Bertelsmann-Studie:Europa wird endlich ein bisschen gerechter

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Ein Ort zum Feierabend: Der Gärtnerplatz in der Münchner Innenstadt. (Foto: Florian Peljak)
  • Nach vielen Krisenjahren geht es mit der sozialen Gerechtigkeit in Europa wieder bergauf. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.
  • Trotzdem sind demnach fast 120 Millionen EU-Bürger von Armut bedroht.
  • Auch in Deutschland gibt es weiterhin Probleme, vor allem bei den Langzeitarbeitslosen und bei der Verteilung von Reichtum.

Von Alexander Hagelüken

Lange genug hat es gedauert. Genauer gesagt: Seit 2008 die Finanzkrise ausbrach, der dann die Eurokrise folgte, hat es beinahe ein Jahrzehnt gedauert. Nun endlich wirkt die Wende in Europa eindeutig. Die Chancen auf einen Job haben sich nachhaltig verbessert. Die Arbeitslosenrate in der EU ist von elf Prozent auf dem Höhepunkt der Misere 2013, auf unter neun Prozent gefallen. Damit geht es in Europa wieder sozial gerechter zu, so die Kernaussage einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung anlässlich des EU-Sozialgipfels an diesem Freitag. Trotz dieser grundsätzlich positiven Entwicklung sehen die Forscher sowohl in den langjährigen Krisenstaaten als auch im Boomland Bundesrepublik weiterhin Probleme.

In der Berufswelt sind die Signale klar: Zwei von drei Europäern, die arbeiten können, haben inzwischen wieder eine Stelle. Allerdings bleibt die Zahl der Jobsucher in einigen Krisenstaaten hoch. In Griechenland liegt sie noch bei 24 (2013: 28) Prozent, in Spanien bei 20 (2013: 26) Prozent. Besonders bedenklich: In Griechenland sucht derzeit fast jeder zweite Jugendliche eine Beschäftigung. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Südeuropa insgesamt nur leicht geschrumpft. Damit zeigt sich, wie hartnäckig die Folgen der doppelten Krise sind, die mit dem Beben an den internationalen Finanzmärkten begann - und anschließend jahrelang Euro-Staaten mit hohen Schulden, Immobilienblasen und übermäßig gestiegenen Arbeitskosten in Atem hielt, während sich solider wirtschaftende Länder wie die Bundesrepublik bereits erholten.

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Der inzwischen auf dem ganzen Kontinent sichtbare konjunkturelle Aufwärtstrend drängt auch die Armut zurück, aber nur langsam. Noch immer sind fast 120 Millionen EU-Bürger von Armut bedroht, nicht viel weniger als auf dem Höhepunkt der Misere. Südeuropa tritt auf der Stelle. Italien, Spanien und Griechenland haben Armutsraten von knapp 30 bis 35 Prozent, doppelt so viel wie beim Spitzenreiter Skandinavien. Für Kinder und Jugendliche liegen die Werte sogar höher. Die Forscher erwarten, dass sich die Unterschiede zwischen dem Süden und Norden Europas verringern, wenn sich die Situation auf den Arbeitsmärkten weiter verbessert.

Besonders angesichts der langjährigen Krise kam zuletzt oft die Forderung auf, die EU müsse ein sozialeres Gesicht bekommen - auch, um die europakritischen Positionen der Rechtspopulisten zurückzudrängen, die an den Wahlurnen überall auf dem Kontinent Erfolge verzeichnen. Europas Regierungen und das gemeinsame Parlament wollen auf dem Sozialgipfel an diesem Freitag in Göteborg eine "Säule sozialer Rechte" verabschieden. Die Staaten sollen mehr Geld für Bildung ausgeben und Studienabschlüsse gegenseitig anerkennen. Außerdem geht es beispielsweise um das Recht auf flexible Arbeitszeiten, bezahlbare Betreuung der Kinder und angemessene Mindestlöhne. Das gewerkschaftsnahe WSI-Institut kritisiert den Vorstoß als zu vage. Die 20 sozialpolitischen Grundsätze spiegeln im Wesentlichen den Status quo wider und sind rechtlich unverbindlich, klagt Forscher Daniel Seikel. Die EU-Grundfreiheiten wie Freizügigkeit von Waren, Kapital und Personen dominierten weiterhin - die EU solle sie begrenzen.

Soziale Herkunft wirkt sich in Deutschland negativ auf Bildungserfolg aus

Für die Bertelsmann-Studie wird ein Gerechtigkeitsindex berechnet, der die Chancen in Bezug auf Arbeitsmarkt, Armutsprävention, Bildung, Gesundheit, Nicht-Diskriminierung und faire Verteilung zwischen den Generationen bewertet. Dabei stehen die drei skandinavischen EU-Staaten Dänemark, Schweden und Finnland oben. Ganz hinten liegen neben den Euro-Krisenstaaten Bulgarien und Rumänien.

Die Bundesrepublik liegt auf Platz sieben von 28 EU-Staaten. Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit und eine sehr niedrige Arbeitslosenrate insgesamt. Vergleichsweise hoch dagegen ist unter den Jobsuchenden mit 40 Prozent der Anteil jener, die bereits länger als ein Jahr ohne Beschäftigung sind. Auch haben Arbeitnehmer mit ausländischem Geburtsort in Deutschland im EU-Vergleich schlechte Chancen. Die soziale Herkunft wirkt sich weniger negativ auf den Bildungserfolg aus als vor zehn Jahren, aber nach wie vor schneidet die Bundesrepublik im Vergleich schlecht ab. Auch könnte der Reichtum besser verteilt werden: "Obwohl Deutschlands Wirtschaft brummt, scheinen die Wohlstandsgewinne nicht bei allen Menschen anzukommen".

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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