Bertelsmann und das Internet:Das große Zaudern in Gütersloh

Einst galt Bertelsmann als Pionier im Internet - doch inzwischen agiert der Medienriese im Web zögerlich. Das hat ein bisschen mit Geld zu tun, und viel mit Psychologie. Mit dem Generationswechsel an der Konzernspitze muss sich das ändern.

Peter Turi

Wenn ausländische Konkurrenten Europas größtes Medienunternehmen mal so richtig ärgern wollen, dann sprechen sie den Firmensitz Gütersloh so aus: "Guder-slow" - mit Betonung auf "slow". Und der Medien-Riese wirkt in der Tat etwas behäbig, wenn es um die Ausrichtung auf das Web 2.0 geht. Verglichen mit Konkurrenten wie Murdoch, Holtzbrinck oder Burda investiert Bertelsmann derzeit nur sehr vorsichtig.

Eine strategische Vision fürs Web 2.0? Derzeit Fehlanzeige in Gütersloh. Das hat ein wenig mit Geld zu tun und viel mit Psychologie. Und mit einem Mann, dessen Namen in Gütersloh wortreich beschwiegen wird: Thomas Middelhoff richtete den Konzern konsequent aufs Internet aus, sicherte Bertelsmann die Mehrheit am Gewinnbringer RTL Group - aber überschätzte den Veränderungswillen der Mitarbeiter und der Eigentümerfamilie.

Nachfolger Gunter Thielen sieht seine Aufgabe vorwiegend im Konsolidieren und hinterlässt seinem Nachfolger Hartmut Ostrowski ein zwar besenreines, aber auch deutlich uninspiriertes Unternehmen.

Kern des Bertelsmann-Problems: Ausgerechnet in dem Moment, da die Medien sich aufgrund der neuen Impulse aus dem Mitmach-Web neu erfinden müssen, fehlt Bertelsmann das Geld für strategische Investitionen.

Auch wenn Vorstandschef Thielen diesen Eindruck verwischen will - auch durch die Ankündigung eines Private-Equity-Fonds: Bei Bertelsmann ist derzeit Schmalhans Küchenmeister und der Sparzwang Strategiechef.

Bereits die Verkäufe des Fachzeitschriften-Sparte Bertelsmann-Springer und des BMG-Musikverlags galten intern als Notverkäufe.

Die Impulse aus dem Stammgeschäft heraus sind nicht allzu stark. Vor allem in Zeitschriftenhaus Gruner + Jahr wurde das, was Vorstandschef Bernd Kundrun jetzt propagiert, jahrelang versäumt: die Zeitschriftenmarken kräftig ins Internet zu verlängern.

Keine eigene Webadresse für "Essen und Trinken"

So war die Zeitschrift Essen & Trinken bis vor kurzen nicht mal unter einer eigenen Web-Adresse zu erreichen. Freche Konkurrenten wie Chefkoch.de kommen inzwischen auf ein Vielfaches an Web-Reichweite und deutlich mehr Online-Werbeumsatz.

Auch bei Printmarken wie Capital und Impulse agiert Vorstandschef Bernd Kundrun zögerlich. Eine echte Online-Offensive ist nur beim Stern und dessen Foto-Ableger View zu erkennen. Auch können die Leser als Reporter unter augenzeuge.de aktiv werden.

Besser sieht es im TV-Geschäft aus. Dort betrachtet das Management jede Form von Bildschirm als Heimspiel und das Internet als Vertriebschance.

Das große Zaudern in Gütersloh

Mit Clipfish.de in Deutschland und Wideo.fr in Frankreich gelang in kurzer Zeit der Aufbau eines eigenen Videoportals. Seit Februar sind über RTL Now! Downloads von RTL-Programmhits wie Deutschland sucht den Superstar und Gute Zeiten Schlechte Zeiten möglich.

RTL-Radiostationen in ganz Europa bieten Podcasts an. Eigenständige Websites wie Toggo.de und Toggolino.de haben sich etabliert. Dennoch überwiegt intern weiter die Skepsis: "Video on Demand, IP-TV, Handy-TV - wir probieren alles aus, aber das Geschäft bleibt überall sehr schmal", sagt ein Insider.

Bei Arvato ist der Wandel in vollem Gange

In der Druck- und Service-Sparte Arvato ist der Wandel bereits voll im Gange: Stagnierendes Stammgeschäft wird zu größeren Einheiten fusioniert, um die Margen zu halten.

Beim Tiefdruck geschah dies durch die Fusion mit Springer zu Prinovis, bei den Speichermedien CD und DVD wird eine vergleichbare Fusion vorbereitet. Eigene digitale Initiativen wie die Download-Plattform GNAB entwickeln bisher nicht die gewünschte Dynamik.

"Der Markt für Downloads entwickelt sich viel langsamer als prognostiziert", sagt ein Sprecher. Auch mobile Services wie Handy-TV hinken den Erwartungen hinterher - die hohen Kosten für den Nutzer erweisen sich als Hemmschuh: "Bevor die Mobilfunker für UMTS keine Flatrate einführen, ist damit kein Geschäft zu machen."

Kleiner Risikokapitalfonds

Eher verhalten ist das Engagement von Bertelsmann bei Start-ups. 50 Millionen Euro beträgt das Startkapital des Risikokapitalfonds Bertelsmann Digital Media Investments - weniger als das, was Konkurrent Holtzbrinck allein für die Studenten-Community StudiVZ ausgegeben hat. Bloomstreet.de, eine Community, die von zwei ehemaligen Bertelsmann-Mitarbeitern entwickelt wurde, zeigt bisher wenig Profil und blieb im Markt fast ohne Resonanz.

"Ein Konzern ist ein Konzern - hier können sich Start-ups nun mal nicht entwickeln", sagt ein Insider.

Längst ist klar, dass der künftige Vorstandsvorsitzende Hartmut Ostrowski an einer Vision für Bertelsmann 2.0 arbeitet, die er ab Januar kommenden Jahres umsetzen wird. "Ostrowski braucht ein Strategie-Update", sagt ein Insider.

Grundsätzliche strategische Überlegungen

Thielens Linie, die ausschließliche Konzentration auf das operative Geschäft, müsse durch grundsätzliche strategische Überlegungen ergänzt werden.

Wie weit Ostrowskis Vision reichen darf für Gütersloh 2.0, gilt als umstritten. Thielen und Ostrowski sind zwar eng befreundet - aber Ostrowski sei dennoch ein sehr eigenständiger Macher, heißt es im Konzern. Alles stünde derzeit auf dem Prüfstand. Immerhin ein Anfang.

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