300 000 Liter Diesel braucht Mathias Merz jedes Jahr, um seine Busflotte zu betreiben. 20 Fahrzeuge stehen bei ihm im Depot, vor allem Linienbusse, nur wenige Reisebusse. Seine Heimat ist der Schwarzwald-Baar-Kreis, ganz im Süden von Baden-Württemberg, wo der Familienbetrieb einige Strecken schon seit über 50 Jahren fährt und seine Mitarbeiter jeden Tag Kinder in die Schule bringen. Doch er weiß nicht, wie lange er das noch bezahlen kann.
Binnen weniger Wochen sind die Preise an den Zapfsäulen explodiert. Am Dienstag kostete der Liter Diesel 2,17 Euro. Für jeden Kilometer, die einer seiner Busse gerade unterwegs ist, erzählt Merz, zahle er 25 bis 35 Cent obendrauf, aus eigener Tasche. Aufs ganze Jahr gerechnet sind das Mehrkosten von 150 000 Euro, die ihm keiner ersetzt. "Seit ich denken kann", sagt er, "gab es so eine Situation noch nie."
"Ich muss alle zwei Wochen Diesel bestellen", erzählt er. "Doch bald ist mein Konto ausgeschöpft. Und wenn ich keinen Diesel bestellen kann, dann fahren die Busse noch ein paar Tage, und dann ist der Tank leer." Und wer bringt dann die Kinder in die Schule?
Klar, er und seine Kollegen könnten die Ticketpreise erhöhen. Doch das will die Politik nicht. Er könnte die Fahrten reduzieren. Dann laufen die Kunden davon. Er könnte, trotz Minus auf dem Konto, weiter Diesel bestellen. Das wäre strafbar. Und nun? "Wenn keine Hilfe kommt, geht es ganz schnell zu Ende", sagt Merz. "Dann fährt kein Bus mehr vom Hof."
Die Branche schlägt Alarm - so laut, dass im Verkehrsministerium in Baden-Württemberg vergangene Woche ein Krisengipfel einberufen wurde. "Die Lage ist sehr ernst", sagt Verkehrsminister Winfried Hermann der SZ. Ohne schnelle Hilfe drohten zahlreiche Insolvenzen, denn die Unternehmen stecken in der Klemme.
Der öffentliche Nahverkehr ist ein Markt, der stark reguliert ist. Viele Busunternehmen sind in Verkehrsverbünde eingegliedert oder werden von den Kommunen beauftragt. Sie können die Preise nicht einfach anheben, wenn der Diesel teurer wird. Und selbst wenn in den Verträgen eine Kompensation vereinbart ist, fließt das Geld oft erst im Folgejahr. Auf Teuerungen, wie sie ganz Europa gerade erlebt, sind die Klauseln nicht ausgelegt.
Im ländlichen Raum könnte der Nahverkehr zusammenbrechen
Die Unternehmen ächzen, heißt es seitens der Branchenverbände. Der Staat müsse einspringen, sonst bliebe vielen Betrieben nur eine Option: Verträge kündigen oder, wie es im Fachjargon heißt, sich von der Beförderungspflicht entbinden lassen. Die Folgen wären ausgefallene Buslinien, reduzierte Taktung, Dörfer, die nicht mehr angefahren werden, und Kinder, die nicht mehr zur Schule kommen.
Das soll verhindert werden. Das Land Baden-Württemberg will 180 Millionen Euro an Fördergeldern, die dieses Jahr eingeplant sind, vorzeitig auszahlen. Bayern macht 55 Millionen Euro locker, Sachsen-Anhalt 16,8 Millionen. Das hilft, um den akuten Engpass zu überbrücken. Es ersetzt aber die Kosten nicht.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann hat daher einen Rettungsschirm bis Ostern zugesagt. Allerdings sind viele Details noch ungeklärt, angefangen bei der Summe. "Wir können den Unternehmen nicht alle Risiken abnehmen", sagt er. Der Grünen-Politiker fordert mehr Geld vom Bund - und steht damit nicht allein.
Am Freitag wollen sich die Verkehrsminister der Länder zu einer Sondertagung zusammenschalten. Es soll unter anderem um eine Aufstockung des ÖPNV-Rettungsschirms gehen, den Bund und Länder nach Ausbruch der Corona-Pandemie gemeinsam finanzieren. Mindestens 500 Millionen Euro sind im Gespräch. "Verglichen mit den Kosten für Lindners Tankrabatt ist das ein Schnäppchen", sagt Hermann der SZ, dennoch erwartet er ein "Gerangel" ums Geld.
Besonders teilt er gegen FDP-Verkehrsminister Volker Wissing aus, der mehr an die Autofahrer als an Busse und Bahnen denke. "Es ist die Chance, die Mobilitätswende voranzutreiben", betont Hermann. Jetzt die Ticketpreise zu erhöhen oder, wie es die FDP fordert, milliardenteure Tankgutscheine zu verteilen, wäre eine "Rolle rückwärts". Was es bräuchte: ein besseres ÖPNV-Angebot, günstige Tarife, mehr Fahrgäste - und damit mehr Einnahmen.
Die Bundesländer gehen in der aktuellen Situation sehr unterschiedlich vor. Einige preschen voran, während anderswo, unter anderem in Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen, Hilfen noch geprüft würden, wie es auf Nachfrage heißt. Hamburg kalkuliert bei der U-Bahn und den Stadtbussen mit Mehrkosten von 300 000 Euro für jeden Cent, um den der Dieselpreis steigt. In Berlin verhandeln die Ampelkoalitionäre schon länger erbittert über ein Entlastungspaket für Verbraucher. "Darin müssen auch Hilfen für die Verkehrsunternehmen enthalten sein", fordert jetzt die stellvertretende Ministerpräsidentin des Saarlands, Anke Rehlinger (SPD).
Auch die Preise für Urlaubsreisen könnten steigen
Teurer könnten auch Urlaubs- und andere Fernreisen werden. Bei Flixbus beobachtet man genau, was an den Zapfsäulen passiert. Die Belastungen seien "enorm", den Kunden biete man "markgerechte" Preise an, teilt das Unternehmen mit. Jetzt müsse, wie bei der Bahn, die Mehrwertsteuer für Reisen mit Fernbussen gesenkt werden.
Kommt jetzt der Dieselaufschlag beim Ticketkauf? Möglich, sagt Witgar Weber, Geschäftsführer beim Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen. Mit der Pandemie gingen die Sorgen los. "Die Reisen waren in den letzten Jahren ein Geschäft, das flachlag", sagt Weber. Nun folgt das Dieseldrama, wenngleich der Preis in der vergangenen Woche wieder leicht rückläufig war.
Wie sich schlaflose Nächte anfühlen, weiß jetzt auch Frank Wiest, Busunternehmer und Chef von 250 Mitarbeitern. Ein Betrieb, der zu über 90 Prozent vom ÖPNV lebt. Eigentlich hatte er die Hoffnung, durch die Verkehrswende und die angekündigten Milliardeninvestitionen könne er expandieren, vielleicht neue Strecken erschließen. Jetzt sitzt er manchmal frühmorgens am Schreibtisch und erstellt Notfallpläne: "Wir haben das noch nicht publik gemacht", erzählt er. Dennoch, die Pläne existieren. Am Samstag könnte der Bus beispielsweise nur noch jede zweite Stunde kommen, abends vielleicht gar nicht mehr. In Randlagen, wie er das nennt, stellt er notfalls auf ein Rufbus-System um. Es ist ein Dilemma. "Ich will ja keine Fahrgäste vergraulen", sagt Wiest. Doch um seine Kosten zu decken, müsste er die Preise um mehr als zehn Prozent anheben. Wer zahlt das?
Beim Landkreis hat er längst angeklopft, mit überschaubarem Erfolg. Die Landkreise und Gemeinden, so berichten es mehrere Beteiligte der SZ, würden die Unternehmen zappeln lassen und erst mal abwarten, wie viel Geld die Landesregierung lockermacht. Keiner will die Schatulle zuerst und zu weit öffnen. "Das läuft wie beim Mikado", sagt Wiest. "Wer sich zuerst bewegt, hat verloren."
Doch die Uhr tickt. Übers Jahr braucht Frank Wiest etwa 1,8 Millionen Liter Diesel. "Da geht's nicht um einen Satz Schrauben, der plötzlich teurer ist", sagt er. "Wir spüren gerade jeden Cent."