Süddeutsche Zeitung

Berliner Synchron:Film ab

In den Studios von Berliner Synchron wurden Klassiker wie "Der Pate" bearbeitet. Dann kam die Krise. Nun läuft der Betrieb wieder.

Von Steffen Uhlmann, Berlin

Es ist kein leichtes Metier. Gefordert sind Rhythmus, Schnelligkeit, auf den Punkt gebrachte Emotionen, und das alles immer im Gleichklang mit fremden Lippen. Synchronisieren heißt das allgemein, Marcus Dröscher nennt es "die hohe Kunst einer weitgehend unbekannten Schauspieler-Gilde". Denn wer kennt sie schon, die Namen jener Künstler, die dafür sorgen, dass man im Kino oder vor dem TV-Bildschirm bisweilen ganz vergisst, dass die Darsteller in Wirklichkeit eine andere Sprache sprechen? Sie werden bestenfalls im Film-Abspann genannt. Die Kunst des Synchronisierens, klagt Dröscher, "wird häufig missachtet und gering geschätzt".

Etwa ein Prozent der Zuschauer kann einen Film komplett in Fremdsprache verstehen

Dröscher ist Chef der Berliner Synchron, eines der ältesten Unternehmen der Branche, 1949 vom Filmproduzenten Wenzel Lüdecke gegründet. Mehr als 7000 Filme wurden in den Studios des Unternehmens synchronisiert, darunter viele große Klassiker - von "Zwölf Uhr mittags" über "Der Pate" und "Psycho" bis hin zu "Forrest Gump" oder "Schindlers Liste". Bisweilen ärgert sich Dröscher auch über die "polyglotte Eitelkeit" einer Kulturelite, die den wahren Filmgenuss nur in Originalsprache erleben könne. "Ein Schmarrn" sei das, sagt er. "Vielleicht ein Prozent der Zuschauer beherrscht eine Fremdsprache gut genug, um einen Film in dieser Sprache ohne Einschränkungen zu folgen."

Marcus Dröscher ist von Haus aus kein Fachmann. Der 35 Jahre alte diplomierte Betriebswirt stieß eher zufällig zur Berliner Synchron - als Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft msw, welche die in wirtschaftliche Schieflage geratene Traditionsfirma über einige Jahre hinweg betreute. Die Geschäfte des Spezialisten für Filmsynchronisationen liefen spätestens seit 2006 mehr schlecht als recht. Jahrelang wurden den Anteilseignern Verluste präsentiert. Die weltweite Finanzkrise, der steigende Preisdruck in der kleinen, stark fragmentierten Branche, nicht zuletzt aber die Insolvenz der Kirch-Gruppe, mit der die Berliner die Arena Synchron betrieben, brachten das seit Oktober 2006 im Entry Standard der Deutschen Börse notierte Unternehmen an den Rand des Ruins. Die Substanz war aufgezehrt, Schulden drückten und der Aktienkurs gab um bis zu 90 Prozent nach.

Allein auf Umsatzwachstum und Tradition zu bauen, sei ein ziemlich erfolgloses Geschäftsmodell gewesen, bekennt Dröscher nüchtern. Dann aber zeigt er auf die Couch in seinem Büro. "Die sieht unscheinbar aus", sagt er. "Aber darauf haben schon Filmlegenden wie zum Beispiel Romy Schneider gesessen." Dröscher, 1980 in Rathenow bei Berlin geboren, kennt diese Geschichten vom alten Ruhm der Berliner Synchron nur vom Hörensagen. Die Filme aber, die kennt er alle. "So viel Ruhm und Tradition", gesteht er, das habe ihn beinahe "magisch" angezogen. 2011 wechselte er zur Berliner Synchron, trotz der wirtschaftlichen Risiken. "Ich war dafür jung und neugierig genug." Schon zwei Jahre später rückte er in den Vorstand auf.

Es war die Zeit des großen Umbruchs im Unternehmen. Die traditionsreiche Betriebsimmobilie wurde an einen Entwickler verkauft, der nun luxuriöse Wohnungen auf dem Gelände bauen will. Der Verkaufserlös wurde dringend gebraucht, um Bankdarlehen zu tilgen und um aufgelaufene Forderungen von Autoren und Übersetzern, Cuttern und Tonmeistern, Regisseuren und Schauspielern zu bedienen. "Zugleich aber musste geklärt werden, wie wir das Synchrongeschäft weiter betreiben wollen", sagt Dröscher. "Mit eigenen Produktionskapazitäten und Studios oder künftig nur noch als eine Art Agentur, die je nach Auftrag Kooperationen eingeht?"

Der Vorstand habe sich für die erste Variante entschieden, sagt er. "Aber das mit allen Konsequenzen, an einem neuen Standort." Der wurde bald gefunden. Ende nächsten Jahres zieht Berliner Synchron mit seinen noch 60 festangestellten Mitarbeitern auf den Euref-Campus um, der in Berlin-Schöneberg auf einem ehemaligen Gaswerksgelände errichtet wird und Projektentwickler Reinhard Müller zufolge zur "intelligenten Stadt" ausgebaut werden soll - mit "Green Buildings", die autonom und kohlendioxidneutral versorgt werden. "Wir haben dort mehr als 2500 Quadratmeter angemietet", sagt Dröscher. "Das bietet genügend Platz für Verwaltung und hochmoderne Studios."

7000 Filme

sind in den Studios des Unternehmens Berliner Synchron seit der Gründung im Jahr 1949 bearbeitet worden. Es ist eines der ältesten Firmen der Branche, zu der langen Liste synchronisierter Spielfilme gehören auch Klassiker wie "Der Pate", "Forrest Gump" oder "Zwölf Uhr mittags". Die Produktionszeiten werden zunehmend kürzer, zumal der zeitliche Abstand zwischen Filmpremieren in den USA und Deutschland auch immer weiter schrumpft.

Bis dahin soll auch die Firmenumstrukturierung abgeschlossen sein. In einem ersten Schritt wurde das gesamte operative Geschäft in eine Tochterfirma ausgegliedert, die nun zu einer Holding gehört. "Mit dieser Holdingstruktur verbessern sich unsere Möglichkeiten für Kooperationen, Partnerschaften und Beteiligungen", sagt Dröscher. Zudem hat man die Konditionen eines 1,5 Millionen Euro hohen Kredits neu geordnet, den Großaktionär Wolfram Lüdecke, der Sohn des Gründers, dem Unternehmen eingeräumt hatte. "Das hat uns mehr Finanzkraft für die weitere Unternehmensentwicklung gebracht."

Viele US-Kassenschlager laufen bereits kurz nach dem Start auch in deutschen Kinos

Inzwischen läuft das Geschäft wieder. Im vergangenen Jahr hat sich der Umsatz um 15 Prozent auf 8,5 Millionen Euro erhöht, unter dem Strich stand ein Gewinn in Höhe von einer halben Million Euro. Hinter diesen Zahlen stehen Top-Aufträge wie die Synchronisationen von "Die Pinguine aus Madagaskar", "Mea Culpa" oder die erste Staffel der Blockbuster-Serie "Bloodline", die der Streaming-Dienst Netflix bei Berliner Synchron in Auftrag gegeben hatte. Für das laufende Jahr ist Dröscher zuversichtlich: "Wir wollen beim Umsatz auf etwa zehn Millionen Euro kommen und dabei deutlich den Gewinn erhöhen."

Der Schwung hat die gesamte Branche erfasst. Dank neuer Anbieter und Sendeplattformen wie Netflix oder Watchever, die mit Eigenproduktionen an den Markt gehen, sind die Auftragsbücher der wichtigsten deutschen Synchronfirmen so gut gefüllt wie lange nicht mehr. Dröscher ist überzeugt, dass die neuen Plattformen den deutschen Markt (Volumen etwa 100 bis 120 Millionen Euro) weiter beflügeln werden. "Hinzu kommen die kleinen Spartensender, deren Anzahl ebenfalls steigt", sagt er. "Auch die brauchen Inhalte." Zur Euphorie besteht dennoch kein Grund. Das Marktvolumen steigt zwar, doch der Wettbewerb ist hart, und der Zeitdruck nimmt zu. Viele Kassenschlager und TV-Serien laufen inzwischen kurz nach dem Start in den USA auch in Deutschland.

Geringe Gewinnmargen lassen keine größeren Investitionen ohne Fremdmittel zu. Der Einsatz moderner Technik in Produktion und Verwaltung ist aber Voraussetzung für die kürzeren Produktionszeiten, betont Dröscher. "Das betrifft vor allem Produktionen im TV-Bereich und Aufträge im Video-on-Demand-Geschäft." Mindestens eine Million Euro will Berliner Synchron in die neuen Studios investieren. "Wir machen uns fit für mehr Wachstum und Wettbewerb", sagt er. Er scheint mit sich und der Welt derzeit ganz zufrieden zu sein. Andere offenbar auch. Gerade wurde Dröschers Vertrag als Vorstand der Holding und als Geschäftsführer der Produktionstochter um jeweils drei Jahre verlängert.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2015
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