers. Seit 2002 hat jeder Beschäftigte das Recht, betriebliche Altersvorsorge in Form der sogenannten Entgeltumwandlung zu betreiben. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber bis zu einer Obergrenze - 2016 sind das 2976 Euro im Jahr - vom Brutto-Einkommen seines Angestellten für dessen Betriebsrente einzahlt. Der Gesetzgeber hat dabei fünf so genannte Durchführungswege vorgesehen. Einer ist die Direktzusage der Unternehmen, die an Bedeutung verliert. Populär bei kleineren Firmen ist eine Direktversicherung bei einem Lebensversicherer. Ein Nachteil: Wer ausscheidet, hat keinen Anspruch auf Fortführung. Die bestehenden Anwartschaften bleiben aber erhalten.

Ein großes Problem für die Pensionskassen: die Niedrigzinsen

In den Jahren 2003 bis 2005 war der Durchführungsweg Pensionskassen modern, dann änderte der Gesetzgeber den steuerlichen Rahmen. Aber es gibt sie immer noch - und die Niedrigzinsen machen ihnen besonders zu schaffen. "Möglicherweise können bald einzelne Pensionskassen nicht mehr aus eigener Kraft ihre Leistungen in voller Höhe erbringen", warnte Frank Grund, Chef der Versicherungsaufsicht bei der Bafin, im Mai. Kurz darauf kündigte mit der Talanx-Tochter Neue Leben Pensionskasse der erste Anbieter an, die garantierten Betriebsrenten für 80 000 Arbeitnehmer abzusenken.

Daneben existieren als Durchführungswege vier und fünf Pensionsfonds sowie Unterstützungskassen, die meistens von Versicherern rückgedeckt werden. Jedes Unternehmen kann den Durchführungsweg selbst wählen, der Mitarbeiter hat kein Auswahlrecht - oft ist der Weg allerdings in Tarifverträgen vorgegeben. Beispiel: Bei der Chemie-Altersvorsorge sind 80 Prozent der Beschäftigten Mitglied, die Metallrente hat 25 000 Unternehmen als Mitglieder.

Ministerin Nahles will genau solche Branchenlösungen ausbauen. Dabei stellen sich zwei Kernfragen: Wer betreibt diese Lösungen? Sind die Lebensversicherer außen vor oder, wie heute bei Metall- und Chemierente, Teil des Systems? Und wer haftet, wenn es Probleme gibt? Die Unternehmen sollen es ja nicht mehr sein, so will es die SPD-Politikerin. Aber der Pensions-Sicherungsverein, der nach Firmenpleiten für die Betriebsrenten aus Direktzusagen aufkommt, winkt ab, er wäre überfordert.

Es bleibt also noch viel zu tun für Nahles und ihre Experten, wenn sie die Betriebsrente wirklich zur umfassenden dritten Säule machen wollen. Derzeit sorgen viele Bestimmungen für Ärger. Wer als Arbeitnehmer Steuern und Sozialabgaben auf die Beiträge gespart hat, muss bei der Auszahlung die vollen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zahlen - also Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag. Damit schmilzt der Ertrag deutlich.

Ein Hauptargument für die Entgeltumwandlung liefert nämlich die so genannte nachgelagerte Besteuerung: Auf den Sparbeitrag sind keine Steuern und Sozialabgaben fällig. Im Gegenzug muss man im Rentenalter auf die Betriebsrente Krankenkassenbeiträge zahlen. Doch da das Einkommen in der Rentenphase üblicherweise unter dem im Erwerbsleben liegen dürfte, soll der Sparer unterm Strich mehr im Portemonnaie haben, so die bAV-Befürworter. Sie lassen die höhere Belastung im Alter aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag gern unter den Tisch fallen.

Deckungsmittel in dreistelliger Milliardenhöhe

Das Thema wird heiß diskutiert, aber aktuelle Gesamtzahlen über die betriebliche Altersversorgung liegen nicht vor. Schon 2013 zahlten 20,1 Millionen Arbeitnehmer Beiträge, davon 5,3 Millionen im öffentlichen Sektor und 14,8 Millionen in der Privatwirtschaft, hat die neueste, 2015 veröffentlichte Erhebung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ergeben. Inzwischen dürfte die Zahl deutlich höher liegen.

Es geht um Milliarden. Die Deckungsmittel, das sind alle Rückstellungen für Betriebsrenten, betrugen allein in der Privatwirtschaft Ende 2014 stolze 557 Milliarden Euro.

Dabei entfielen nach Daten der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung 285 Milliarden Euro auf Rückstellungen für die Direktzusage. Das sind Gelder, die Konzerne selbst vorhalten oder über einen externen Partner vorhalten lassen, um ihre Zusagen für Betriebsrenten zu erfüllen. Etwa acht Millionen Menschen haben eine solche Zusage oder erhalten schon eine Betriebsrente.

Bei den Pensionskassen betrugen die Deckungsmittel 143 Milliarden Euro. 3,7 Millionen Mitarbeiter hatten Ende 2014 Verträge. Bei den Unterstützungskassen betrugen die Deckungsmittel 38 Milliarden Euro. Direktversicherungen kamen auf 60 Milliarden Euro, Pensionsfonds auf 31 Milliarden Euro. Herbert Fromme

Viele Experten bleiben deshalb skeptisch. Sollte jeder Arbeitnehmer auf sein Recht auf Entgeltumwandlung pochen? Nein, sagt der Versicherungsberater Roland Harstorff in Norderstedt bei Hamburg. "Wenn der Arbeitgeber nichts dazu gibt, ist die Entgeltumwandlung ein Minus-Geschäft", sagt er. Der Zuschuss durch den Arbeitgeber ist eigentlich einfach, denn nicht nur der Arbeitnehmer spart Sozialbeiträge bei der Entgeltumwandlung, auch der Arbeitgeber. "Jeder Arbeitgeber, der Entgeltumwandlung anbietet, ohne etwas oben drauf zu geben, spart Geld", so Harstorff. Umgekehrt heißt das: Der Arbeitgeber könnte mit dem eingesparten Betrag ohne eigene Verluste die betriebliche Altersversorgung der Arbeitnehmer fördern. Das ist aber nicht die Regel, viele Betriebe stecken die Differenz gerne selbst ein. "Leider geben das nur die Top-Arbeitgeber weiter", sagt Harstorff.

Der Arbeitnehmer muss auch Nachteile durch die Entgeltumwandlung einrechnen. Der vom Brutto-Einkommen abgezweigte Beitrag für die bAV senkt nicht nur seine Ansprüche auf Krankentagegeld und Arbeitslosengeld, auch seine gesetzliche Rente fällt in der Folge etwas niedriger aus.

Von der reinen Entgeltumwandlung rät Harstorff deshalb ab. Mit einer Ausnahme: Es kommt immer wieder vor, dass Arbeitgeber ihren Angestellten zusätzlich zur bAV eine Berufsunfähigkeitsversicherung anbieten. Da sie dafür einen Gruppenvertrag abschließen, kommen die Versicherer mit einer vereinfachten Gesundheitsprüfung aus. In diesem Fall kann die Entgeltumwandlung doch interessant sein: Wegen Vorerkrankungen haben viele Arbeitnehmer es nicht leicht, auf dem freien Markt die wertvolle Absicherung gegen Berufsunfähigkeit zu erhalten.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2016/jps
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