Berufskrankheiten:Neues Gesetz - ganz im Sinne der Arbeitgeber

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Wer durch Arbeit krank wird, soll künftig besser entschädigt werden, fordern mehrere Bundesländer. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)
  • Tausende erkranken in Deutschland durch ihre Arbeit. Oft werden solchen Krankheiten aber nicht als Berufskrankheiten anerkannt.
  • Nun ist eine Reform des Rechts in Arbeit: Das Bundesarbeitsministerium hat einen Entwurf vorgelegt, der die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten neu regeln soll.
  • Doch viele sind unzufrieden mit dem neuen Entwurf: Der Bund sei viel zu sehr auf die Interessen der Arbeitgeber eingegangen.

Von Christina Berndt und Daniel Drepper, München

Pflegerinnen mit Bandscheibenvorfall, Dachdecker mit Knieproblemen oder Bauarbeiter mit Lärmschwerhörigkeit: Jedes Jahr werden in Deutschland Zehntausende Menschen durch ihre Arbeit ernsthaft krank. Doch nicht einmal jeder Vierte von ihnen bekommt eine Berufskrankheit anerkannt oder wird entschädigt. In anderen Ländern wie Frankreich, Spanien oder Dänemark werden deutlich mehr Berufskrankheiten anerkannt.

Das kritisieren Arbeitsschützer seit Jahren, und auch die Bundesländer fordern schon lange eine Reform des Berufskrankheitenrechts vom Bund. Die ist nun endlich in Arbeit: Das Bundesarbeitsministerium hat einen Entwurf vorgelegt, der die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten neu regeln soll. Doch in vielen Bundesländern sind die zuständigen Fachleute nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und Buzzfeed News alles andere als zufrieden mit dem Entwurf: Die vorgesehenen Änderungen seien unzureichend, der Bund sei viel zu sehr auf die Interessen der Arbeitgeber eingegangen.

Die Bundesländer würden von der Bundesregierung ausgebootet, kritisieren im Gespräch mit SZ und Buzzfeed News mehrere Ländervertreter, die offiziell nicht mit Medien über ihre Arbeit sprechen dürfen. Das Bundesarbeitsministerium wolle das neue Berufskrankheitenrecht im Interesse der Unternehmen möglichst schnell durchwinken. Die Bundesländer fordern dagegen eine Reihe von Nachbesserungen. Eine entsprechende Stellungnahme soll am kommenden Freitag im Bundesrat verabschiedet werden. So wollen die Bundesländer erreichen, dass Betroffene mehr Rechte bekommen und die Unfallversicherungen mehr Menschen entschädigen müssen.

Wichtige Forderungen nicht berücksichtigt

"Der Gesetzesentwurf bleibt hinter den Erwartungen zurück", heißt es zum Beispiel aus der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales. Etwa die Hälfte der erforderlichen Änderungen sei nicht aufgenommen worden. Auch aus dem Sozialministerium in Kiel ist Unmut zu vernehmen: Von den Forderungen der Länder seien im Gesetzesentwurf zwar "einige in wesentlichen Teilen umgesetzt worden", schreibt ein Pressesprecher auf Anfrage. Zugleich seien aber Forderungen nicht aufgegriffen worden, "die besonders wichtig sind".

Im Wesentlichen decken sich die Vorschläge der Länder mit dem, was Arbeitsschützer seit Jahren einfordern. Grundlegend ist demnach eine "Beweislasterleichterung" für all jene Fälle, in denen die nötigen Belege nicht mehr zu beschaffen sind. Dies ist häufig der Fall, wenn der Arbeitgeber die Arbeitszeiten und den Umgang mit Schadstoffen durch seine Mitarbeiter nicht wie vorgeschrieben dokumentiert hat oder frühere Arbeitgeber gar nicht mehr existieren. Ohnehin liegt die Schädigung bei vielen Krankheiten Jahrzehnte zurück, was die Beleglage zusätzlich erschwert. In solchen Fällen sei "eine Vermutungsregelung zu Gunsten der erkrankten Versicherten" nötig, so die Bundesländer in ihrer Stellungnahme. Und schließlich soll eine "Härtefallregelung" Entschädigungen für schwerkranke Arbeitnehmer erleichtern, denen der Nachweis einer Berufskrankheit schwerfällt.

Die Bundesländer erhalten dabei Unterstützung von Grünen und Linken. "Wir brauchen dringend eine Härtefallregelung", sagt Beate Müller-Gemmeke, arbeits- und sozialpolitische Expertin der Bundestagsfraktion der Grünen, "zum Beispiel dann, wenn verschiedene chemische Substanzen immer wieder das gleiche Organ schädigen, die einzelne Dosis aber den für die Anerkennung einer Berufskrankheit notwendigen Schwellenwert nicht überschreitet." Eine Härtefallklausel würde "endlich für mehr Einzelfallgerechtigkeit sorgen". Auch eine Vermutungsregel zugunsten der Betroffenen würde Müller-Gemmeke begrüßen: "Gerade bei weit zurückliegenden Auslösern einer Berufskrankheit, wie etwa dem Asbest, lassen sich heute kaum noch ganz konkrete Beweise in Arbeitsstätten finden, weil sie gar nicht mehr existieren", sagt die Politikerin.

Die Reform sei bislang "halbherzig", sagt Jutta Krellmann, Obfrau der Linken im Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales. Die Hürden für die Anerkennung von Berufskrankheiten seien viel zu hoch. Sie fordert die Bundesregierung auf, bessere Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer zu schaffen - etwa auch durch unabhängige Beratungsstellen für Betroffene. "Bei den Berufskrankheiten müssen endlich die Interessen der Versicherten im Mittelpunkt stehen und nicht die Kostenvermeidung zugunsten der Arbeitgeber", so Krellmann.

Die SPD teilte dagegen auf Anfrage telefonisch mit, dass sie die offiziellen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung zunächst abwarten wolle, bevor sie sich voraussichtlich im März näher mit dem Thema befassen werde.

Die Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern begannen im vergangenen Herbst zu eskalieren. Damals schickte das Bundesarbeitsministerium einen Gesetzesentwurf an verschiedene Organisationen, darunter die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, den Deutschen Gewerkschaftsbund, die Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin sowie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Zwei Wochen hatten diese Zeit, sich zu dem Entwurf zu äußern. Nicht eingebunden wurden die 16 Bundesländer - obwohl diese seit fast zehn Jahren immer wieder konkrete Forderungen an ein neues Gesetz stellen. Einzelne Länder haben sich in den vergangenen Monaten beim Bundesarbeitsministerium über das Gesetz und die fehlende Einbindung beschwert.

Mehr Macht und Geld soll immerhin der Sachverständigenrat erhalten, der über die Einführung neuer Berufskrankheiten entscheidet und nach Ansicht von Experten bislang viel zu lange für seine Arbeit braucht. Denn nur wenn Krankheiten wie Lungenkrebs bei Schweißern oder Parkinson durch Pestizide auf die Liste der Berufskrankheiten gesetzt werden, gibt es überhaupt eine Möglichkeit der Entschädigung für Betroffene. Künftig soll es eine Geschäftsstelle für den Ausschuss geben, angesiedelt bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Hier sollen zehn Personen beschäftigt werden, die rund 300 000 Euro zusätzlich für wissenschaftliche Arbeiten ausgeben können.

Die Pflicht zur Erforschung von Berufskrankheiten liegt eigentlich bei den Berufsgenossenschaften. Doch bislang ist unklar, wie sehr sie dieser Aufgabe nachkommen. Dem neuen Gesetzesentwurf zufolge sollen die Genossenschaften künftig einmal im Jahr offenlegen, in welche Projekte sie wie viel Geld investiert haben und welche Wissenschaftler die Mittel erhalten haben. Experten kritisieren, dass das nicht weit genug gehe. Den Berufsgenossenschaften müssten klarere Regeln auferlegt werden. Wenn etwa in anderen europäischen Ländern neue Berufskrankheiten anerkannt werden, dann sollten deutsche Berufsgenossenschaften diese zumindest erforschen müssen. Oft sind Krankheiten in anderen Ländern bereits seit Jahren anerkannt, während in Deutschland noch darüber diskutiert wird.

Abgeschafft werden soll zudem der "Unterlassungszwang": Diese Regelung schloss bisher für neun Krankheiten von Rückenschmerzen bis Hautproblemen Entschädigungen für Arbeitnehmer aus, die trotz ihrer Krankheit weiterhin berufstätig waren. Doch weil Entschädigungszahlungen oft klein sind oder ausbleiben, wählen viele Geschädigte genau das: lieber mit Rückenschmerzen oder Hautkrankheiten zur Arbeit als ohne Geld zu Hause. Dies habe "unangemessene Nachteile für die Versicherten" nach sich gezogen, heißt es nun im Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Die Vorteile, welche die von den Arbeitgebern finanzierten Berufsgenossenschaften aus der Regelung gezogen haben, lassen sich dagegen in Euro umrechnen: Konservativ geschätzt, haben sie so über die Jahrzehnte mehrere hundert Millionen Euro gespart.

© SZ vom 12.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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