Im Sommer 1969 setzte der Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch einen Fuß auf den Mond. Das wurde in den vergangenen Monaten kräftig gefeiert. Viel Neues war in den vergangenen 50 Jahren allerdings nicht mehr zu berichten. Wozu also feiern und was genau?
Natürlich hat sich in der Raumfahrt Erstaunliches getan. Allein schon die mehr als 2000 Satelliten im All zeugen davon. Sie sind die Basis für eine neue Infrastruktur, die das Leben und auch den Blick auf die Erde eindrücklich verändert hat. Die Nutzung von Navigationsdaten oder Bildern der Erdbeobachtung ist so selbstverständlich geworden wie Cloud-Dienste. Die Bundesregierung bezeichnet Raumfahrttechnologie als "Schlüsselwerkzeug der modernen Industrie- und Informationsgesellschaft". Und die Europäische Union rechnet vor, dass sie mittlerweile zehn Prozent der Wirtschaftsleistung aller Mitgliedstaaten allein den Navigationsdaten der Satelliten verdankt.
Kein Zweifel: Die Raumfahrt ist ein mächtiger Wirtschaftszweig geworden, ein Markt mit einem Volumen von mehreren Hundert Milliarden Dollar. Mitunter werden die Zukunftsaussichten so glänzend geschildert, dass man sich fragt, wer dann überhaupt noch Geschäfte auf der Erde machen will.
Doch was ist eigentlich mit der bemannten Raumfahrt? Sie wirkt seit der Tour zum Mond und erst recht nach dem Ende des Space-Shuttle-Programms wie auserzählt: Den Mond hatte man gesehen, der Mars ist noch zu weit weg. In ihrer Weltraumstrategie von 2010, die die Grundlage für die deutschen Aktivitäten im All ist, schreibt die Bundesregierung: "Die westliche Welt muss die Fähigkeiten zur bemannten Raumfahrt behalten, solange robotische Systeme bei Aufgaben im All die menschliche Präsenz nicht vollständig ersetzen können."
Das klingt, als sei die Internationale Raumstation ISS in 400 Kilometern Höhe nur noch eine Art lebenserhaltende Maßnahme für die bemannte Raumfahrt. Was natürlich ein bisschen traurig wäre, loben doch Weltraumexperten die ISS als komplexeste Maschine, die die Menschheit je gebaut hat. Allein - ein größerer Teil dieser Menschheit nimmt das 100-Milliarden-Dollar-Gerät höchstens mal dann wahr, wenn auf ihr die Toiletten versagen oder ein Astronaut zur Gitarre greift. Viele wissen nicht, was da oben passiert und welchem Zweck die ISS dient. Soll sie ein Außenposten im All sein - oder ist sie ein vorbereitender Akt zu etwas Größerem.
Dass die bemannte Raumfahrt im Vergleich zur unbemannten so ins Hintertreffen geraten ist, scheint unter finanziellen Aspekten vernünftig zu sein. Aber ist es auch gerechtfertigt? Ist es nicht an der Zeit, die bemannte Raumfahrt auf ein neues Level zu heben - mit klarem Ziel und einigem Anspruch?
Misslich ist: Nie ist die Frage geklärt worden, was der Mensch im All eigentlich erreichen will - außer: sich mal umzusehen. Wer zurückblickt, um zu erfahren, ob man in der Frühphase der Raumfahrt ein klareres Bild von allem hatte, wird feststellen, dass selbst US-Präsident John F. Kennedy erstaunlich vage blieb, als er 1962 den Amerikanern zurief: "Warum wählen wir ihn als unser Ziel? Sie könnten genauso gut fragen, warum den höchsten Berg besteigen? Warum vor 35 Jahren den Atlantik überfliegen? ... Wir haben uns entschlossen, noch in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen - nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist."
Bemannte Raumfahrt, nur weil es schwer ist? Das war dann doch einigen Amerikanern zu wenig. Sie sahen das ganz nüchtern: "Es wird 35 Milliarden Dollar kosten, zwei Männer auf den Mond zu bringen. Es würde zehn Milliarden Dollar kosten, jede arme Person in diesem Land in diesem Jahr über die Armutsgrenze zu heben," geißelte etwa der Bürgerrechtler Whitney Young die Raumfahrtpläne. Und die Gegenseite argumentierte auch nicht anders als heute: Raketenforscher Wernher von Braun notierte entnervt: Die "ewigen Nörgler und Kritiker" sollten doch bitte zur Kenntnis nehmen, dass "auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus die Weltraumfahrt nicht eine so hirnverbrannte und verschwenderische Angelegenheit ist, wie häufig behauptet wird."
Der Punkt ist: Kennedy plagten selbst Zweifel. "Glauben Sie, dass der Mond, die bemannte Landung auf dem Mond eine gute Idee ist?" fragte er den damaligen Chef der Nasa, James Webb, 1963. "Könnten Sie nicht das Gleiche mit Instrumenten erreichen und viel billiger?" Kennedy brauchte dafür in heutigen Maßstäben insgesamt mehr als hundert Milliarden Dollar vom Kongress und befürchtete, dass ohne gute Argumente am Ende alles nach einem Stunt aussehen könnte. Zumal die Sowjets da schon nicht mehr richtig mitzogen: "Ich meine, wenn die Russen sich noch mal richtig anstrengten, würde es das Interesse wieder stimulieren," sagte Kennedy. "Aber derzeit hat der Weltraum viel von seinem Glamour verloren." Webb aber gab die Antwort, die bis heute gilt: Investitionen in Technik und Wissenschaft würden sich als entscheidende Elemente erweisen, das Land voranzubringen.
Kalifornier meinen solche Sätze ernst: "Wir sollten einen zweiten Planeten als Back-up haben."
Es entfaltete dann auch enormen Einfluss auf die Wirtschaft: Das Apollo-Programm beschäftigte zeitweise 400 000 Menschen sowie etwa 20 000 Firmen und Universitäten. Computertechnik, Leichtbau, der Umgang mit Strahlung und Schwerelosigkeit - es gab viel zu forschen und zu lernen. Die USA bereiteten mit dem Geld das Fundament, auf dem dann die Hightech-Branche aufsetzen konnte.
So ist es bis heute: Wie ein Hologramm durchdringt die Raumfahrt - ähnlich wie das Militär - alle Bereiche der Hochtechnologie, im Falle der bemannten Raumfahrt auch noch die der Medizin und Psychologie. Die bemannte Raumfahrt potenziert dabei den Aufwand, weil sie für den Menschen in absolut tödlicher Umgebung eine Mini-Welt aufbauen muss - mit allem, was der Mensch zum Leben benötigt. Aber sie potenziert auch den Erkenntnisgewinn, weil Menschen ihre Umwelt anders wahrnehmen als Roboter, flexibler reagieren und selbst Hand anlegen können.
Das gilt auch etwa für die Versuche auf der ISS, die die europäische Raumfahrtagentur ESA gerne mal als Ertrag bemannter Raumfahrt anführt, weil diese Versuche auch zur Lösung von Problemen auf der Erde beitragen könnten. Ein Beispiel: Im All entwickelt sich Osteoporose etwa 30 Mal schneller als auf der Erde. Das heißt, die Wirkung möglicher Therapien lässt sich an Bord der ISS im Zeitraffer testen. Oder: Tumore wachsen im Labor der ISS dreidimensional und damit wie im menschlichen Körper - anders etwa als in einer Petrischale auf der Erde.
Aus wirtschaftlicher Perspektive mögen derlei Erkenntnisse eher teurer Beifang sein, aber auch ein Nutzen in zweiter oder dritter Ableitung kann am Ende etwas bringen.
Hinzu kommt, und das ist ein weiteres Argument für die bemannte Raumfahrt: Sie ist ein Anziehungspunkt. Sie macht ein Land, sie macht Technologie und Wissenschaft für junge Wissenschaftler und Techniker aller Art attraktiv, weil Know-how - weit mehr als etwa beim nackten Satellitengeschäft - mit Abenteuer und Prestige verknüpft wird. Der "Stunt", von dem Kennedy etwas besorgt sprach, er hat seine eigene Gravitationskraft, sodass, um noch mal den früheren US-Präsidenten zu zitieren: "das Beste aus unseren Energien und Fähigkeiten" organisiert werden kann. Die Rekordzahl von 18 300 Personen, die sich zuletzt für maximal 14 Plätze in der Astronauten-Klasse bewarb, zeugt davon.
Auch ein Unternehmen wie Space-X von Elon Musk gibt es nur, weil er Menschen auf den Mars bringen will. Musk macht sich gar nicht erst die Mühe, wissenschaftliche Gründe für sein Vorhaben geltend zu machen: Er will derjenige sein, der die Menschen zu einer multiplanetaren Spezies macht. Space-X ist Stunt pur - und hat doch ein Beben in der Industrie ausgelöst. Denn um sein Vorhaben bezahlen zu können, hat Musk Raketen wiederverwendbar gemacht, indem die Antriebsmodule autonom wieder zur Erde zurückkehren.
Das ist nicht nur eine technische Meisterleistung, die Aussicht auf - vielleicht - günstigere Flüge ermuntert Unternehmen wie Politiker, neu über den Weltraum zu denken: US-Präsident Donald Trump richtete den Fokus der Nasa zuletzt wieder stärker auf die bemannte Raumfahrt aus, nachdem sein Vorgänger Barack Obama die Programme zurückgestutzt hatte. Die ESA plant ein Moon-Village, eine bemannte Station auf dem Mond, die sich als kluger nächster Schritt von der ISS weg hin zu den Tiefen des Alls erweisen könnte. Selbst der ehrwürdige Bundesverband der Deutschen Industrie veranstaltete kürzlich seinen ersten Raumfahrtkongress, weil er nun auch viele Chancen wittert.
Fragt man Vertreter von Space-X nach dem Sinn bemannter Raumfahrt, dann gibt es Antworten, die vermutlich selbst einem Kennedy zu kühn gewesen wären: "Wir sollten einen zweiten Planeten als Back-up haben." Sie wissen in Kalifornien, dass sich solche Argumente für Deutsche bizarr anhören. Aber das stört dort keinen - in der Geschichte der Raumfahrt fand ständig irgendjemand etwas bizarr.
Doch für Deutschland kann das Verharren in biederer Haltung zum Problem werden. Wenn die Bundesrepublik in der ersten Liga der Raumfahrt mitspielen will, muss sie mutiger denken. Schon weil Länder wie China und Indien das ganz gewiss tun werden. 2017 standen für die Raumfahrt Budgets von etwa 75 Milliarden Dollar zur Verfügung. Deutschland und Europa stellten umgerechnet neun Milliarden Dollar zur Verfügung. Pro Kopf geben die Amerikaner 147 Dollar für die Raumfahrt aus, die Franzosen 21 und die Deutschen acht. Im Vergleich zu anderen Staaten wirkt Deutschland abgeschlagen.
Dabei wäre mehr Geld für die Raumfahrt gut angelegt. Bemannte Raumfahrt ist nie nur Neugier, sondern heißt längst: lernen, wie große Aufgaben in internationaler Zusammenarbeit gelöst werden können. Sie heißt auch: das scheinbar Unmögliche denken - ganz so, wie es der deutsche Raketenforscher Robert Schmucker gerne formuliert: "Ich weiß, was alles nicht geht. Aber dann kommt jemand, der nicht weiß, dass es nicht geht, macht es, und dann geht's."