Berufsunfähigkeitsversicherung:Wackelige Angelegenheit

Aufbau für das Münchner Frühlingsfest, 2014

Arbeiter beim Aufbau einer Kartbahn. Für viele Menschen ist die BU-Versicherung trotz der Anbieter-Konkurrenz teuer- weil sie relativ wenig verdienen.

(Foto: Robert Haas)

Die Beiträge für die Absicherung werden möglicherweise bald teurer. Einer der Gründe dafür: Die Unternehmen haben unterschätzt, wie viele Menschen diese Policen in Anspruch nehmen.

Von Anne-Christin Gröger

Kunden privater Krankenversicherungen kennen ihn gut, den Ärger über steigende Versicherungsprämien. Auch für ihre Wohngebäudepolicen müssen Kunden regelmäßig mehr zahlen, beispielsweise dann, wenn ihr Haus am Fluss steht oder sie gerade einen Schaden gemeldet haben. Anbieter von Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) dagegen sind bislang nicht damit aufgefallen, plötzlich höhere Beiträge vom Kunden zu verlangen.

Das könnte sich in den kommenden Jahren ändern, erwarten Experten. Aktueller Fall ist der Münchener Versicherer WWK: Er hat zum Jahreswechsel die Beiträge für BU-Versicherte erhöht. "Es handelt sich um Prämienerhöhungen von durchschnittlich zehn Euro für einen Teil des Versichertenbestandes in handwerklichen Berufen", bestätigt ein Sprecher. Als Grund für die Anhebung nennt er einen schlechten Leistungsverlauf - das heißt, dass mehr Versicherte berufsunfähig geworden sind als die WWK ursprünglich kalkuliert hat.

Mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung können sich Kunden für den Fall absichern, dass sie aus Krankheitsgründen dauerhaft ihren Beruf nicht mehr ausüben können.

Die WWK wird kein Einzelfall bleiben, glaubt Matthias Helberg, Versicherungsmakler aus Osnabrück. "In den kommenden Jahren wird es noch weitere Versicherer geben, die Beiträge in der BU-Versicherung nach oben korrigieren müssen", sagt Helberg. Neben dem Münchener Unternehmen hat für 2016 auch der Hamburger Versicherer Hanse Merkur die Prämien für einen Teil der Verträge erhöht.

Der Grund dafür: In der Regel machen die Versicherer bei den Verträgen zwei Angaben für die monatliche Prämie: den Brutto- und den Nettobetrag. Beim Nettobetrag handelt es sich um die Summe, die der Kunde zunächst zahlen muss, also beim Abschluss der Versicherung. Sie liegt meist unter dem Bruttobetrag, weil Versicherer den Kunden die Überschüsse gutschreiben, die sie erwirtschaften.

Eine Quelle der Überschüsse sind die sogenannten Kosten- und Risikogewinne. Letztere kann der Versicherer verbuchen, wenn weniger Kunden berufsunfähig werden als kalkuliert. Bei Kostengewinnen handelt es sich um das Plus, das ein Versicherer erzielen kann, wenn seine Kosten für Abschluss und Verwaltung niedriger ausfallen als berechnet. Außerdem fließen Gewinne aus der Kapitalanlage in die Überschüsse ein. Dadurch fallen die Beiträge erst einmal niedriger aus.

"Im schlimmsten Fall kann sich die Prämie verdoppeln."

Die Kalkulation kann aber schiefgehen. Entweder verrechnet sich der Anbieter bei den Kosten oder beim Risiko seiner Kunden, wie aktuell die WWK. Oder er erwirtschaftet angesichts der niedrigen Zinsen weniger an den Kapitalmärkten als erwartet. Die mögliche Folge in beiden Fällen: Der Kunde muss mehr zahlen - bis zur Höhe des Bruttoniveaus. "Im schlimmsten Fall kann sich die Prämie verdoppeln", sagt Thorsten Saal vom Analysehaus Morgen und Morgen.

Nach Ansicht von Michael Franke, Geschäftsführer der Ratingagentur Franke und Bornberg, liegt eine Absenkung der Überschüsse und damit eine Erhöhung der Zahlbeiträge vor allem an schlechteren Risikoergebnissen. Das kann heißen, dass die Versicherer mehr Leistungsfälle hatten als ursprünglich gedacht. Das Hannoveraner Analysehaus hat geprüft, wie viele BU-Versicherer die Überschüsse bereits einmal absenken mussten und die Ergebnisse 2014 veröffentlicht. Resultat: Zwischen 2007 und 2012 mussten von 49 untersuchten Gesellschaften 26 die Überschüsse zumindest in Teilbeständen absenken. Ein aktuelleres Ergebnis soll Ende Februar vorliegen. "Noch ist das Absenken der Überschüsse kein massives Problem", sagt Franke. "Die eigentlichen Auswirkungen sind noch zu erwarten." Unter den Gesellschaften, die bereits BU-Prämien erhöhen mussten, sind nach seinen Angaben Alte Leipziger, Axa, Barmenia, Münchener Verein, Süddeutsche und Zurich.

Besonders gefährlich für die Beitragsstabilität sei der Preiskampf, den sich die Versicherer seit einigen Jahren bei der Berufsunfähigkeit liefern, sagt der Experte. Die Bedingungen werden immer besser, viele können sich nur noch durch einen günstigeren Preis oder weniger strenge Risikoprüfungen von anderen Anbietern unterscheiden. Hier liegt die Krux: "Ein kombinierter Leistungs- und Preiswettbewerb mit Zugeständnissen bei der Risikoprüfung kann langfristig in der BU nicht funktionieren", sagt Franke.

Von den Anbietern, die vor allem über den Preis beim Kunden punkten wollen, gibt es derzeit einige am Markt, hat der Aachener Versicherungsmakler Marc Jacobs beobachtet. "Das sind oft traditionelle Krankenversicherer mit wenig Erfahrung im Geschäft mit Berufsunfähigkeit", sagt er. "Weil das Geschäft mit Krankenpolicen derzeit nicht besonders auskömmlich ist, suchen sie sich ein anderes Wachstumsfeld." Bei diesen Anbietern sei Vorsicht geboten.

Von einer Prämienerhöhung betroffene Kunden können zwar erst einmal nichts tun: "Kündigen ist nur für junge und gesunde Menschen eine mögliche Alternative", sagt Jacobs. Doch Neukunden könnten einiges beachten, wenn sie Ärger vermeiden wollen. "Eine hohe Preisdifferenz zwischen Brutto- und Nettobetrag weist schon darauf hin, dass der Versicherer einen Tarif besonders knapp kalkuliert hat", sagt er. Hier seien nachträgliche Prämienerhöhungen besonders wahrscheinlich.

Sein Kollege Helberg hält es generell für falsch, vor dem Abschluss allein auf die Nettoprämien zu schauen und diese zu vergleichen. Dabei kritisiert er auch die Verbraucherschützer. "Finanztest und einige Verbraucherzentralen raten immer noch dazu, beim Preisvergleich auf die Nettoprämie zu schauen", sagt er. "Viel sinnvoller ist es, sich am garantierten Beitrag zu orientieren, um böse Überraschungen zu vermeiden."

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