Risikoberufe:Der Staat muss sich endlich um Berufsunfähige kümmern

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Ein Schicksalsschlag wie Berufsunfähigkeit ist keine Seltenheit - auch nicht für junge Menschen. (Foto: Andrzej Wilusz/Fotolia)

Wenn Menschen arbeitsunfähig werden, beginnt oft ein unwürdiges Geschacher um Hilfe. Dabei sind solche Schicksale keine Einzelfälle.

Kommentar von Kristiana Ludwig

Wenn mitten im Leben, lange vor dem Rentenalter, plötzlich der Körper oder die Seele streikt, ist das für die meisten Menschen ein Albtraum. Jung so schwer zu erkranken, dass man seinen Beruf aufgeben muss, bedeutet, viel Verantwortung zu tragen. Sei es für den Partner, der sich auf das gemeinsame Einkommen verlässt, sei es für Kinder oder für den Hauskredit oder nur für sich selbst. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente, die in einem solchen Fall einspringt, liegt in Deutschland bei etwas mehr als 700 Euro. Dies ist ein Notfallbetrag, eine Stütze. Doch für die meisten Betroffenen ist Berufsunfähigkeit ein absolutes Armutsrisiko.

Wenn die Frührente zu niedrig ist, um davon zu leben, beginnt für viele von ihnen ein unwürdiges Geschacher zwischen den Ämtern: Rentner werden zu Aufstockern. Der Staat sorgt auf diese Weise zwar für Berufsunfähige, aber nur durch die Hintertür. Der Fall aus einem Durchschnittseinkommen ins Existenzminium bleibt für viele Familien tief.

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Besonders schwierig für alle Beteiligten wird es dann, wenn jemand nur eine "teilweise Erwerbsminderungsrente" bekommt. Der Betrag ist nur halb so hoch, dafür sollen die Menschen zwischen drei und sechs Stunden am Tag arbeiten. Viele Frührentner werden so zu Dauergästen im Jobcenter, das jedoch auch nur begrenzt Jobs für Kranke zu vermitteln hat. Viele bessern ihre kleine Rente mit Minijobs auf - sofern sie ihnen überhaupt bewilligt wurde. Denn die Ablehnungsquote für Erwerbsminderungsrente ist hoch.

Die Arbeitsagentur verwaltet heute immer mehr Menschen, die zu krank sind, um in ihrem Beruf zu arbeiten, und zu gesund, um in Rente zu gehen. Das ist eine unehrliche Prozedur, die vor allem den Betroffenen zusetzt.

Dabei ist ein Schicksalsschlag wie Berufsunfähigkeit keine Seltenheit. Mehr als 1,5 Millionen kranke Frührentner gibt es zur Zeit in Deutschland. Versicherungen warnen, dass jeder vierte Arbeitnehmer im Laufe seines Lebens einmal berufsunfähig werde, im Schnitt mit 47 Jahren. Vor allem bei Menschen, die körperlich arbeiten, die auf ihren Knien hocken, um Fliesen zu verlegen, oder jeden Tag auf einen Dachstuhl klettern, ist Arbeitsunfähigkeit keine abstrakte Sorge. Sie ist Berufsrisiko. Und seit einigen Jahren steigt auch bei Büromenschen die Gefahr: Fast jede zweite neue Frührente wird heute wegen einer psychischen Erkrankung gezahlt.

Gerade für Risikoberufe fehlen Lösungen

Obwohl Berufsunfähigkeit jeden treffen kann, und dies ohne eigenes Zutun, drückt sich der Staat um eine auskömmliche Absicherung der Bürger. Die Rentenkasse bittet jeden von ihnen um private Vorsorge. Doch das ist schwierig: Gerade Arbeiter mit kleinem Einkommen und hohem Risiko müssen bei Versicherungsfirmen die teuersten Tarife zahlen. Auch das Heer der flexiblen Arbeitnehmer, die sich über Jahre von Praktikum zu Befristung zu Projektjob hangeln, steht nicht besser da.

Zwar hat die jüngste Rentenreform die Beträge, die kranke Frührentner bekommen, nun etwas verbessert. Doch das ist nicht genug. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung das Thema Berufsunfähigkeit endlich ernst nimmt, statt Betroffene wie Standard-Arbeitssuchende durch die Ämter zu schleusen. Gerade für Risikoberufe fehlen Lösungen. Ohne die manövrieren immer mehr Bürger in ihrer Lebensmitte in die Armut.

© SZ vom 09.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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