Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Weg mit der Pendlerpauschale

Markus Söder will die Pauschale erhöhen. Das wäre klimapolitisch geradezu absurd. Besser wäre es, sie ganz zu streichen.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Die gute Nachricht zuerst: Markus Söder weiß neuerdings, wie viel ein Liter Benzin kostet. Noch im Juni hatte er die Frage erst beantworten können, nachdem ihm ein Mitarbeiter schnell eine SMS aufs Handy geschickt hatte. Nun kann man zu seiner Verteidigung sagen, dass ein Ministerpräsident mit Dienstwagen, den er nie selber tankt, den aktuellen Spritpreis nicht bis auf den letzten Cent kennen muss. Für einen, der kürzlich noch Bundeskanzler werden wollte, war die Ahnungslosigkeit dennoch blamabel.

Wenn ausgerechnet Söder jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, den Anwalt der Autofahrer mimt und als Ausgleich für die hohen Benzinkosten eine Anhebung der steuerlichen Pendlerpauschale fordert, dann hat das also sicher nichts mit echtem Interesse am Thema zu tun. Es ist vielmehr Ausdruck jener verzweifelten Hilflosigkeit, die selbst die abgebrühtesten Unionspolitiker beim Blick auf die verheerenden Umfragewerte erfasst hat.

Nun ist ein wenig Populismus im Wahlkampf nicht verboten. Hier jedoch wird er gefährlich, denn keine Aufgabe wird für die nächste Bundesregierung dringlicher sein als der Kampf gegen den Klimawandel. Dazu gehört, dass man ehrlich gegenüber den Menschen ist und deutlich sagt, dass Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben sein wird - auch und erst recht nicht im Straßenverkehr: Entweder ein Autofahrer ändert sein Verhalten, indem er etwa einen Elektro-Pkw kauft oder auf Bus und Bahn umsteigt, oder er zahlt die bisher verborgenen Umweltkosten seines Tuns künftig selber.

Die Union stellt sich dümmer als sie ist

Die dahinsiechende große Koalition, an der ja bekanntermaßen auch CDU und CSU beteiligt sind, hat dies längst eingestanden und den Ausstoß von CO₂ mit einer Strafsteuer belegt. Die Abgabe, deren Ziel es auch ist, die Nutzung von Autos mit Verbrennungsmotor unattraktiver zu machen, hat den Liter Benzin allein in diesem Jahr um acht Cent verteuert. Weitere Erhöhungen werden folgen, manche Experten sagen, der Spritpreis müsse um 70 Cent je Liter steigen, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht. Bekämen die Fahrer von Verbrennern ihre Mehrkosten plötzlich an anderer Stelle wieder, nämlich über eine höhere Pendlerpauschale, würde dies den gerade erst geschaffenen Anreizmechanismus ad absurdum führen. Das wäre in etwa so sinnvoll, als würde man zuerst im Wohnzimmer eines Bürgers Feuer legen, um ihm anschließend den Wassereimer zu liefern, mit dem er löschen kann.

Streng genommen könnte man sogar noch weitergehen und sagen: Die Pendlerpauschale gehört nicht erhöht - sondern abgeschafft. Schließlich wird in Deutschland niemand dazu gezwungen, jeden Tag 40 Kilometer mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Im Gegenteil: Jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo er oder sie wohnen möchte. Die einen ziehen in die Stadt, weil das kulturelle Angebote größer oder die Schulen besser sind. Die anderen ziehen aufs Land, weil sie die Natur lieben und die Kinder draußen spielen können. So oder so: Meist sind die Beweggründe privater Art. Warum aber soll der Staat den Landbewohner, der mit seiner Pendelei obendrein Unmengen CO₂ in die Luft bläst, steuerlich subventionieren, die Arbeitskollegin, die in der Stadt wohnt und deutlich mehr Miete zahlt, aber nicht. Es gibt ja auch keine Krawattenpauschale für Menschen, die immer noch mit Schlips im Büro erscheinen müssen, zu Hause aber nachweislich nur Jogginganzug tragen.

Die Wahlkampfthemen müssten ganz andere sein

Nun ist natürlich richtig, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger eine Wohnung oder gar ein Haus in der Stadt nicht leisten können. Sie alle darf der Staat nicht einfach allein lassen, da hat Söder, Ministerpräsident eines Flächenlands, völlig recht. Die Lösung kann aber doch nicht sein, mit vielen Milliarden Euro einen Steuerbonus zu erhalten und sogar auszubauen, der eine Technologie zementiert, die derselbe Staat an anderer Stelle mit noch mehr Milliarden durch eine umweltfreundlichere ersetzen will. Ginge es in der aktuellen Debatte wirklich um das Klima, dann müsste die Union statt über die Pendlerpauschale über ganz andere Dinge sprechen: über eine rapide Beschleunigung des Wohnungsbaus, die Förderung von grünem Wasserstoff, den Ausbau von öffentlichem Nahverkehr und E-Ladenetzen, weitere Kaufanreize für Elektroautos und, ja, vielleicht auch über Änderungen am Arbeitnehmerpauschbetrag.

All das wissen Markus Söder und sein Parteifreund und Verkehrsminister Andreas Scheuer natürlich genau. Wenn sie mit der Pendlerpauschale dennoch den ältesten Wahlkampfschlager auspacken, den CDU und CSU in der Mottenkiste haben, dann beweisen sie damit nur eines: dass in der Union schlicht Panik herrscht.

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