Am Montag wollte es niemand gewesen sein. Keiner wollte die Verantwortung für das im Morgengrauen des Samstags entworfene Programm für Zypern übernehmen, und schon gar nicht für die Entscheidung, Sparer mit Guthaben bis 100.000 Euro an der Sanierung der kleinen Insel zu beteiligen. Statt sich zu erklären, telefonierten die Verantwortlichen quer durch Europa. Zwischen Brüssel, Berlin, Den Haag, Nikosia und Frankfurt flogen Meinungen und Ideen hin und her. In Brüssel tagten die Unterhändler der Euro-Gruppe, für Montagabend wurde eine Telefonkonferenz der Finanzminister angesetzt, um die Vereinbarung wieder zu ändern. Die letzten noch in Brüssel verbliebenen hohen Diplomaten Zyperns reisten nach Nikosia, wo ebenfalls über Nachbesserungen am Paket gebrütet wurde - vor allem darüber, wie die offensichtliche Fehlentscheidung, auch kleine Sparer mit einer Sonderabgabe zu belegen, wieder ausgeglichen werden könnte.
Die Geschichte, wie es dazu hatte kommen können, wurde am Montag in verschiedenen Versionen erzählt. Einig waren sich die allesamt an den Verhandlungen beteiligten Personen nur in einigen Punkten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sei derjenige gewesen, der darauf bestanden habe, dass die Zyprer selbst einen Beitrag von sieben Milliarden Euro leisten sollten - seine Kollegen und die Troika wären auch mit der Hälfte des Betrags zufrieden.
Als Schäuble darauf bestand, war es schon nach 23 Uhr Freitagnacht. Die Verhandlungen hatten um 17 Uhr begonnen. Gleich zu Beginn hatte EU-Kommissar Olli Rehn eine Solidaritätsabgabe ins Spiel gebracht - Sparer mit Guthaben unter 100.000 Euro sollten drei Prozent zahlen, bis zu 500.000 sollten es fünf Prozent sein, für Guthaben darüber sieben Prozent. Die Solidaritätsabgabe sollte zwischen zwei und drei Milliarden Euro erbringen.
Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, brachte einen Vorschlag aus Washington mit, der wesentlich radikaler war. Sie schlug vor, Guthaben über 100.000 Euro um 30 bis 40 Prozent zu kürzen und auch die Eigentümer von Vorzugsanleihen der beiden größten Banken zur Kasse zu bitten. Lagardes Vorschlag hätte sieben Milliarden Euro erbracht; Schäuble unterstützte ihn, ebenso die Finnen, die Niederländer und die Slowakei. Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg waren dagegen. Zyperns Finanzminister Michael Sarris versuchte vergebens, seine Kollegen mit alternativen Vorschlägen (Steuererhöhungen, Lohnsenkungen, Privatisierungen) umzustimmen. Es soll Schäuble gewesen sein, an dessen Nein Sarris vor allem scheiterte.
Die Verhandlungen wogten eine Weile hin und her, die Zyprer hatten längst den Zahlungsverkehr auf der Insel gestoppt, da forderte Schäuble eine Abgabe von mehr als 18 Prozent. Präsident Nikos Anastasiadis, der zwei Etagen über dem Verhandlungsraum ausharrte und ständig über den Fortgang der Gespräche informiert wurde, gab das Zeichen zum Aufbruch. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Lagarde und auch Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hätten ihm andere Signale gegeben, hieß es in seinem Umfeld. Auf die neuen Konditionen werde er deshalb nicht eingehen.
An genau diesem Punkt, es war gegen 1 Uhr, kam es dann zu einer entscheidenden Szene. Schäuble, Lagarde, Sarris, Rehn, der französische Finanzminister Pierre Moscovici, Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und Jörg Asmussen, Direktor der Europäischen Zentralbank (EZB), saßen in kleiner Runde zusammen.
Asmussen habe Sarris sehr sachlich mitgeteilt, dass den beiden großen zyprischen Banken Insolvenz drohe, weil die EZB im Falle eines Scheiterns der nächtlichen Verhandlungen keine Liquidität mehr bereitstellen werde. Was konkret bedeutet hätte: Die beiden größten Banken hätten nach dem Bankfeiertag am Montag nicht wieder öffnen können. Anastasiadis gab auf - das Paket wurde geschnürt, einige müde Verhandler schleppten sich um 4 Uhr vor die Presse. Schäuble ging ohne Erklärungen.
Die Bundesregierung gab sich am Montag demonstrativ geschlossen. Es gebe keine unterschiedlichen Auffassungen zwischen Schäuble und Merkel. Schäuble habe in Brüssel "in Vertretung der Bundesregierung" verhandelt und in "völliger Übereinstimmung und Absprache mit der Bundeskanzlerin", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Dass Berlin auf eine Beteiligung des Bankensektors gedrungen habe, sei richtig. Ohne einen nennenswerten Beitrag der Banken und der Anleger sei nicht sicher, dass Zypern seine Schulden längerfristig tragen könne und 2020 eine Verschuldung von nur 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweise. "Wie das Land diesen Beitrag erbringt, ist nicht unsere Entscheidung."
Das heißt, dass es alleine die zyprische Regierung gewesen sei, die eine Beteiligung auch der Kleinsparer zu verantworten habe. Es zähle einzig der Umstand, dass Zypern 5,8 Milliarden Euro aus eigener Kraft auftreibe. Die strikte Haltung hat auch innenpolitische Gründe. Im Fall Zypern steht erstmals ein Rettungsbeschluss des Bundestags ernsthaft infrage, weil SPD und Grüne sich verweigern könnten. Beide haben eine Beteiligung des Bankensektors zu einer Voraussetzung für ihre Zustimmung gemacht. Nach dem Beschluss machten sie deutlich, dass man lieber eine Beteiligung gesehen hätte, die Kleinsparer ausnimmt.
In der Führung der Unionsfraktion wird daran erinnert, dass Schäuble selbst all jenen Vorwürfen widersprochen habe, er oder die Bundesregierung seien es gewesen, die den konkreten Vorschlag durchgesetzt hätten. Umgekehrt sei es gewesen: Wie der IWF hätten auch die Euro-Länder nur darauf bestanden, dass der Bankensektor selbst mit rund 5,8 Milliarden Euro beteiligt werde, die Ausgestaltung liege aber ausschließlich in der Hand Zyperns. Entsprechend gebe es Möglichkeiten, die jetzige Lösung durch eine andere zu ersetzen. Aus Sicht der Union gilt als wahrscheinlich, dass es ohne eine Beteiligung der zyprischen Banken im Bundestag keine Mehrheit für Hilfen an Zypern geben werde.