Betriebsrente:Streit um die Altersvorsorge

Betriebsrente: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Arbeitgeber und Versicherer fürchten bei der Betriebsrente eine staatliche Einheitslösung. Diese könnte drohen, wenn sich die Tarifparteien nicht bald einig werden.

Von Friederike Krieger

Wenn Lorenz Hanelt über die neusten politischen Vorstöße in Sachen betrieblicher Altersversorgung (baV) redet, klingt das nicht gerade schmeichelhaft. "Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera", sagt der Geschäftsführer des zu Lufthansa gehörenden firmeneigenen Versicherungsvermittlers Albatros Versicherungsdienste. "Wir sollten Cholera wählen."

Gemeint ist damit das neue Sozialpartnermodell, mit dem die Bundesregierung die Verbreitung von Betriebsrenten ankurbeln will. Die bAV kommt nicht voran - obwohl es mit der Direktversicherung, der Unterstützungskasse sowie Pensionskasse, -fonds und -zusage bereits fünf sogenannte Durchführungswege gibt und Arbeitnehmer seit 2002 einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, dass der Arbeitgeber einen Teil ihres Gehalts in eine Betriebsrente steckt. Verfügten laut Bundesarbeitsministerium 2013 noch 58,9 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über eine bAV-Anwartschaft, waren es 2017 noch 55,6 Prozent.

"Das zwingende Vorliegen eines Tarifvertrags ist ein Systemfehler."

Um das zu ändern, hat der Gesetzgeber mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) noch einen weiteren sechsten Durchführungsweg geschaffen, das Sozialpartnermodell. Es bricht mit einem wichtigen Prinzip der bAV: Zum ersten Mal sollen Arbeitgeber nicht mehr für die Betriebsrenten in bestimmter Höhe haften müssen. Das soll sie dazu animieren, ihren Arbeitnehmern mehr bAV-Angebote zu machen. Details sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften in Tarifverträgen vereinbaren. Obwohl das seit Anfang 2018 möglich ist, hat sich bisher noch nicht viel getan.

Für Hanelt von Albatros hat das zum einen damit zu tun, dass es beim Sozialpartnermodell wegen des Haftungsverzichts auch keine Garantieleistungen mehr für Arbeitnehmer gibt. Das heißt, dass die Renten auch sinken können. "Das muss man den Gewerkschaftsmitgliedern erst mal vermitteln", sagt er. Zum anderen hält er auch die Verquickung des Modelles mit Tarifverträgen für ein Problem. "Das zwingende Vorliegen eines Tarifvertrags ist ein Systemfehler", sagt Hanelt. Kleine und mittelgroße Unternehmen ohne Tarifvertrag sollen zwar auch von dem Modell profitieren können, in dem sie sich an die dortige Regelung anlehnen. Das werde aber kaum eine Firma machen, glaubt Hanelt. Die Angst sei groß, dass dann auch andere Vereinbarungen aus den Tarifverträgen übernommen werden, wenn sich die Unternehmen dem Vertrag beim Sozialpartnermodell annähern.

Ihm wäre es lieber gewesen, wenn der Gesetzgeber das bestehende System vereinfacht hätte, statt ein neues Modell zu schaffen. "Wenn die Autobahn kaputt ist, sollte ich mir keinen neuen Rennwagen kaufen, sondern die Autobahn reparieren", meint er. Der Gesetzgeber hat nach Hanelts Sicht die Chance verpasst, die bAV zu entschlacken. "Im Prinzip reichen zwei Durchführungswege aus, einer über die Unternehmensbilanz, einer außerhalb der Bilanz", sagt Hanelt. "Wir brauchen eine Vereinfachung und nicht einen zusätzlichen Durchführungsweg."

Das Sozialpartnermodell muss trotz all seiner Fehler funktionieren. "Das ist die letzte Chance, eine privatwirtschaftliche Lösung auf freiwilliger Basis umzusetzen", warnt Hanelt. "Wenn das nicht klappt, wird der Gesetzgeber eine Zwangsrente durchsetzen." Dann werde eine staatlich organisierte, verpflichtende Einheitslösung kommen wie sie schon unter dem Schlagwort Deutschlandrente für andere Bereiche der Altersvorsorge vorgeschlagen worden ist, glaubt Hanelt. Arbeitgeber und Versicherer fürchten diese Lösung, weil sie ihnen Gestaltungsfreiheit nehmen würde. Bei Hanelt ist das in seinem Pest-und Cholera-Vergleich das, was er als Pest bezeichnet. Hanelts Meinung nach könnte die Versicherungswirtschaft beim Sozialpartnermodell mit gutem Beispiel vorangehen. Der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV) sollte zusammen mit der Gewerkschaft Verdi für die Beschäftigten in der Versicherungsbranche eine Blaupause vorlegen, findet Hanelt. "Wie will man etwas verkaufen, was man selbst nicht hat?" Viele Versicherer hoffen, mit den Sozialpartnern ins Geschäft zu kommen. Sie haben sich zu Konsortien mit Namen wie "Das Rentenwerk", "Deutsche Betriebsrente" und "Initiative Vorsorge" zusammengetan und entsprechende Angebote entwickelt.

Der AGV winkt allerdings ab. "Wir machen derzeit in diesem Bereich nichts", sagt Michael Niebler, geschäftsführender Vorstand des Verbands. Zum einen gebe es keine Initiative von Verdi, zum anderen hätten bereits mehr als 80 Prozent der Beschäftigten in der Versicherungsbranche eine Betriebsrente. "Wenn wir den ersten Tarifvertrag machen, könnte das als PR-Gag missverstanden werden", erklärt er. Es gebe andere Branchen, die das Sozialpartnermodell nötiger hätten, wie der Einzelhandel oder die Systemgastronomie. "Diese Branchen sollten voran gehen."

Einige Experten befürchten, dass es vielleicht sogar schon zu spät ist

Allerdings schickt sich nach Angaben von Verdi ein einzelner Versicherer an, mit der Gewerkschaft in einem Haustarifvertrag für seine 5000 Mitarbeiter solch ein Sozialpartnermodell zu vereinbaren. Ein Unternehmen aus der Luftfahrtindustrie plane ähnliches, hatte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis auf einer Veranstaltung Mitte März 2019 angekündigt. Das seien aber in erster Linie Pilotprojekte, die zeigen sollen, dass das System funktioniert. Einige Experten befürchten, dass es vielleicht sogar schon zu spät ist, um die staatliche Einheitslösung zu verhindern. Die Gefahr sei groß, dass es dem Gesetzgeber mit den ersten Tarifverträgen nicht schnell genug gehe. "Ich gehen davon aus, dass es dem Gesetzgeber nicht reichen wird", sagt Jörg Heidemann vom Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft. "Spätestens 2023 kommt dann das Obligatorium."

Fabian von Löbbecke, im Vorstand der HDI Lebensversicherung für bAV verantwortlich, sieht das nicht ganz so dramatisch. "Das Szenario 'Deutschlandrente' soll Arbeitgeber und Gewerkschaften dazu motivieren, sich auf ein Sozialpartnermodell zu einigen, das sie selbst gestalten können, statt abzuwarten und eine Zwangslösung zu riskieren", glaubt er. Ernsthaft wolle niemand die Einheitsrente. "Altersversorgung muss freiwillig sein", sagt Löbbecke. "Sonst wird sie widerwillig und nach dem Minimalprinzip betrieben. Das wissen auch die Politiker." Er glaubt, dass das Sozialpartnermodell noch in Schwung kommen wird. "Das Interesse ist riesengroß, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Gewerkschaftsseite", meint er. Das erste Sozialpartnermodell werde bis Ende 2019 verbindlich vereinbart sein.

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