BER-Chef Mehdorn im Porträt:Besessener im Notstandsgebiet

Deutsche Bahn - Hartmut Mehdorn

Hartmut Mehdorn, damals noch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, im Jahr 2008 auf einer Pressekonferenz in Berlin 

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Er hat Flugzeuge und Druckmaschinen gebaut, die Bahn umgekrempelt und danach Air Berlin - nun soll er, der 70-jährige Pensionär, den Berliner Großflughafen retten: Hartmut Mehdorn gilt als Manager vom alten Schrot und Korn, als jemand, der sehr ungeduldig sein kann. Viele halten ihn gerade deswegen für die Idealbesetzung.

Von Michael Bauchmüller, Constanze von Bullion, Berlin, und Karl-Heinz Büschemann

Vielleicht liegt es ja daran, dass Hartmut Mehdorn nicht gerade ein Hüne von Gestalt ist, rein äußerlich, und dass seine Stimme auch ganz gut in einen Knabenchor passen würde. So einer lernt früh, dass er sich anstrengen muss, wenn er ernst genommen werden will.

Er strengt sich an, dieser Hartmut Mehdorn, und in Berlin, wo jetzt sein fünftes Leben als Manager begonnen hat, da haben sie jetzt alle ihre liebe Not, ihn im Zaum zu halten. Hartmut Mehdorn ist 70 Jahre alt und war eigentlich schon im Ruhestand. Da hat man ihn quasi über Nacht zum Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg gemacht, also zum Herrn eines Notstandgebiets von beachtlichem Ausmaß. Kaum eine Woche vergeht, in der Flughafenleute, Pressesprecher und Aufsichtsratschef Matthias Platzeck nicht alle Hände voll zu tun haben, wieder gerade zu rücken, was Mehdorn mal eben aus der Verankerung gerissen hat.

Wie ein Matador

Anfang März ist es losgegangen mit Mehdorn am neuen Hauptstadtflughafen in Berlin, der seltsam leblos, aber Tag und Nacht beleuchtet vor der Stadt liegt und auf Erlösung wartet. Es erlöst ihn aber keiner, weshalb sich im Besucherzentrum des Airports an diesem Tag mal wieder Kamerateams drängen und auf die Herren Aufsichtsräte warten.

Sie fahren hier bei jeder Aufsichtsratssitzung in schweren schwarzen Wagen vor, demonstrieren beim Aussteigen kurz gute Laune, rücken einander die Krawatten zurecht und marschieren zur Pressekonferenz. An diesem Tag ist ein ganzer Schwarm bedeutender Flughafenmänner hier, Aufsichtsratschef Platzeck, der auch Brandenburgs Ministerpräsident ist. Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, dazu Rainer Bomba aus dem Bundesverkehrministerium, der Flughafenbauchef Horst Amman. Und mittendrin, ganz aufrecht, Hartmut Mehdorn, der in den Saal einrückt wie ein Matador.

Mehdorn ist gerade zum Gesamtgeschäftsführer des Flughafens gemacht worden, und er wartet gar nicht erst, bis man ihm einen Platz auf dem Podium anbietet. Er pflanzt sich gleich in die Mitte, zu Platzeck. Auch Bomba und Amann würden gern in der Mitte sitzen, sie rangeln diskret um einen der besseren Stühle. Mehdorn tut, als merke er es nicht, lässt die beiden um die billigeren Randplätzen raufen. Sie werden nicht weiter zu Wort kommen.

So ist er halt, der Mehdorn

So ist er halt, der Mehdorn, sagen Wegbegleiter, einer der führen will, nicht lange fackelt. "Ein Manager von altem Schrot und Korn", sagt einer. "Er bestimmt die Dinge sehr rigide", sagt er, und meint das positiv. "Aber ich bin froh, dass ich nicht unter ihm arbeiten muss." Schnell, entscheidungsfreudig, "stets ungeduldig", sagt ein Kollege, der sich angewöhnt hat, darauf zu achten, was Mehdorns Füße unter dem Tisch machen. Fangen sie an zu wippen, sollte man sich hüten. "Wenn einer seine Leistung nicht bringt, wird er ungemütlich." Es soll dann auch mal lauter werden im Raum, berichteten andere. Dass Mehdorn nicht von jedem gemocht wird, das leugnet er noch nicht mal selbst.

An jenem ersten Arbeitstag am Flughafen dauert es nicht lange, bis Journalisten fragen, wie die Chemie so sei im neuen Team. "Dass ich manchmal einen schwierigen Weg gehe, das ist bekannt. Ich bin auch kein unbeschriebenes Blatt. Das müssen Sie aushalten", antwortet Mehdorn. Doch, ja, es ist eine schnörkellose Inthronisation, bei der Mehdorn auch nicht zögert, Aufsichtsratschef Platzeck an die Karre zu fahren. Der will weniger Nachtflüge am Flughafen. Mehdorn, seit Jahrzehnten im Luftfahrtgeschäft, sagt zwar nicht "papperlapapp". Aber viel fehlt nicht: "Es ist ganz klar, dass wir uns hier an internationale Standards gewöhnen müssen", erklärt er knapp. "Beschränkung ist schlecht. Dass muss man ganz klar sagen."

"Muss man Tegel wirklich schließen?"

Am nächsten Tag stellt Platzeck den neuen Flughafenchef im Potsdamer Landtag vor. Mehdorn plaudert kurz über Mängel auf der Baustelle, dann fragt er ganz nebenbei: "Muss man Tegel wirklich schließen?" Platzeck stutzt, er weiß, dass der alte Flughafen Tegel geschlossen werden muss, sechs Monate nach der Öffnung des neuen Flughafens. "Das sehen wir Herrn Mehdorn nach, der jetzt genau sieben Stunden im Amt ist, dass er das noch nicht ganz übersehen kann", versucht Platzeck zu korrigieren. Zu spät. Mehdorn ist seither nicht müde geworden, für den Erhalt von Tegel zu werben. Zuletzt kam er, auch das ganz unverhofft, mit dem Plan um die Ecke, den neuen Großflughafen doch Stück für Stück zu eröffnen.

Wie das gehen soll, weiß keiner, schließlich funktioniert der Brandschutz nach wie vor nicht. Wird schon, mal sehen, gibt Mehdorn zurück. Er hat einen Haufen Experten um sich geschart, hat ein Beschleunigungsprogramm aufgelegt, die Unternehmensberatung Roland Berger eingekauft, drei der gefeuerten Architekten aus dem Büro Gerkan, Marg und Partner zurückgeholt. Beschleunigt hat das zwar noch nichts auf der Baustelle, sagen Leute, die dort arbeiten. Aber schlimmer als bisher könne es auch mit Mehdorn nicht werden.

Der Name klingt wie eine Drohung

Mehdorn - der Name klingt wie eine Drohung. Das liegt vor allem daran, dass der Mann, der in Berlin aufwuchs, von 1999 bis 2009 der Chef der Deutschen Bahn war. Im Chefbüro des Glastowers am Potsdamer Platz hatte es Mehdorn zum meistgehassten Manager neben dem damaligen Deutsche-Bank-Boss Josef Ackermann gebracht. Es hat auch damit zu tun, dass er es mit 70 zu früh findet, sich als Rentner seinem Weinberg in Südfrankreich zu widmen und er sich darin gefällt, als Retter in der Not aufzutreten Vor allem aber liegt es daran, dass sich Mehdorn vor nichts und niemandem fürchtet.

Und jetzt will es die Ironie des Jahrhunderts, dass ausgerechnet Politiker wie Berlins Regierender Klaus Wowereit, die damals heilfroh waren, den schrecklichen Mehdorn als Bahnchef los zu sein, ihn wieder zurückholen, um sie aus der Flughafen-Katastrophe zu retten.

Wieder mal lässt sich Mehdorn auf ein Himmelfahrtskommando ein, das sich andere nicht zugetraut haben. "Mehdorn ist die Idealbesetzung", sagt einer, der ihn gut kennt. Der könne Probleme lösen. Er eigne sich aber auch als Prügelknabe für die Politiker, wenn die mal wieder eigene Fehler auf andere abschieben wollen. Vor allem aber wissen sie: "Der hält Kritik aus und macht einfach weiter." Praktisch.

Ein glühender Europäer

Das erste Managerleben des Hartmut Mehdorn begann in der Flugzeugbauindustrie. Das war die Traumbranche des studierten Maschinenbauers. Mit 24 fing er beim Bremer Flugzeugbauer VFW an und machte eine steile Karriere. Das europäische Gemeinschaftsflugzeug Airbus, das lange Zeit einziger Konkurrent des übermächtigen US-Anbieters Boeing war, ist zum beträchtlichen Teil das Werk dieses Besessenen, der mit einer Französin verheiratet ist und ein glühender Europäer ist. Er glaubte an den Airbus, der nur mit massiven Subventionen über die Runden kam. Er setzte gegen alle Widerstände durch, dass auch ganze Airbusse in Hamburg gebaut würden. Er wollte dieses Projekt nicht allein den französischen Partnern überlassen. Noch heute strahlt Mehdorn, wenn er erzählt, wie er den Franzosen dieses Zugeständnisse abtrotzte.

Der Ehrgeizige wollte mehr. Er wollte Chef der Dasa werden, jener Firma, unter deren Dach der Daimler-Konzern Ende der achtziger Jahren die gesamte deutsche Flugzeugindustrie gepackt hatte. Als deren Chef Jürgen Schrempp 1995 zum Konzernchef in Stuttgart aufstieg, wollte Mehdorn dessen Stuhl bei der Dasa. Er wollte auch mal Chef sein - und scheiterte. Mehdorn hatte einen Meister gefunden und den Fehler gemacht sich mit Schrempp anzulegen, der ein ähnlich Dickkopf ist wie er selbst. Das war's. Ein anderer wurde Dasa-Chef. Mehdorn ging beleidigt.

Das zweite Leben

Das zweite Leben begann, Mehdorn heuerte als Chef bei der Heidelberger Druckmaschinen AG an. Ein ganz anderes Geschäft. Wieder ging er mit Begeisterung ans Werk. "Nach 48 Stunden in Heidelberg vermittelte er den Eindruck, er hätte nie etwa anderes gemacht als Druckmaschinen zu bauen", berichtet ein Vertrauter. Mehdorn brannte vor Ehrgeiz. Er wollte seinen Ex-Kollegen zeigen, welchen Könner sie haben gehen lassen. Er weckte die verschlafenen Heidelberger auf und brachte die Firma an die Börse. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder hörte von der Tüchtigkeit des Berliners und holte ihn 1999 zur Bahn.

Das dritte Leben des Managers Mehdorns endete im März 2009. Die Bahn hatte zur Bilanz-Pressekonferenz geladen, nach fast zehn Jahren Mehdorn ist sie längst zum internationalen Konzern geworden. Mehdorn spricht sein Flugzeugbauer-Englisch. Etwas hart und trocken, aber er weiß sich auszudrücken. "Staying on track - despite the crisis" steht auf den Unterlagen: auf dem Gleis bleiben trotz Krise. Am Ende ist er selbst nicht mehr auf dem Gleis. Er wolle, sagt er beiläufig zum Schluss der Pressekonferenz, noch "einige Anmerkungen" loswerden: Eine Kampagne sei gelaufen gegen den Bahnvorstand. Jetzt mache er nicht mehr mit.

Sein viertes Leben

Eine Affäre um bespitzelte Bahnmitarbeiter hatte die Ära des Bahnchefs jäh beendet. Der Rückhalt, den er bei Schröder und später bei Angela Merkel hatte, war weg. Hunderte Debatten hatte Mehdorn zuvor ausgestanden, mal ging es um den katastrophalen Zustand des Schienennetzes, mal um fehlerhafte Zugachsen. Mal sorgten Boni für Aufsehen, mal ein in den Vorstand gehievter Gewerkschaftsboss. Doch als Mehdorn in den Wirren der Finanzkrise den lange geplanten Börsengang der Bahn absagen musste, hatte er in der Politik keine Freunde mehr.

Mehdorn startete sein viertes Leben, nachdem ihm ein paar Monate als Berater in Frankfurt nicht auslasteten. Er wurde Chef der leidenden Fluggesellschaft Air Berlin. "Ich konnte nicht nein sagen", so Mehdorn beim Einzug ins Air Berlin Chefbüro. Sein Freund, der Firmengründer Joachim Hunold, hatte ihn um Hilfe geben. Kneifen war unmöglich, wo er doch wieder in seinem Lieblingsgeschäft war, dem mit der Luftfahrt. Mehdorns Erfolg war mäßig. Er konnte nicht viel ausrichten, schaffte es aber, einen Großaktionär aus dem Nahen Osten ins Haus zu holen, Air Berlin war seine größten Sorgen los. Mehdorn ging Anfang dieses Jahres nur ungern.

Dauerquerkopf Mehdorn

Wie man sich Feinde macht, das hatte Mehdorn ausgerechnet an einem Berliner Flughafen sehr schön demonstriert: Tempelhof. Berlin im Februar 2008. Diskussionsabend der CDU Steglitz-Zehlendorf. Auch Mehdorn ist gekommen. Er wolle sich nicht nachsagen lassen, er habe tatenlos am Zaun gestanden und der Schließung von Tempelhof zugesehen, sagt er. Die ist für den Herbst 2008 geplant und ein Riesenpolitikum. Bürgerinitiativen machen gegen das Ende des mitten in der Stadt liegenden Flughafens mobil. Und was sagt der Bahnchef? Die Bahn werde den Flughafen gerne betreiben. "Wenn es sonst niemand macht, stehen wir in der Bütt." Die Kritiker siegten.

Wieder so eine Ironie in der Geschichte des flugzeugverrückten Mehdorn. Tempelhof soll schließen, weil der neue Hauptstadtflughafens in Sichtweite ist - den er, Mehdorn, nun fertigbauen soll. In dieser Serie ist es fast konsequent, dass Dauerquerkopf Mehdorn heute für den Erhalt des Hauptstadtflughafen Tegels eintritt.

"Rambo-Methoden"

Der Kampf um Tempelhof war ein stilles Duell zwischen Mehdorn und Wowereit. Der Regierende Bürgermeister will Tempelhof dichtmachen. Mehdorn wirbt unverdrossen bei einem Spendendinner für die Tempelhof-Initiative, die von er CDU unterstützt wird. Mehdorn juckt das nicht, er hat Wowereit bis dahin schon oft genug geärgert. Etwa, als er die Bahnzentrale mal eben von Berlin wegverlegen will - eines der letzten großen Konzernquartiere in der Hauptstadt. Wowereit wirft Mehdorn "Rambo-Methoden" vor, der Bahnchef wiederum beschwert sich, der Berliner Senat bekämpfe die Bahn "mit allen Mitteln, die er hat". Die Pfeile fliegen hin und her. Wegen der S-Bahn, wegen des Dachs am neuen Berliner Hauptbahnhof, und vor allem bei Mehdorns größtem Projekt: dem Börsengang, der schließlich scheitert.

Heute zeigen die einstigen Gegner schönstes Einvernehmen. Von Problemen wollen Mehdorn und Wowereit heute nichts mehr wissen. War ja auch in einem anderen Leben.

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