Berliner Flughafen:Billige Pläne kosten viel Zeit und Geld

BBI Gepäckabfertigung

Die Gepäckabfertigung im Terminal des neuen Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER) in Schönefeld

(Foto: dpa)

Zum vierten Mal muss der Eröffnungstermin für den neuen Hauptstadtflughafen wohl verschoben werden: Aus dem 30. Oktober 2011 wurde frühestens 2014. Auf die ursprünglich geplanten Kosten von 2,8 Milliarden Euro müssen 1,5 Milliarden Euro draufgeschlagen werden. Wie kann so etwas passieren? Fragen und Antworten.

Von Markus C. Schulte von Drach und Benjamin Romberg

Schon drei Mal ist die Eröffnung des Großflughafens Berlin-Schönefeld verschoben worden, und noch immer funktioniert die Brandschutzanlage nicht so, dass die Bauaufsichtsbehörde zufrieden ist. Nun folgt eine vierte Verschiebung, da auch die Zeit bis zum zuletzt anvisierten Termin, dem 27. Oktober 2013, nicht ausreichen wird, um die Anlage so sicher zu machen wie vorgesehen. Eine Suche nach Erklärungen.

Wo liegt eigentlich das Problem?

"Wir haben schon Pyramiden errichtet - und jetzt sieht es so aus, als ob wir nicht mehr bauen können", wundert sich Josef Zimmermann, Professor am Lehrstuhl für Bauprozessmanagement an der TU München, im Gespräch mit Süddeutsche.de. Er wird bei Großprojekten häufig als Gutachter engagiert und ist sich sicher: Die entscheidenden Fehler passieren bereits vor dem ersten Spatenstich, die Planung ist das Problem. Und hier liege die Verantwortung vor allem beim Bauherren. Er müsse vor der Ausschreibung des Auftrags an die Baufirmen festlegen, welche Leistungen diese erbringen müssten und das vertraglich vereinbaren. Spätere Änderungen werden teuer, wie das Beispiel Berlin zeigt.

Hier gab es zunächst eine sogenannte Generalunternehmerausschreibung, erklärt Zimmermann. Der Auftrag sollte also zu einem Pauschalpreis an eine einzige Firma vergeben werden, die für den kompletten Bau zuständig ist. Der Preis sei den Verantwortlichen allerdings zu hoch gewesen, so Zimmermann, "das passte nicht ins Budget". Sie schrieben den Auftrag neu aus, die verschiedenen Bauabschnitte wurden nun einzeln vergeben. Rückblickend sagt Zimmermann: "Der ursprüngliche Pauschalpreis war wohl näher an der Wahrheit." Außerdem sei die Einzelvergabe ein Fehler gewesen - damit habe man die Probleme, also mögliche Mehrkosten, nur auf die Zukunft verschoben.

Und auch nach der Auftragsvergabe sei der Bauherr nicht aus der Pflicht: Die Baufirmen führten nur aus, so Zimmermann, für Planung und Überwachung sei der Bauherr verantwortlich. Er müsse Architekten, Planer und Techniker beauftragen. Auch die Überwachung der Bauarbeiten sei Aufgabe der Auftraggeber. Hier wurde aus Sicht von Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Bauindustrie, ein entscheidender Fehler gemacht. Im Sommer hatte die Flughafengesellschaft der Planergemeinschaft PG BBI gekündigt. "Den Generalplaner in so einem späten Stadium zu kündigen, wirft ein Projekt um ein bis zwei Jahre zurück", sagt Knipper Süddeutsche.de. "Sämtliche Verträge mit den kleinen Baufirmen mussten neu verhandelt werden."

Was ist mit dem Brandschutz?

Auch die Probleme mit dem Brandschutz, die zur Hauptursache für die Verzögerungen erklärt wurden, liegen aus Zimmermanns Sicht in der Verantwortung der Auftraggeber. "Es ist die Pflicht des Bauherren, eine genehmigungsfähige Planung zu erstellen", sagt er. Außerdem habe man die falsche Firma mit dem Brandschutz beauftragt. Die ist im Laufe der Arbeiten pleite gegangen - der Bauherr, zumal als öffentlicher Träger, habe aber die Pflicht, die Bonität des Unternehmens vorab zu prüfen. Durch die Pleite hätten sich die Bauarbeiten erheblich verzögert.

Experten für den Brandschutz bei Großanlagen wie Flughäfen sind nicht überrascht, dass es in Berlin zu Terminverschiebungen gekommen ist. Das liegt zum Teil auch in der Natur der Sache. So werden in der Regel keine fertigen Pläne für solche Bauprojekte zur Genehmigung eingereicht, sondern Entwürfe. Dann erst wird die richtige Ausbauplanung begonnen. Dazu wird ein Brandschutzkonzept erstellt, das in der Regel verschiedene Firmen gemeinsam umsetzen sollen. Die Wünsche von Architekten und Bauherren oder auch nicht vorhergesehene Umstände stellen die Fachleute dann manchmal vor Aufgaben und Probleme, die es zuvor nicht gab.

So kann ein Architekt beispielsweise entscheiden, statt einer Wand, die aus Brandschutzgründen eine Mauerwerks- oder Stahlbetonwand sein müsste, eine Glaswand einzubauen. Der geringere Brandschutz muss jedoch kompensiert werden. Und je nachdem, wozu die Anlage dient, greifen Sonderbauvorschriften und müssen bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Vielleicht werden deshalb technische Brandschutzmaßnahmen wie Sprinkler- oder Rauchabzugsanlagen eingebaut. Ob alle Vorgaben damit erfüllt werden, muss sich dann erweisen.

Wer trägt die Schuld?

Und nicht immer aber gibt es für die Probleme bekannte, abrufbare Lösungen. Dann müssen die Ingenieure neue, eigene Wege finden, um den Brandschutz zu gewährleisten. Gerade unter Termindruck ist das schwierig. Dann kommt es auch darauf an, wie gut und versiert das Baumanagement, das Planungsteam, die Fachbauleitung sind. "Das ist alles sehr eng miteinander verzahnt", sagte ein Fachmann Süddeutsche.de. "Wenn eines der Zahnräder im Getriebe nicht richtig funktioniert, dann können sich Fehler potenzieren."

Spätestens dann, wenn es für den Steuerzahler teuer wird, sucht die Öffentlichkeit einen Schuldigen. Diesen auszumachen ist im Fall des Berliner Flughafens und auch bei anderen Großprojekten nicht so einfach. Werner Rothengatter, ehemaliger Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung an der Uni Karlsruhe, glaubt, dass die Baufirmen Unsicherheiten ausnutzen. "Jedes Unternehmen versucht, möglichst günstig zu kalkulieren, damit es den Auftrag bekommt." Für jede Leistung, die aus den Ausschreibungsbedingungen nicht hervorgehe, könne die Firma dann später ordentlich abkassieren.

"In 98 Prozent der Fälle wird ein Auftrag an die billigste Firma vergeben", sagt Knipper vom Bauverband. Allerdings seien die Angebote häufig nicht kostendeckend. Aber nicht die Baufirmen tragen aus seiner Sicht die Schuld an der Vergabepraxis: "Das deutsche Vergaberecht setzt falsche Anreize." In der Schweiz zum Beispiel werde der billigste Anbieter bei öffentlichen Ausschreibungen immer ausgeschlossen, damit auch andere Kriterien zur Geltung kämen.

Fehler oder Absicht?

Der Däne Bent Flyvbjerg bezeichnet die deutsche Vergabepraxis als "survival of the unfittest": Nicht die besten Projekte werden verwirklicht, sondern diejenigen, die auf dem Papier am besten aussehen. Flyvbjerg ist Professor für Planung an der Universität Oxford, er beschäftigt sich schon lange mit den Problemen bei internationalen Großprojekten. In einer Studie untersuchte er 258 Projekte weltweit in einem Zeitraum von mehr als 70 Jahren. Die beunruhigende Erkenntnis, die er schon 2003 in einem Buch veröffentlicht hat: Neun von zehn Projekten mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Euro werden teurer als geplant.

Angesichts einer solchen Häufung glaubt Flyvbjerg nicht an einzelne Fehler - aus seiner Sicht steckt System dahinter, er spricht von einer "strategischen Verfälschung". Seine Erklärung: Die absichtliche Unterschätzung von Kosten zahlt sich aus. Für die Politik, weil sie so ihre Großprojekte leichter genehmigt bekommt, und für die Baufirmen, weil sie mehr Geld bekommen. "Im politischen Raum habe ich nur bestimmte Gelder zur Verfügung, da möchte ich vielleicht manchmal gar nicht wissen, was ein Projekt wirklich kostet", sagt auch Zimmermann.

Wie kann man solche Probleme künftig vermeiden?

In Berlin ist es für solche Überlegungen zu spät, dennoch drängt sich die Frage auf: Wie kann solch ein Desaster in Zukunft vermieden werden? Flyvbjerg folgerte aus seiner Studie, dass absehbare Kalkulationsfehler bestraft werden müssten - Abschreckung also. Für Zimmermann von der TU München ist die Sache ganz einfach: "Wir lehren unseren Studenten, dass wir schon am Anfang die Kosten auf zehn Prozent genau berechnen müssen. Nimmt man am Anfang zu wenig Geld in die Hand, zahlt man es am Ende dreifach drauf." Auch Verbandler Knipper hält die Planungsphase für entscheidend: "Hätten die Verantwortlichen in Berlin 40 Millionen Euro mehr in die Vorbereitung gesteckt, wäre das Geld gut angelegt gewesen."

Auch der Ruf nach mehr Transparenz wird im Fall des Berliner Flughafens häufig laut. Ein gutes Beispiel waren die Olympischen Spiele in London: Vor Olympia hatten die Verantwortlichen einen detaillierten Plan erstellt. Zu dem Projektbudget von 6,3 Milliarden Pfund (etwa 7,7 Milliarden Euro) wurde außerdem ein Risikobudget in Höhe von 2,8 Milliarden Pfund errechnet. Diese Gesamtzahl wurde der Politik und den Menschen kommuniziert und jeden Monat überprüft. Das Projekt wurde rechtzeitig fertig - und sogar noch mehrere hundert Millionen Pfund günstiger als geplant.

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