Süddeutsche Zeitung

Bertelsmann:Alpha und Omega

Zeitenwechsel im ostwestfälischen Gütersloh: Unter dem neuen Konzernchef Ostrowski scheint sich Bertelsmann zum medialen Dienstleister zu wandeln.

Thomas Schuler

Im März 2006 lud Markus Dohle, der damalige Chef von Mohn Media, seine knapp 2000 Mitarbeiter am Standort Gütersloh zur Betriebsfeier in die Stadthalle ein. Es wurde getanzt und gefeiert. Große Reden wurden nicht geschwungen. Aber die Mitarbeiter erfuhren, dass es eine besondere Betriebsfeier sei. Mohn Media, das als eines der führenden Druckhäuser in Europa Kataloge, Kalender und Zeitschriften druckt und heute zur Dienstleistungssparte Arvato gehört, war 60 Jahre alt geworden. Dieses Jubiläum zumindest feierte die Tochterfirma, wie Bertelsmann bestätigt. Der Wunsch dazu sei aus der Reihe der Mitarbeiter gekommen, erinnert sich ein Teilnehmer.

Wiederaufbau mit dem Heimkehrer

Und es gab ja auch Grund zum Feiern: Direkt nach Kriegsende hatten die verbliebenen Mitarbeiter gemeinsam mit dem aus amerikanischer Gefangenschaft heimgekehrten Verlagserben Reinhard Mohn das von Bomben zerstörte Druckhaus wieder aufgebaut und damit den ersten Schritt zum heute sechstgrößten Medienkonzern der Welt getan. Noch bevor man Bücher verlegte, wurde im Auftrag der britischen Besatzungsmacht gedruckt. So gesehen ist Mohn Media, das als einzige Firma den Namen der Eigentümerfamilie trägt, der Keim der modernen Bertelsmann AG.

Dennoch machte Mohn Media vor zwei Jahren kein großes Aufhebens, nicht einmal die Lokalpresse war informiert. Weder Reinhard Mohn noch einer der Konzernvorstände waren anwesend. Seltsam. Mohn Media hat eine ältere Geschichte als der Verlag, die Bertelsmann seit Jahrzehnten verschämt versteckt und sich stattdessen gerne elf Jahre jünger macht - und das seit langer Zeit. 1824 hat Carl Bertelsmann eine Druckerei gegründet, elf Jahre später fügte er einen Verlag für Missionsschriften hinzu, um die Druckerei auszulasten.

Doch schon beim ersten Jubiläum erinnerte Bertelsmann 1885 an die Gründung des Verlags, nicht der Druckerei. Schon damals brachte Bertelsmann die handwerkliche Dienstleistung des Druckens mit der kreativen inhaltlichen Leistung des Verlegens durcheinander. Den Festsaal schmückte ein Transparent mit der Aufschrift: "Vor fünfzig Jahren fing man an / zu drucken bei C. Bertelsmann." Weil die beiden männlichen Erben von Heinrich Bertelsmann bereits im Säuglingsalter gestorben waren, gingen Verlag und Druckerei nach Heinrichs Tod 1887 auf seine Tochter Friederike und ihren Mann Johannes Mohn über. Und auch deren Sohn Heinrich Mohn sah sich vor allem als missionarisch getriebenen Verleger christlicher Schriften. Doch sein Unternehmen expandierte dank neuer Vertriebstechniken.

Seitdem wird das Jahr 1835 gefeiert. Die Gründerfamilie habe eben "in ihrem verlegerischen Selbstverständnis den Ausgangspunkt des Unternehmens" gesehen, sagt Bertelsmann-Sprecher Andreas Grafemeyer. Deshalb sei das Haus 1935, 1960 und 1985 dieser Tradition gefolgt und werde 2010 das 175. Jubiläum feiern. Für 1824 existiere kein Dokument. Dabei gibt es, wie Grafemeyer bestätigt, ein Notizbuch, in dem Carl Bertelsmann mit Datum vom 19. Juni 1824 seine erste Druckarbeit festhielt. Dieses Jahr gibt Mohn Media auf seiner Website selbst als Gründungsjahr an.

Begrenzte Investitionsmöglichkeiten

Der Hinweis, Bertelsmann habe sich immer schon gerne als Verleger von Inhalten in der Öffentlichkeit dargestellt, mag kleinlich erscheinen. Der Blick auf die Tradition ist aber vielleicht gerade heute, da Bertelsmann sich vom Medien- zum Dienstleistungsunternehmen zu wandeln scheint, vielsagend. Vor wenigen Wochen hat der neue Vorstandsvorsitzende Hartmut Ostrowski erst einen Teil der Buchclubs, dann das Musikgeschäft von BMG verkauft. Der Eigentümerfamilie Mohn hat er versprochen, bis 2015 den Umsatz von jetzt 19 Milliarden auf 30 Milliarden Euro jährlich zu erhöhen.

Er will in die Sparte Bildung investieren, aber seine Möglichkeiten sind durch eine Schuldenlast von mehr als sieben Milliarden Euro begrenzt, die 2006 durch den Rückkauf eines 25-prozentigen Anteils entstand. Der Verkauf von BMG für mehr als 700 Millionen Euro soll neue Investitionen ermöglichen. Zudem versucht sich Bertelsmann darin, neue Geschäftsfelder zu erschließen, beispielsweise als Dienstleister von Kommunalverwaltungen. Der potentielle Markt für Verwaltungsleistungen umfasse allein in Deutschland 20 Milliarden Euro und sei damit größer als das globale Musikgeschäft, hat Arvato-Chef Rolf Buch vorgerechnet, 20 Milliarden bilden ungefähr den Jahresumsatz von Bertelsmann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Bertelsmann-Boss Kritik kontert.

Hartmut Ostrowski, Buchs Vorgänger, wehrt sich gegen das Schlagwort "Arvatoisierung", gegen die Vermutung, Bertelsmann verabschiede sich von den Inhalten. Dem Spiegel sagte er im Juli: "Bertelsmann war ein Medienhaus, ist ein Medienhaus und wird ein Medienhaus bleiben. Wir werden alle Lügen strafen, die sagen, Bertelsmann wird ein Dienstleistungsunternehmen."

Aber ist nicht der Dienstleister Arvato (und sein Vorläufer) traditionell der eigentliche Kern, weil Druck- und Vertriebsleistungen immer der Mittelpunkt und der sichere Geldbringer waren?

Junger Name, alte Tradition

Der Kunstname Arvato ist jung, die Tradition aber alt. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Gunter Thielen, gab der Druck- und Industriesparte 1999 den Namen - ein Kunstbegriff, in dem "A"-rs (lateinisch: Kunst), "va" (für Variation), t für "Technik" und "O" wie "Organisation" steckten, wie Thielen damals erklärte. Man wollte weg vom Industrie-Image des Druckens, hin zum Image eines Dienstleisters, der für alles zuständig ist. Arvato beginne mit A und ende mit O und stehe damit wie Alpha und Omega für alles, was Bertelsmann in Sachen Dienstleistung zu bieten habe. Damals war Thielen übrigens Chef von Arvato. "Mediendienstleister" nannte er Arvato damals. Auch die Ernennung eines Mannes aus dieser Sparte zum Vorstandschef von Bertelsmann hat Tradition. Thielens Vorgänger Thomas Middelhoff und Mark Wössner waren einst ebenfalls in der Druck- und Industriesparte aufgestiegen. Reinhard Mohn hatte den Konzern viele Jahre aus dem Chefbüro des Druckhauses geleitet.

Definition der Wachstumsfelder

Arvato beschäftigt in 270 Tochterfirmen in 37 Ländern mehr als die Hälfte der 95.000 Mitarbeiter von Bertelsmann und macht rund fünf Milliarden Euro Umsatz. Dort ist das traditionelle Druckgeschäft angesiedelt: das Pressen von CDs und DVDs, der Druck und der Vertrieb von Lehrmaterial und Formularen für Microsoft und Deutsche Bank, von Bedienungsanleitungen für Automobile oder Callcenter. Aber auch das Vielfliegerprogramm der Lufthansa oder den Anzeigenverkauf für Google wickelt Arvato ab. Weil das Geschäft mit Firmen und nicht mit Endkunden gemacht wurde, trat Arvato öffentlich nicht auf. Nach dem Fernsehen, das 2007 mit RTL 30 Prozent zum Umsatz beitrug, gilt Arvato als Umsatzbringer (25,5), noch vor Zeitschriften (Gruner und Jahr), Büchern (Random House), den Clubs (Direct Group) und der Musik (BMG).

Was sind die neuen Wachstumsfelder? In Würzburg begann im Frühjahr ein Pilotprojekt, bei dem Arvato eine Verwaltung aufbaut, die ohne Papier auskommen soll. In zehn Jahren soll das Projekt durch Abbau von Personal 27 Millionen Euro einsparen; Arvato erhofft sich daraus sieben Millionen Euro Gewinn und Folgeaufträge anderer Kommunen. In England hat Arvato sogar mehr als 500 Mitarbeiter einer Verwaltung übernommen und zieht Steuern ein; ein zweiter Auftrag einer anderen Kommune soll dort folgen.

Drucken wird bei Bertelsmann als Dienstleistung verstanden, in der Konzeption und Auslieferung inbegriffen sind. Man aktualisiert Schulungsunterlagen von Microsoft und kann sie in Europa wie in USA ausdrucken. Ostrowski sagte einmal: Die Kunst des Erfolgs von Arvato bestehe darin, jedem Kunden eine eigene Lösung anzubieten und ein EDV-System für die Bedürfnisse eines Kunden so zu bauen, dass es dessen Arbeit erleichtert, aber kompliziert genug ist, dass der Ausstieg für den Kunden großen Aufwand erfordern würde. Was aber lernt ein Manager bei Arvato, das ihn zu Höherem bei Bertelsmann befähigt? "Wenn man gelernt hat, für eine Airline Kunden zu binden, dann kann man das auch für Bertelsmann machen", sagte Ostrowski.

Vertragliche Verpflichtungen

Beim Verkauf von BMG war Bertelsmann darauf bedacht, dass der neue Eigentümer Sony sich vertraglich verpflichtete, die nächsten sechs Jahre CDs bei Bertelsmann zu pressen. Zudem sicherte sich Bertelsmann die Rechte an 200 europäischen Musikern und will damit in Berlin ein neues Rechtegeschäft aufbauen. Nicht die Produktion von Musik, sondern der Aufbau und der Vertrieb von Rechten stehen im Mittelpunkt. Auch das eine Tradition des klassischen Arvatodenkens, das sich im ganzen Konzern ausbreitet.

Was wäre ein wirklich drastischer Einschnitt, der die Abkehr vom Mediengeschäft bedeutete? Der Verkauf von Random House, des weltgrößten Buchverlags. Aber so weit geht der Wandel nicht. Das heißt nicht, dass Ostrowski nicht auch in diesem Bereich Änderungen vornimmt und Arvato auch hier einzieht. Im Mai ernannte er Markus Dohle, den ehemaligen Chef von Mohn Media, zum Vorstandsvorsitzenden von Random House, dem weltgrößten Verlagshaus von Büchern. Dohle habe ein Verkäufer-Gen und könne neue Wege finden, Bücher im Zeitalter von Internet und iPod zu verkaufen. Es sei ungewöhnlich, "den Chefmechaniker zum Chef einer Airline" zu machen, kommentierte die New York Times. Denn er habe wenig Ahnung von Büchern, also kein verlegerisches Know-how, sagen Verlagsleute.

Dohle sieht sich allerdings als jemand, der sein "ganzes Berufsleben in der Wertschöpfungskette des Buchverlagswesens gearbeitet habe". Dohle meint damit, dass er sich beim Druck und beim Vertrieb der Bücher auskennt.

Drucken? Verlegen?

Wandelt sich Bertelsmann vom Medienhaus zum Dienstleister? Diese Frage kam auf, als Dohle dem Manager Magazin jetzt sein erstes Interview gab. Er sagte, die Buchsparte werde das Vorjahresumsatzergebnis von 1,8 Milliarden Euro wohl verfehlen - um 150 Millionen, mutmaßte das Manager Magazin. Und Dohle stellte den Abbau von Stellen in Aussicht. Ein Verkauf der gesamten Buchsparte komme aber nicht in Frage: "Random House wird langfristig zum Kerngeschäft von Bertelsmann gehören."

Was ist nun der Kern: Drucken oder Verlegen? Medien oder Dienstleistung? Vermutlich liegt die Wahrheit dazwischen: Bertelsmann war immer beides, hat sich aber vor allem als Medienhaus dargestellt. Ostrowski und Dohle wandeln in der Tradition von Carl Bertelsmann, kämpfen aber mit dem selbst aufgebauten Image.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.694876
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06./07.09.2008/mel
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.