Süddeutsche Zeitung

Beispiel aus Uganda::Geldspritzen gegen die Armut

Die Hebamme Alex Babumba hat sich mit einem Mikrokredit eine eigene Existenz aufgebaut - weltweit versuchen dies bereits mehr als 100 Millionen Menschen.

Arne Perras

Alex Babumba kennt keine festen Arbeitszeiten. Sie ist immer zur Stelle, wenn die Frauen sie brauchen. Es ist Mittwoch, morgens früh um sechs, ein Motorrad knattert die holprige Straße herunter und bringt Kundschaft. Es ist höchste Zeit für diese junge Frau, sie schleppt sich noch hinein ins Haus, das Klappern von Metallschüsseln ist hinter der Tür zu hören, Babumba spricht mit ruhiger Stimme. Immer wieder dringt ein Stöhnen nach draußen.

Dann Stille. Und plötzlich ist da dieser erlösende Schrei, auf den alle gewartet haben. Dieses Mal ging es ganz schnell, eine halbe Stunde, und Babumba hat wieder einem Baby auf die Welt geholfen. Seit 30 Jahren tut sie das nun schon. Später wird sie einmal nachrechnen: 5000 Kinder müssen es wohl gewesen sein in all der Zeit.

Alex Babumba ist Hebamme, aber nicht nur das. Sie ist auch eine Frau mit Gespür fürs Geschäft. Und sie beweist, was viele für unmöglich gehalten haben. Auch auf dem Land in Afrika können sich Menschen mit Gesundheitsdiensten eine Existenz aufbauen. Nicht der Staat ist ihr Arbeitgeber, sie ist Unternehmerin. Eine Geburtsklinik hat sie aufgebaut und eine Apotheke noch dazu. Ihr Geschäft rechnet sich. Dank einiger Mikrokredite, die sie aufgenommen hat. Ihre Raten konnte sie stets begleichen, vielleicht auch deshalb, weil sie nicht nur ein warmes Herz hat, sondern auch kühl kalkulieren kann.

Mehr als 100 Millionen Menschen nehmen inzwischen weltweit sogenannte Mikrokredite auf, um sich aus drückender Armut zu befreien. Ein Pionier, der dieses Bankensystem groß gemacht hat, erhielt dafür in diesem Jahr den Friedensnobelpreis: Ökonom Mohammad Yunus aus Bangladesch hat mit seiner Grameen Bank vorgemacht, was nun auch in anderen Ländern vorangetrieben wird, zum Beispiel im ostafrikanischen Uganda.

Weißnasen aus Europa

In diesen Tagen hat Alex Babumba in Kikyusa zwei seltsame Gäste. "Wasungu, Wasungu", rufen die Kinder, wenn sie die Fremden vor der Klinik sitzen sehen: Weißnasen aus Europa. Was machen die hier nur? Der eine ist ein Banker, der bei der KfW Entwicklungsbank arbeitet und Michael Wehinger heißt. Der andere ist ein Journalist, der miterleben will, was der Banker Wehinger bei der Hebamme Babumba macht.

"Exposure" heißt das Programm im entwicklungspolitischen Jargon, und das muss man ein wenig erklären. Politiker, Banker und Ökonomen bekommen in diesem Projekt die Chance, Armut aus nächster Nähe zu erfahren. Für ein paar Tage leben sie in einer Gastfamilie, sie schlafen auf der Pritsche, erleichtern sich auf der Latrine, sie gehen mit aufs Feld, ernten Süßkartoffeln und Bananen. Alltag eben, ganz unten.

Organisiert wird das Programm von einem Verein mit dem sperrigen Namen "Exposure und Dialogprogramme", der vor allem von den Hilfswerken der katholischen Kirche getragen wird. Das Ganze ist kein Abenteuerurlaub, sondern hat ernsthafte Ziele. Alle, die einmal bei einem Exposure mitgemacht haben, sollen daraus auch Lehren für ihre Arbeit ziehen. Denn selbst für diejenigen, die sich in Europa beruflich mit der Entwicklung armer Länder beschäftigen, bleibt das Leben der Betroffenen oft abstrakt.

Kein Bürohengst

Michael Wehinger wäre nun zurecht beleidigt, würde man ihn als Bürohengst bezeichnen. Er ist kein Mensch, der sich gerne in abgehobene Theorien versteigt. Mehrere Jahre hat er für die KfW Entwicklungsbank in Bolivien und Peru gearbeitet und Erfahrungen aus erster Hand gesammelt, bevor er zurück in die Zentrale in Frankfurt wechselte.

Nun arbeitet der 42-Jährige im Stab, er brütet über Strategiepapieren, kümmert sich um Absprachen mit den Gebern, fliegt oft zu Sitzungen nach Brüssel und Berlin. Dabei ist es ihm wichtig, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Auch deshalb ist er jetzt nach Afrika gereist, in ein kleines ugandisches Kaff namens Kikyusa. Und er ist sehr müde, wenn er abends auf die Pritsche unter dem Moskitonetz fällt.

Kein Wunder, denn Alex Babumba ruht nur selten. Man muss schon auf Trab sein, wenn man mit ihr mithalten will. Gerade noch hat sie ein paar Kinder geimpft, die wimmernd im Arm ihrer Mütter liegen. Da hat sie auch schon die Spritzen weggeräumt, ist in ihre Gummistiefel geschlüpft und stapft hinaus aufs Feld. Sie will Mais und Kartoffeln ernten, sie muss die Zeit nutzen, solange das Wartebänkchen in ihrer Geburtsklinik leer ist.

Ihre beiden Besucher trotten hinterdrein, die Sonne brennt, die Füße stecken im Schlamm, die Moskitos stechen ohne Gnade. Es dauert nur Minuten, bis der Schweiß herunterläuft, und dabei ist das Graben noch gar nicht losgegangen. Süßkartoffeln sind mühsam auszubuddeln, die Maispflanzen sind spröde und reißen einem die Finger auf. Nur langsam füllt sich der große Sack, den Michael Wehinger schließlich über die Schulter wirft und nach Hause schleppt. Eine eisgekühlte Cola wäre jetzt recht, aber das ist ein Luxus, den sich Alex Babumba nur sehr selten leistet.

Unsere Gastgeberin ist wohl nicht die Ärmste im Ort, aber dennoch hat sie weder Strom noch fließendes Wasser. Sie fängt den Regen in einer Zisterne auf. Für den Bau des Geburtshauses bekam sie einst Hilfe von der EU. Danach entdeckte sie die Kleinkredite des Instituts Uganda Microfinance Limited (UML), mit denen sie ihre Dorfapotheke einrichten konnte. Die Klinik läuft gut, das Wartebänkchen vor der Tür füllt sich jeden Tag schnell mit Schwangeren, die Rat suchen und später hier entbinden.

Eine Geburt bei Frau Babumba kostet 10.000 Schilling, das sind knapp fünf Euro. Wenn es Komplikationen gibt und die Sache länger dauert, nimmt sie schon mal etwas mehr. Manchmal aber ist auch sie hilflos. "Erst letzte Woche wurde ein Kind tot geboren", erzählt sie. Vielleicht hätte man es in einer High-Tech-Klinik noch retten können, aber die sind nur in der Hauptstadt Kampala zu finden und kosten mehr Geld, als sich die meisten leisten können.

Was Babumba erntet und selbst nicht verbraucht, verkauft sie auf dem Markt. Sie ist Bäuerin, Apothekerin und Hebamme zugleich. "Offenbar ist es gut, wenn man hier mehrere Standbeine hat," sagt Michael Wehinger. Läuft ein Geschäft schlecht, hat man noch ein anderes Einkommen, um über die Runden zu kommen.

Es ist inzwischen Nachmittag, und wir üben uns im Schälen von Kochbananen, die dann, in Bananenblätter gewickelt, auf dem Holzkohlegrill garen. Danach sind die Bohnen dran, die aus den Schalen gepult werden. Einen ganzen Berg hat die 59-Jährige vor uns hingeschüttet, die Arbeit dauert Stunden, obwohl Nachbarn und Verwandte mithelfen. Es braucht sehr viel Zeit, um täglich ein einfaches Essen auf den Tisch zu bringen.

Leben hier also doch alle nur von der Hand in den Mund? Wer durch den Ort Kikyuasa marschiert und sich umhört, bekommt einen etwas anderen Eindruck. Kikyusa liegt an einer Straßenkreuzung, vor einigen Jahren gab es hier nicht viel mehr als ein paar ärmliche Hütten, erinnert sich Babumba.

Doch nun gibt es eine Reihe kleiner Läden, zwei Schreiner, ein Schreibwarengeschäft. Und die Schneiderin Robina Nasonko, die an diesem Abend an ihrer Nähmaschine "Fliegende Möwe" sitzt, made in China. Auch sie ist Kundin von UML, und heilfroh, dass sie mit dem Kredit ihren Laden aufmachen konnte. Zur Zeit ist das Geschäft eher flau, klagt sie, von den schönen bunten Kleidern in ihrer Auslage verkauft sie nur eines am Tag. "Wenn es gut läuft, gehen drei oder vier täglich weg." Aber bereut hat sie den Schritt nicht. Zu hart war das Leben als Bäuerin, zu sehr musste sie sich mit der Harke schinden, um zu überleben.

Viele Bewohner in Kikyusa nehmen inzwischen Kleinkredite auf. Begonnen hat UML als Forschungsprojekt, erinnert sich einer der Gründer, Charles Nalyaali. "Wir arbeiteten damals wie Ärzte. Wir injizierten Geld und setzen darauf, dass es heilend wirkt."

100.000 Kunden

Die Ergebnisse waren ermutigend, die Organisation wuchs rasch heran, nahm größere Summen auf den Kapitalmärkten auf und bedient heute in Uganda 100.000 Kunden. Die große Mehrheit schafft es nach Angaben von UML, ihre Raten zu begleichen. Schwierig ist es freilich bei den Allerärmsten, die nie zur Schule gehen konnten und nicht einmal eine kleine ökonomische Basis haben, auf der sie aufbauen können.

Die Mikrofinanz provoziert auch Kritik. Manche beklagen, dass die Zinssätze viel höher liegen als bei Geschäftsbanken, Arme werden also stärker belastet als Reiche. Aber Charles Nalyaali kann dafür gute Gründe anführen. Wer ein solides Mikrokreditsystem schaffen will, hat enorme Kosten zu tragen.

Ein engmaschiges Netz an Filialen ist aufzubauen, und ein großer Stamm geschulter Mitarbeiter muss ausziehen, um die richtigen Kunden zu finden und zu beraten. "Die Leute kommen nicht zu uns, sondern wir zu ihnen, das ist der Unterschied", sagt Nalyaali. Und bei UML sind die Menschen weit besser bedient als bei all den Kredithaien, die auf dem Land privat ihr Geld verleihen und so hohe Zinsen verlangen, dass es einem schwindlig wird.

"UML ist auf einem guten Weg", sagt Peter Rohde, Finanzexperte der "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ), der die Zentralbank in Kampala berät. "Entscheidend ist, dass sie auf dem Markt bestehen. Es ist nicht sinnvoll, Kunstpflanzen zu fördern, die schnell vertrocknen, sobald sie nicht mehr aus Frankfurt oder Washington gegossen werden." Die Mikrofinanzbanken sollen also nach einer Anschubfinanzierung auf eigenen Füßen stehen.

Michael Wehinger ist froh über die Erfahrungen, die er in Kikyusa sammelt: "Das gibt einem doch eine andere Erdung. Und es ist ermutigend zu sehen, was für ein unternehmerisches Potential hier schlummert." In dem Ort lassen sich aber nicht nur die Kräfte der Mikrofinanz erkunden, man lernt auch deren Grenzen kennen. Wie soll ein Geschäft wirklich aufblühen, wenn der Strom so oft ausfällt? Wie soll ein größerer Markt entstehen, wenn Straßen bucklige Pisten sind, die sich bei Regen in schlammige Gräben verwandeln? Hier ist der Staat gefordert, und der wird große Investitionen nur mit Hilfe der Geberländer bewältigen. Mikrofinanz alleine reicht also nicht aus, um alle Armut zu besiegen.

Dennoch machen für viele Menschen in Kikyusa die Kredite einen Unterschied. Vor allem, wenn sie ihnen Wege öffnen, das Schulgeld für die Kinder zu verdienen. Wen man hier auch fragt, alle Leute kommen darauf zu sprechen. Für viele ist die Sorge um die Zukunft der Kinder der wesentliche Antrieb. Und man muss staunen, wie opferbereit die Leute sind. Sie schicken ihre Söhne aufs Internat, obwohl sie zuhause auf dem Feld so dringend gebraucht würden.

"Sind Sie eigentlich glücklich hier?", fragt Michael Wehinger unsere Gastgeberin vor der Abreise. Da erzählt sie vom Tode ihres Mannes, der vor drei Jahren starb, vom Schock des Verlustes und tiefer Trauer. Aber zum Glück hat sie ja noch ihre Kinder. Und sie ist voller Stolz, dass sie es geschafft hat, allen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Ihr Sohn Alex, der gerade zu Besuch ist und auch brav Bohnen schält, wird bald auf die Universität in Kampala gehen. Vielleicht wird er einmal Anwalt. Oder Unternehmer. Dann hätten sich die kleinen Kredite für die Hebamme doppelt gelohnt.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2006
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