Bertelsmann-Studie:Reiches, ungleiches Land

Folgen der Teilzeit

Immer mehr Deutsche arbeiten in Teilzeit, Leiharbeit, befristeten oder Mini-Jobs. Zuletzt waren es knapp acht Millionen Menschen. Eine neue Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt jetzt, dass diese atypischen Beschäftigungen nicht nur einen geringeren Verdienst mit sich bringen. Sondern sich auch negativ auf das Privatleben auswirken. Vor allem Frauen entscheiden sich für Teilzeitarbeit oder Minijobs, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Im Gegenzug nehmen sie eine größere Abhängigkeit von ihrem Partner in Kauf - und sind im Falle einer Trennung dadurch schlechter abgesichert. Wenn beide Partner atypisch beschäftigt sind, steigt zudem das Trennungsrisiko; zumindest, wenn die beiden noch nicht verheiratet sind. Ähnlich ist die Situation, wenn einer der Partner als Leiharbeiter tätig ist. Auch dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Trennung größer. Später wird den Wissenschaftlern zufolge unter atypisch Beschäftigten vor allem drohende Altersarmut zum Problem.

Zwar werden die Löhne der Deutschen in den kommenden Jahren steigen, wie eine neue Studie nahelegt. Doch gleichzeitigwerden die Unterschiede wachsen: Wer in sozialen Berufen arbeitet oder Kinder hat, fällt wirtschaftlich weiter zurück.

Von Pia Ratzesberger

Es klingt erst einmal nach einer guten Nachricht, wenn es in einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung und der Prognos AG heißt: Die Löhne gehen nach oben. Ein Satz, den jeder mit Vergnügen hört - und der sogleich eine Assoziationskette entstehen lässt. Mehr Geld für Urlaub, mehr Geld für Freizeit, mehr Geld, um sich das Leben ein bisschen schöner zu machen. Um 2200 Euro wird das verfügbare Jahreseinkommen eines deutschen Beschäftigten im Schnitt zwischen 2012 und 2020 inflationsbereinigt steigen, schreiben die Autoren. Für diese Prognose haben sie die bisherigen Einkommen analysiert sowie künftige Entwicklungen der Wirtschaft, Produktivität und Löhne in einer Simulation berechnet.

Warum die Deutschen der Zukunft optimistisch entgegenblicken sollten, liegt der Studie zufolge an zwei gesellschaftlichen Entwicklungen: Zum einen gibt es immer mehr alte Menschen und immer weniger junge Arbeitskräfte. Der Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften wird somit ein kleineres Angebot gegenüberstehen, das treibt die Preise nach oben. Zum anderen mangelt es in manchen Bereichen des Arbeitsmarktes an ausreichend erfahrenen Fachkräften. Auch hier also: Kleines Angebot, große Nachfrage, höhere Löhne.

Doch wer genauer hinsieht, der merkt: Nicht alle werden von den steigenden Löhnen in gleichem Maße profitieren. Während Top-Verdiener, deren Einkommen zum oberen Fünftel gehört, im Schnitt mit einem realen Zuwachs von 5300 Euro rechnen können, liegt die Summe beim unteren Fünftel der Verdiener gerade einmal bei 750 Euro, also etwa um das Siebenfache geringer. Gewinnen werden der Studie zufolge vor allem diejenigen, die in Branchen wie der Chemie, dem Maschinenbau oder der Elektroindustrie arbeiten. In Berufen also, die viel Expertise und hohe Qualifikation voraussetzen. Dort werden die Stundenlöhne bis 2020 im Vergleich zu 2012 am stärksten steigen. Für jemanden, der in der chemischen Industrie arbeitet, soll das zum Beispiel 6200 Euro ausmachen. Wer dagegen sozial tätig ist, Kranke pflegt oder Alte betreut, schneidet ziemlich schlecht ab: Er wird im Jahr 2020 gerade einmal etwa 1000 Euro mehr haben als noch 2012. Know-how siegt über Dienstleistung. Und Kinderlose siegen über Kinderreiche. Denn Paare ohne Kinder werden im Schnitt mit einem Zuwachs von 2100 Euro etwa 450 Euro mehr auf dem Konto haben als Paare mit Kindern; wer seinen Nachwuchs alleine erzieht, der fällt noch weiter zurück. Er wird gerade einmal 1300 Euro dazugewinnen. Das könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass Alleinerziehende oftmals in Teilzeit arbeiten. Belohnt werden also auch in Zukunft nicht unbedingt diejenigen, die einen großen Beitrag zur Gesellschaft leisten, indem sie sich um die Alten und Kranken kümmern oder für Nachkommen sorgen. Die Ungleichheit in Deutschland wird sich vielmehr noch verschärfen. Zwar hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Kluft zwischen Arm und Reich nicht mehr weiter auseinanderentwickelt, zumindest, was die Einkommen angeht. Doch hatte die Einkommensungleichheit ein ohnehin schon relativ hohes Niveau erreicht, auf dem sie bis heute verharrt. In den Jahren von 2000 bis 2005 nämlich entwickelten sich die Haushaltseinkommen in Deutschland immer weiter auseinander. Grund dafür war vor allem, dass damals viele Deutsche ohne Arbeit waren. Die an der oberen Spitze verdienten also immer mehr, während die Menschen am anderen Ende der Skala zunehmend kämpfen mussten. Wie ungleich die deutsche Gesellschaft ist, zeigt sich zum Beispiel, wenn man die Jahre von 2000 bis 2012 betrachtet: Die Top-Verdiener konnten sich in dieser Zeit über einen Anstieg ihres Einkommens von mehr als 15 Prozent freuen - während die unteren vierzig Prozent der Bevölkerung mit einem gesunkenen Einkommen zurechtkommen mussten.

Oft heißt es, eine solche Ungleichheit sei nicht unbedingt schlecht. Schließlich seien ungleiche Verhältnisse schon immer Antrieb für den Einzelnen gewesen, die eigene Leistung zu steigern und produktiver zu sein . Mehr Produktivität wiederum sei gut für die Wirtschaft. Doch zu viel Ungleichheit kann Wachstum auch mindern, wie Studien der OECD zeigen. Wer meint, sowieso immer zu wenig zu verdienen, egal wie viel er auch arbeitet, strengt sich im Zweifelsfall nicht mehr an. Dann bremst Ungleichheit nur noch.

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