Belastungsprobe für Europas Banken:Woran die deutschen Banken kranken

John Cryan

John Cryan, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank.

(Foto: dpa)

Der Stresstest für die größten Institute in Europa zeigt teils große Kapitallücken. Commerzbank und Deutsche Bank gehören zu den schlechtesten Teilnehmern.

Von Harald Freiberger, Ulrike Sauer und Meike Schreiber, München/Rom/Frankfurt

Europas Bankensystem steht auch acht Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise noch auf keinem sicheren Fundament. Der Stresstest, den die europäische Bankenbehörde (Eba) am späten Freitagabend veröffentlichte, offenbarte bei einigen Banken große Kapitallücken, besonders dramatisch ist die Lage bei der italienischen Monte dei Paschi. Für sie wurde kurz vor Veröffentlichung der Ergebnisse aber eine Rettungslösung gefunden.

Die Deutsche Bank und die Commerzbank brachte der Stresstest schwer unter Druck. Durchfallen konnte im Unterschied zu vorherigen Tests jedoch kein Institut, weil die Eba keinen Grenzwert für eine harte Kernkapitalquote festgelegt hatte, die erreicht werden musste.

Was wurde getestet?

Der Stresstest zeigt, wie sich die Kapitaldecke von Banken entwickeln würde - bei einer normalen sowie einer negativen Entwicklung der europäischen Wirtschaft in den kommenden drei Jahren. Das Augenmerk liegt vor allem auf dem sogenannten harten Stress-Szenario, bei dem die Wirtschaft ähnlich einbricht wie nach der Finanzkrise 2008. Die simulierten Folgen: Börsenkurse stürzen ab, der Euro verliert stark an Wert, Immobilienpreise brechen ein, und die Zinsen in den USA steigen.

Wie schnitt die Deutsche Bank ab?

Deutschlands größtes Institut schlug sich zwar schlechter als der Durchschnitt, jedoch besser als erwartet. Die Deutsche Bank kann zumindest vorübergehend aufatmen: Selbst bei extrem negativer Konjunkturentwicklung würde die Quote für das harte Kernkapital nicht unter ein existenzbedrohendes Niveau fallen. Die Quote, die Ende 2015 bei 11,1 Prozent lag, würde dabei bis Ende 2018 auf 7,8 Prozent fallen. Im Durchschnitt sank die Quote der 51 untersuchten Banken von 13,2 auf 9,4 Prozent.

Deutsche-Bank-Chef John Cryan zeigte sich dennoch erleichtert: "Wir sind 2016 mit einem besseren Ergebnis aus dem Test herausgekommen als 2014, obwohl der diesjährige Test anspruchsvoller war", erklärte er. "Der Stresstest zeigt, dass die Bank auch für härtere Zeiten gewappnet ist."

Was ist mit den anderen deutschen Banken?

Für die Deutsche Bank eine besondere Genugtuung: Beim Konkurrenten Commerzbank fiel die Quote von 13,1 auf 7,4 Prozent. Sie ist damit deutsches Schlusslicht. Bei der BayernLB beträgt die Quote 8,3 Prozent, bei der Deka-Bank 9,5 Prozent. Insgesamt nahmen neun deutsche Banken am Bilanz-Check teil. Am besten schnitt die NRW-Bank ab, die auch unter Stress noch 35,4 Prozent Kernkapital aufzuweisen hätte. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann äußerte sich positiv über das Abschneiden der deutschen Institute: "Der Stresstest zeigt, dass die deutschen Banken gerüstet sind, diesen ausgeprägten Schocks zu widerstehen."

Was ist die harte Kernkapitalquote?

Eigenkapital schützt Banken vor neuen Schieflagen. Als Lehre aus der Finanzkrise mussten Banken weltweit in den vergangenen Jahren diesen Puffer erhöhen. Entscheidende Kennziffer ist dabei die harte Kernkapitalquote. Sie setzt das Eigenkapital von Banken ins Verhältnis zu den Risikopositionen.

Die Institute können die Quote verbessern, indem sie entweder Risiko und Kredite in der Bilanz abbauen oder Kapital aufstocken. Letzteres geschieht über den Verkauf neuer Aktien oder die Einbehaltung von Gewinnen. Die Deutsche Bank will zum Beispiel künftig auf eine Quote von gut 12,5 Prozent kommen - Ende Juni lag sie bei 10,8 Prozent. Das heißt, 100 Euro Risiko waren mit 10,80 Euro eigenem Geld abgesichert.

Welche Institute schnitten in Europa am schlechtesten ab?

Schlusslicht ist die italienische Großbank Monte dei Paschi, die seit Monaten wegen existenzieller Probleme im Gerede ist. Bei ihr würde das Kernkapital im Stress-Szenario komplett abschmelzen und sogar minus 2,4 Prozent betragen. Den vorletzten Platz belegte die irische Allied Irish Bank, gefolgt von der Raiffeisen Zentralbank (RZB) aus Österreich und der Bank of Ireland. Die RZB kam im Stress-Szenario noch auf eine Kernkapitalquote von 6,1 Prozent. "Österreichs Banken brauchen mehr Eigenkapital, das haben wir immer gesagt", sagte Helmut Ettl, der Chef der österreichische Finanzmarktaufsicht FMA.

Warum steht Italien im Fokus?

Den größten Stress bescherte die Bilanzprüfung in den vergangenen Wochen Italien. Das viertgrößte Bankensystem der Euro-Zone kämpft gegen die Folgen einer langen Rezession. In den Büchern der Institute standen im April auch nach kräftigen Abschreibungen immer noch 83 Milliarden Euro notleidender Kredite, bei denen Zins und Tilgung nicht mehr bedient werden. Das klamme Land pumpte in der Finanzkrise keine Steuergelder in seine Banken, anders als die USA, Deutschland, Großbritannien oder Spanien.

Das rächt sich nun, denn seit 2014 sind in Europa Staatshilfen verboten. Als im vergangenen November vier kleine mittelitalienische Regionalbanken, die weniger als ein Prozent der Branche repräsentieren, abgewickelt werden mussten, bat Regierungschef Matteo Renzi nicht die Steuerzahler, sondern die Anleger zur Kasse. Viele Sparer verloren ihr Geld. Internationale Investoren flohen aus italienischen Bankaktien.

Wie soll die Bank Monti dei Paschi gerettet werden?

Die Nerven in der ehemaligen Wohlstandshochburg Siena in der Toskana waren am Freitag zum Zerreißen gespannt. Der Verwaltungsrat von Monte dei Paschi wartete auf eine E-Mail von der Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB). Anfang der Woche hatte man in Frankfurt einen Rettungsplan vorgelegt. Dieser sieht einen Abbau von 27 Milliarden Euro notleidender Kredite vor, deren Zins und Tilgung nicht mehr bedient werden. Netto knapp zehn Milliarden Euro dieser faulen Forderungen würden dann aus der Bilanz verschwinden. Die problematischsten Kredite soll der Bank der private Abwicklungsfonds Atlas abnehmen, der Rest am Markt verkauft werden. Eine Kapitalerhöhung um fünf Milliarden Euro soll das Institut zudem wieder auf festen Boden stellen.

Noch vor der Veröffentlichung der Stresstests am späten Abend hofften die Bankmanager in Siena, eine Zustimmung der Aufseher zu erhalten. Diese Nachricht kam schließlich auch. Gegen 20 Uhr teilte Monte-dei-Paschi-Verwaltungsrat Antonino Turicchi mit, die EZB habe dem Plan zugestimmt. Auch eine die dringende benötigte Kapitalerhöhung über fünf Milliarden Euro sei unter Dach und Fach. Finanzkreisen zufolge sichert ein Konsortium von sechs Banken - darunter die Deutsche Bank und Goldman Sachs - die Aktienemission ab. Ohne eine Lösung hätte der toskanischen Bank die Abwicklung gedroht. Auch die umstrittene Milliarden-Hilfe durch den italienischen Staat, die zuletzt diskutiert worden ist, scheint damit abgewendet.

Warum macht man den Stresstest?

Bereits seit 2009 durchleuchten Europas Aufseher alle zwei bis drei Jahre die großen und mittelgroßen Banken. Zwar haben die Banken ihre Bilanzen auch selber regelmäßig getestet, aber nach der Finanzkrise wollten die Aufseher durch eigene Tests sicherstellen, dass die Banken wieder so gesund werden, dass sie nicht noch einmal staatlich gerettet werden müssen. Nicht zuletzt geht es auch darum, die Banken transparenter machen, damit ihnen die Investoren wieder ihr Kapital anvertrauen. Für eine nachhaltige Erholung der europäischen Wirtschaft sind schließlich dringend starke Banken gefragt.

Nach Darstellung der Eba soll der aktuelle Bilanz-Check Daten liefern, die dann mit jeder einzelnen Bank durchgesprochen werden. Aus den Zahlen lässt sich einiges über die Verfassung des Instituts ablesen. Gerade professionelle Anleger werden sich die Daten deshalb genau ansehen. Über Monate wurde der Stresstest nicht so stark beachtet wie in den vergangenen Jahren. Doch die Diskussion um die Stabilität italienischer Banken und die Folgen des Brexits haben ihn mit einem Mal in den Fokus gerückt.

Was passiert nach dem Stresstest?

Es gibt keine unmittelbaren Folgen. Die Aufseher werden die Ergebnisse des Tests aber für künftige Gespräche mit den Banken verwenden. Ende des Jahres wird die Systematik umgestellt. Es gibt dann keine festen Kapital-Mindestquoten mehr, die für alle Banken gelten. Die Aufseher legen für jedes Institut einen individuellen Kapitalpuffer fest. Seine Höhe ist abhängig davon, wie riskant das Geschäftsmodell und die Anlagen der Bank sind. Ist die Kapitaldecke zu dünn, kann die Aufsicht der Bank ab Ende des Jahres die Zahlung von Boni und Dividenden verbieten. Sofort reagieren müssen Banken nur, wenn sich ihre Kapitaldecke beim Stresstest schon im normalen Szenario als zu dünn herausstellt - so wie bei der toskanischen Monte dei Paschi.

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