Süddeutsche Zeitung

Bengt Holmström:Nobelpreisträger Holmström: "Man sollte die ganze EU überdenken"

Der Ökonom hält die Europäische Union für missglückt. Bengt Holmström erforscht, wie Verträge gut funktionieren - und hat selbst einmal viel Geld versenkt.

Von Alexander Hagelüken und Catherine Hoffmann

Könnte man darauf vertrauen, dass Manager immer nur das Beste für ihre Firma im Sinn haben, hätte Bengt Holmström keinen Nobelpreis bekommen. So aber wurde er für seine Forschung zu Verträgen und der Entlohnung von Managern ausgezeichnet. Und nun klingelt das Telefon während seiner Europa-Reise ohne Unterlass. "Ich hoffe, dass die Aufregung bald nachlässt. Das halte ich nicht lange durch", sagt der Ökonom. In den USA, wo er lebt und lehrt, werde nicht so groß Notiz genommen von seiner Auszeichnung. "Die Lokalzeitung schrieb, ich hätte den Friedenspreis bekommen", erzählt der gebürtige Finne. Also freut er sich über zwei Nobelpreise, einen echten und einen imaginierten.

Das Preisgeld könne er gut brauchen, scherzt Holmström, der dreizehn Jahre im Aufsichtsrat von Nokia saß. "Ich habe eine Menge Geld mit Nokia-Aktien verloren und musste 460 000 Dollar abschreiben." Zu seinem Ärger hatte Apple das Smartphone erfunden, und Nokia geriet in große Schwierigkeiten. "Sehr frustrierend", nennt er diese Erfahrung. "Wir werden sehen, wie lange sich Apple halten kann."

Wie also sollen Verträge gestaltet sein, damit sie ihren Zweck erfüllen? Wer Holmström darauf anspricht, bekommt interessanterweise nichts über populäre Aufreger wie irre Banker-Boni zu hören. Sondern eine Abrechnung mit der Europäischen Union: "Wenn Sie einen schlechten Vertrag sehen wollen, schauen Sie sich die EU an." Europa habe keinen Plan dafür gehabt, dass ein Mitglied wie Großbritannien den Club verlasse. "Das war sehr naiv", sagt der Nobelpreisökonom.

Holmström arbeitete nur kurz in einem Unternehmen, bevor er in den Siebzigerjahren an eine US-Hochschule ging und später Professor an der Eliteuni MIT wurde. Trotzdem habe ihn die Zeit in der Wirtschaft geprägt. Er vergleicht die Europäische Union mit einem Unternehmen - und das fällt wenig schmeichelhaft aus. "Eine Firma steht immer im Wettbewerb, lernt daraus und verändert sich. Die EU steht nicht im Wettbewerb. Da kann ein Haufen idiotischer Dinge wachsen."

Brüssel interveniere zu viel in Fragen des alltäglichen Lebens. Ein Beispiel? Der in Schweden beliebte Lutschtabak Snus, der im Rest der EU verboten ist. Die Regierung in Stockholm kämpft seit Langem für den freien Verkauf überall. Holmström beklagt generell zu viel Bürokratie. Diese habe er hautnah miterlebt als Mitglied des Europäischen Forschungsrats. "Die Bürokratie war so groß, dass ich gegangen bin. Ich konnte es nicht mehr ertragen." Hotelzimmer etwa sollten nur 100 Euro kosten, aber dann war manchmal einfach kein Zimmer für diesen Preis zu finden.

Nach dem Brexit eine weitere Vertiefung Europas? Holmström schüttelt den Kopf und äußert Radikales: "Man sollte die ganze EU überdenken und neu starten!" Er weiß auch, was er will: "Vergesst den Ehrgeiz, alles zu regulieren. Konzentriert Euch auf das Wesentliche." Dazu zählt er eine gemeinsame Verteidigungspolitik in einem Zeitalter neuer Bedrohungen etwa durch Russland. Die Europäer hätten sich in der Verteidigung zu lange auf die Vereinigten Staaten verlassen. "Ich warte schon lange darauf, dass die USA nicht mehr für andere Regionen wie Europa bezahlen wollen."

Um bei den wesentlichen Themen etwas zu erreichen, müsse Europa seine Entscheidungsprozesse beschleunigen. "Es braucht noch mehr Entscheidungen per Mehrheit. Die Vetorechte einzelner Staaten müssen beseitigt werden." Nach einer starken Bewegung zu Mehrheitsentscheidungen bewegt sich Europa gerade wieder zurück, etwa in der Handelspolitik. Auf Druck von Mitgliedsstaaten wie Deutschland ließ die Brüsseler Kommission nationale Parlamente über das Ceta-Abkommen mit Kanada entscheiden. So hätte die belgische Region Wallonie fast den Vertrag für 500 Millionen Europäer gekippt. "Wenn jeder ein Veto hat, wird das Ganze sinnlos", findet Holmström. Die EU sei zu rasch gewachsen.

Von vorneherein habe ihr ein klares Ziel gefehlt. "Es hieß immer, das Ziel ist nie wieder Krieg. Vielleicht bin ich zu jung, aber ein neuer Krieg schien mir immer unwahrscheinlich", sagt der 67-Jährige, der auch die Konstruktion des Euro kritisiert. "Unternehmen verhandeln immer die wichtigsten Fragen zuerst, die einen Deal kippen können. Europa begann mit den kleinen Fragen und wollte die großen später klären. So war der Euro nicht auf die Finanzkrise vorbereitet."

Damit waren die Europäer allerdings nicht allein. Völlig unvorbereitet trafen die Lehman-Pleite und ihre Folgen auch die USA. Haben Sie "The Big Short" gesehen, Herr Holmström, diesen rauschhaften Kinofilm über schmierige Kreditagenten und gierige Investmentbanker? "Selbstverständlich, Sie gehen aus dem Kino und denken: Was für Gauner!", erzählt Holmström. "Aber der Eindruck ist völlig falsch. Es ging nicht um Gier und falsche Anreizsysteme; Boni gibt es bis heute."

Die Finanzwelt war nicht korrumpiert? Aber nein, es war einfach so, dass die Asiaten jede Menge Ersparnisse angehäuft hatten und nach sicheren Anlagemöglichkeiten im Ausland suchten - den heimischen Banken konnte man ja nicht trauen. Also kauften sie massenhaft amerikanische Staatsanleihen, und als die knapp wurden, schufen die Banken eben neue Parkplätze für das asiatische Geld. Zu diesem Zweck erfanden sie Finanzprodukte auf Grundlage von Hypotheken, der Markt schien sicher zu sein, eine Blase sahen sie nicht. AAA, Triple A, was sollte da schiefgehen?

Kriminelle Energie mag der Nobelpreisträger darin nicht erkennen. "Nun gut, es gibt immer Kriminelle, das ist Teil der menschlichen Natur", sagt Holmström. "Wenn einer Chef der Deutschen Bank wird, denkt er ja nicht: Was für eine großartige Gelegenheit, Geld zu missbrauchen. Er fragt sich: Wie kann ich einen guten Job machen?"

Milliardenbetrüger Madoff war "wahrscheinlich ein sehr naiver Mann"

Warum dann plötzlich die Blase platzte und die Welt aus den Fugen geriet, bleibt bei Holmström nebulös. Die Welt habe sich plötzlich auf eine Art und Weise geändert, die niemand erwartet habe. "Das Problem ist nur: In dem Moment, wo etwas schiefläuft, versuchen die Menschen es gerade zu rücken, heimlich, ohne allen davon zu erzählen", sagt Holmström. "Dann gerät alles außer Kontrolle." So wie beim Milliardenbetrüger Bernard Madoff. Der habe auch nicht geplant, ein Pyramiden-Spiel aufzubauen, er habe gedacht, seine Geschäfte laufen großartig. "Ich will nicht sagen, er war ein guter Mann, wahrscheinlich war er ein sehr naiver Mann", sagt Holmström. Dann habe er die Kontrolle über alles verloren - genau so wie die Investmentbanker.

Holmström, so scheint es, glaubt an das Gute im Menschen - auch im designierten US-Präsidenten Donald Trump. "Er ist ein greller Typ, aber er will ein erfolgreicher Präsident werden." Dazu müsse er seine Wähler, die verdrossenen US-Bürger zufriedenstellen. Die Frage ist nur: wie? Holmström wird mulmig bei dem Gedanken, dass Trump keine erfahrenen Leute um sich hat und dass er scharf darauf sei, seine Entscheidungen selbst zu treffen. "Ich hoffe das Beste", sagt der Nobelpreisträger und schiebt nach: "Das einzige, was wir mit Sicherheit wissen: Es gibt jede Menge frustrierte Leute, auch in Europa."

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Quelle:
SZ vom 19.11.2016
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