Die Bundesregierung hofft, eine Verurteilung Deutschlands wegen zu hoher Nitratwerte abwenden zu können. In einer Stellungnahme zur Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof schreibt Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU): "Es muss in unser aller Interesse sein, zeitnah und gemeinsam eine praxistaugliche Düngeverordnung zu verabschieden, statt sich von Brüssel verurteilen zu lassen." Nach jahrelangem Streit hat sich die schwarz-rote Koalition in Berlin kürzlich auf eine Novelle der Düngeverordnung geeinigt. Gleichzeitig reichte die EU-Kommission Klage gegen Deutschland ein. Anlass ist der Verstoß gegen die Nitratrichtlinie der EU, die seit 1991 gilt.
Die Klage ist nur der letzte Schritt einer seit vier Jahren schwelenden Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und der Bundesregierung. Hintergrund ist die starke Verschmutzung des Grundwassers mit Nitrat. Der Stoff ist wichtig für das Wachstum von Pflanzen und an sich nicht schädlich. Im menschlichen Körper kann er jedoch in Nitrit umgewandelt werden, das als krebserregend gilt. Der Anteil des Grundwassers in Deutschland, der mit Nitrat-Anteilen über dem Trinkwasser-Grenzwert verschmutzt ist, steigt stetig. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums ist bereits knapp ein Drittel aller Grundwasserreservoire Deutschlands betroffen. Der Umweltschutzverband BUND schätzt, dass es jährlich bis zu 25 Milliarden Euro kostet, dieses Wasser so zu reinigen, dass es trinkbar ist.
Hauptverursacher der Verschmutzung ist die Landwirtschaft. Durch die intensive Düngung der Felder wird mehr wachstumsfördernder Stickstoff ausgebracht, als die Pflanzen aufnehmen können. Die Reste versickern im Boden, werden dort in Nitrat umgewandelt, das ins Grundwasser gerät. Gleiches geschieht mit den enormen Mengen an Gülle aus der Massentierhaltung, die entsorgt werden müssen. Da es Jahre dauern kann, bis der Stickstoff als Nitrat ins Grundwasser gelangt, wird die Verschmutzung in den kommenden Jahren noch zunehmen.
In der EU gehört Deutschland neben Frankreich und Belgien zu den Ländern, die am stärksten mit Nitrat belastet sind. Dies ist auch der EU-Kommission seit Langem bekannt. Die 40-seitige Anklageschrift liest sich daher in Teilen wie der Lebenslauf eines Schwererziehbaren. Bereits im März 2011 habe die Kommission "die deutschen Behörden darauf hingewiesen, die Wasserqualität erfordere eine umfassende Revision", heißt es. Von da an habe es bis zum vergangenen April, als die Kommission die Klage ankündigte, immer wieder Versuche gegeben, auf die Bundesregierung einzuwirken.
Unterlegt sind die Vorhalte mit einer 1500-seitigen peniblen Dokumentation. Die Kommission wirft der Bundesregierung vor, wissenschaftliche Erkenntnisse bis hin zum "bloßen Spiel mit Begrifflichkeiten" zu übergehen. "Die von der deutschen Regierung hiergegen angeführten Argumente überzeugen nicht", heißt es in der Anklageschrift zu einer Replik aus Berlin. Hauptkritikpunkt der Kommission ist die Dünge-Praxis in der deutschen Landwirtschaft. So dürften Bauern hierzulande wesentlich mehr Dünger ausbringen, als tatsächlich nötig ist. Außerdem seien die gesetzlich vorgeschriebenen Zeiträume, in denen nicht gedüngt werden dürfe, mit drei Monaten zu kurz. Damit sich der Boden erholen könne, bedürfe es eines halben Jahres.
Wann und wie in Deutschland gedüngt werden darf, ist in der Düngeverordnung festgeschrieben. Eine Novelle ist seit Jahren geplant, doch Bund und Länder konnten sich bislang nicht einigen. Während sich Landwirtschaftsminister Schmidt vor allem als Gewährsmann der Bauern sieht und die Düngepraxis nicht verschärfen will, plädieren die meist grünen Umweltminister in den Ländern für höhere Umweltstandards. Friedrich Ostendorff, Agrarexperte der Grünen im Bundestag, glaubt daher kaum, dass der Kompromiss in der Koalition eine Verurteilung Deutschlands noch abwenden kann: "Der kommt zu spät und er wird nicht ausreichen."